US-Serie "House of Cards":Es ist Brecht, Dummkopf

US-Serienhit 'House of Cards' in SAT.1

Kevin Spacey und Robin Wright in House of Cards

(Foto: obs)

Der in Hollywood glanzlos gescheiterte Dramatiker Bertolt Brecht erlebt in "House of Cards" einen späten Triumph. Die Netflix-Serie folgt werkgetreu den Regeln des epischen Zeigestock-Theaters. Und Kevin Spacey verströmt mehr Machthunger als Gerhard Schröder und Franz Josef Strauß zusammen.

Von Willi Winkler

Als deutscher Idealist fühlte er sich plötzlich "in das zentrum des weltrauschgifthandels" geworfen - statt mit der reinen Kunst zwangsweise beschäftigt mit einem "unendlich traurigen gemächte", notierte der Film-Knecht in demütigster Kleinschreibung. Lügen sah er überall, erkannte nur mehr "schemen, intrigen, falschheiten", kein Platz für ihn, denn "es wird damit gerechnet, daß die schauspieler nicht spielen und die zuschauer nicht denken können." Am schlimmsten aber war vielleicht doch, dass er es zu tun hatte mit "visagen wie aus dem programmheft des ulmer stadttheaters", "in hollywood ist es einfach schönfärberei der berüchtigten art".

Im Mai 1941 war, aus der Sowjetunion kommend, der kommunistische Dichter Bertolt Brecht in Santa Monica angelangt. Er hatte Deutschland sofort nach dem Reichstagsbrand verlassen. Schon vor 1933 war er von den Nazis verfolgt worden. Brecht war einer der bekanntesten Dramatiker der Weimarer Republik gewesen und seine Dreigroschenoper so erfolgreich, dass er sich ein Haus in Utting am Ammersee kaufen konnte. Der kraftgenialische Anfänger wandelte sich trotzdem immer mehr zum Lehrer und Volkserzieher; seine Arbeiten wurden Lehrstücke, der Verfremdungs-Effekt (liebevoll auch V-Effekt genannt) sollte die Zuschauer, die bis dahin nur romantisch glotzten, davor bewahren, sich womöglich ohne handliche Botschaft für den Klassenkampf aus dem Theater zu stehlen.

Der in Hollywood glanzlos scheiternde Brecht erlebt Jahrzehnte später einen unerwarteten Triumph, wenn Kevin Spacey in der vielbefabelten Netflix-Serie House of Cards (jeweils sonntags bei Sat 1) in bester Brecht'scher Manier den Moritätenerzähler gibt. Wenn Spacey sich im Film ohne Warnung direkt ans Publikum wendet, folgt er werkgetreu den Regeln des epischen Zeigestock-Theaters. Bei Brecht musste dann noch ein quasi-griechischer Chor her - wenn es zum Beispiel in der Maßnahme galt, die parteipolitisch wertvolle Ermordung eines Genossen zu rechtfertigen.

Kevin Spacey spielt einen machiavellistischen US-Politiker, der sich um die fällige Beförderung zum Außenminister gebracht sieht. Gekränkt wegen dieser Zurücksetzung beschließt er, sich an allen bis hinauf zum Präsidenten zu rächen. Ob er es selber auf das Amt abgesehen hat, ist gar nicht so wichtig; es geht um Politik, also um die Kunst der Intrige und der üblen Nachrede, also um etwas Ur-Theatralisches, das Marionettenspiel.

Der Antifaschist Brecht konnte in Hollywood immerhin ein ganzes Drehbuch losschlagen, das der ebenfalls aus Deutschland geflohene Fritz Lang unter dem Titel Hangmen Also Die (Auch Henker sterben, 1943) verfilmte. Es war die kreuzbrave Geschichte des Attentats auf Reinhard Heydrich, den Chef des Reichssicherheitshauptamtes, der 1942 in Prag von tschechischen Untergrundkämpfern getötet worden war. Das FBI beobachtete den Autor dieses Werks Tag und Nacht und fürchtete einen unmittelbar bevorstehenden kommