US-Serie:Selbst "House of Cards" hat gegen die Realität keine Chance

House of Cards

Frank Underwood (Kevin Spacey) teilt mit Donald Trump Machthunger und Adresse. Doch der TV-Machiavellismus verkommt zusehends zur Farce.

(Foto: Netflix)

Trotz allen Irrsinns suggerierte die Politserie immer eine gewisse Authentizität. In der fünften Staffel scheitert sie jedoch an der Erwartung, die Trump-Präsidentschaft zu erklären.

Von Sacha Batthyany

House of Cards begann mit einem raffinierten Trick. Frank Underwood, gespielt von Kevin Spacey, blickte in einer der ersten Szenen frontal in die Kamera und sah uns in die Augen. Er sprach mit uns, nahm uns an die Hand und führte uns hinter die Kulissen des Politgeschäfts in Washington, mitten hinein in die Stehpartys befrackter Senatoren, die Gin Tonic trinken und ihren Praktikantinnen in den Ausschnitt starren.

Indem er sich an sein Publikum wendet, durchbricht Underwood die vierte Wand, so nennt man das im Theater. Wie Richard III. bei Shakespeare macht uns Underwood zu seinen Verbündeten - und wir lassen uns darauf ein.

Frank Underwood, nur seine Frau Claire nennt ihn Francis, war damals, 2013, noch Kongressabgeordneter von South Carolina. Er war eine Figur von vielen auf diesem Schachbrett namens Washington, doch er erklärte, wie man das Spiel zu spielen hat, wie man andere Figuren in die Enge treibt, wie man Ablenkungsmanöver inszeniert, falsche Freundschaften eingeht, um Zug für Zug dem Ziel näher zu kommen, das er immer im Blick behielt: das Oval Office, 1600 Pennsylvania Avenue.

Die Underwoods gaukelten uns einen exklusiven Zugang in den Washingtoner Strudelteig vor

Im wahren Zentrum der Macht sitzt seit Januar Donald Trump und twittert die Welt in den Wahnsinn. Und weil sich Realität und Fiktion seit Beginn von House of Cards immer wieder berührten, stellt sich zum Start der fünften Staffel natürlich die Frage, wie sich die beiden zueinander verhalten - der reale US-Präsident Trump und der fiktive Präsident Underwood. Kann Frank erklären, wie jemand wie Trump an die Macht kommen konnte, so wie er schon früher vieles erklärte?

In den ersten beiden Staffeln, damals war Barack Obama noch an der Macht, funktionierte das recht gut. Man glaubte den Underwoods, wenn sie mit dem Zuschauer sprachen, auch wenn Frank - und seine ebenfalls dem Machiavellismus verfallene, dauerjoggende Gattin Claire - Dinge taten, die durchschnittliche Kongressabgeordnete in der Realität lieber bleiben lassen. Gut möglich, dass sich einige Politiker in Washington überlegen, wie sie unliebsame Journalisten loswerden können, aber sie stoßen sie in der Innenstadt nicht vor die Metro, wie das Frank Underwood mit Zoe Barnes (Kate Mara) tat, die in Staffel zwei unter die Räder kam.

Trotz aller dramaturgischen Überhöhungen war da immer dieser Pakt zwischen den Underwoods und den Zuschauern: Sie nahmen uns mit in die Küche des Weißen Hauses und erklärten, wie man mit Scheinkriegen im Ausland mühsame Politaffären im Inland vertuscht - und wir ließen uns vorgaukeln, endlich über einen exklusiven Zugang zu verfügen in das Washingtoner Geflecht aus Lobbyisten, Beamten, Politikern und Journalisten, und durften sogar ihre Textnachrichten lesen, die sie einander schickten.

So kam es dann, dass in Politanalysen auch seriöser Zeitungen schon bald und immer öfter der Satz zu lesen war, die realen Vorgänge in Washington erinnerten an House of Cards, obwohl das immer zu einfach war. Das Kalkül der Drehbuchschreiber aber schien aufzugehen: Die Fernsehbilder aus dem Kapitol, die beigen Spannteppiche im Oval Office, das war plötzlich "wie in der Serie"; so wie in Deutschland in den Achtzigerjahren jedes Provinzkrankenhaus mit der Schwarzwaldklinik verglichen wurde. Und so hörte man als wahrer Fan diese wunderbare Titelmusik, wenn man in DC an den Schauplätzen vorbeispazierte: dem Stadion, dem Obelisken und natürlich dem Weißen Haus, auf dessen Dach die Underwoods ihre Zigarette teilen, bevor sie im Seidennachthemd zu Bett geht und er an seinen Racheakten feilt.

Eine gute Politserie im Fernsehen muss mit wahren Begebenheiten natürlich nichts zu tun haben, so wie kein Mensch danach fragt, ob echte Kommissare an der Würstchenbude über ihre Mordfälle reden, wie das Ballauf und Schenk im Tatort aus Köln tun. Das Problem bei House of Cards aber ist, dass die Serie bei allem Irrsinn eine gewisse Authentizität immer suggerierte - und nun, in diesen politisch aufgeheizten Tagen, daran gemessen wird.

Endlich ein neuer Blick auf Trump?

Gerade weil House of Cards den Anspruch hatte, Washington zu deuten, wurde selten eine neue Serienstaffel so dringend erwartet wie diese, von der man sich zwar keine Fakten - es ist ja doch nur Fernsehen -, aber vielleicht so etwas wie einen neuen Blick auf die Trumps erhoffte.

Die Handlung der Staffel ist im Grunde schnell erzählt: Die Underwoods träumen von 16 Jahren an der Macht, erst seine acht, dann ihre. Claire ist ja nicht nur First Lady, sondern auch Franks Vize. Doch sie werden ihre Altlasten nicht los. Ein Journalist nimmt Zoe Barnes Spuren wieder auf, der Präsident Russlands mischt sich ein - wie in der Realität, und die Bevölkerung kehrt ihnen den Rücken zu. Das haben die Underwoods mit den Trumps gemein.

Doch die Wahrheit nach 13 Folgen ist trotzdem: Frank und Claire tragen nichts dazu bei, die Realität im Weißen Haus zu erklären, auch wenn dies die Macher gern hätten und immer wieder betonen. Robin Wright, die Claire, sagte auf der Werbetour zur neuen Staffel, Trump habe alle ihre Ideen gestohlen. Und Kevin Spacey erzählte, vor zwei Jahren hätten viele Zuschauer moniert, wie unrealistisch House of Cards sei. "Mit Trump aber merken sie, dass dies alles tatsächlich passiert."

Im Verlauf der einzelnen Staffeln wurden die Erzählstränge mit den aktuellen politischen Geschehnissen immer häufiger verknüpft. Man konnte förmlich spüren, wie die Macher von House of Cards Gefallen daran fanden, die Weltlage zu antizipieren: die Terrormiliz heißt hier nicht IS, sondern ICO; die Figur des russischen Präsidenten Victor Petrov, der stark an Wladimir Putin erinnert, erhielt plötzlich mehr Bedeutung. Doch die augenfälligste Verbindung zwischen Fiktion und Realität war der Wahlkampf, um den sich in Staffel vier alles drehte und die am 4. März 2016 veröffentlicht wurde, zu einem Zeitpunkt also, in dem der reale Wahlkampf in den USA in die heiße Phase ging. Es gab reale Wähler, die mit Underwood-Plakaten in die Veranstaltungen von Donald Trump, Hillary Clinton und Ted Cruz kamen. Manche schienen sich nicht ganz sicher zu sein, was real ist und was Fiktion.

Damals war noch nicht abzusehen, dass Donald Trump die Präsidentschaft gewinnen würde, noch war er ein Kandidat unter vielen. Doch Trumps Reden, sein Auftreten, sein Wille zum Sieg wurden bereits mit Underwoods Machthunger verglichen. Vor allem aber erhielt Claire Underwood eine immer wichtigere Rolle, wohl auch deshalb, weil die Drehbuchschreiber mit einem Wahlsieg von Hillary Clinton rechneten, um so die Serie noch ein Stück näher an die Realität zu führen.

Annäherungsversuche gab es auch von der anderen Seite. Barack Obama outete sich als Fan. "Der Typ kriegt eine Menge geregelt", sagte er über Underwood, "ich wünschte, die Dinge wären so effizient hier." Bill Clinton meinte scherzhaft, 99 Prozent von House of Cards würden mit der Realität übereinstimmen. "Aber es ist unmöglich, dermaßen schnell ein Bildungsgesetz zu verabschieden." Gemunkelt wird auch, dass sich First Lady Melania Trump in ihrem Kleidungsstil an Claire Underwood orientiert, ein gewisser Hang zum Plagiat wird ihr ja nachgesagt.

Man glaubt der Hauptfigur kein Wort mehr. Alles "Fake News", würde Trump sagen

Doch der Versuch, die Aktualität in die Serie zu integrieren, misslang. Je mehr die Drehbuchschreiber versuchten, die Geschehnisse in Amerikas Hauptstadt einzubauen, desto eher distanzierten sie sich von ihr und desto dünner wurden ihre Geschichten. Nach vier Jahren und fünf Staffeln ist House of Cards nicht Washington, sondern nur noch banal. Das Spiel mit der Macht verkommt im Fernsehen zur Farce, denn nicht alle Senatoren sind korrupte Schweine, denen es nur darum geht, sechs weitere Jahre ihren Whisky in dickwandige Gläser zu füllen. Einige sind noch schlimmer. Und Underwoods Zynismus hatte zwar anfänglich etwas Unterhaltendes, ist aber inzwischen nur noch ermüdend und führt nirgendwohin. Die Figuren wurden mit der Zeit nicht komplexer, sondern verstrickten sich in absurde Affären: Doug Stamper, Underwoods Stabschef, säuft und mordet; First Lady Claire wurde über Nacht nicht nur Vizepräsidentin, sondern erstickte ihre Mutter noch schnell mit einem Kissen und wird, so viel sei verraten, auch in Staffel fünf ihren Liebhaber in arge Atemnot bringen.

Vor allem aber funktioniert Underwoods Trick nicht mehr, sein Publikum einzubeziehen. "Kommt mit, ich zeige euch, wie es geht", sagt der Fernsehpräsident irgendwann. Aber man glaubt ihm kein Wort. Alles "Fake News", würde Donald Trump sagen, und überhaupt denkt man oft, dass die täglichen Schlagzeilen aus dem Weißen Haus unterhaltender sind als die Serie House of Cards. Das wirft kein gutes Licht auf Trump und sein Kabinett, aber ein noch viel schlechteres auf die Macher der Fernsehserie.

Neulich schrieb die New York Times, die Vorkommnisse rund um die Entlassung des FBI-Direktors James Comey würden "ein perfektes Drehbuch" für jeden Politthriller abgeben. Eine CNN-Moderatorin gestand, nach einer Woche im Urlaub am Strand unter Trump-Entzug zu leiden, "wie am Ende einer Serie", wenn man es kaum erwarten kann, dass es weitergeht. Trump sei der bessere Underwood, sagte sie schmunzelnd, obwohl das nicht zum Lachen ist. Die Realität schlägt jede Fiktion.

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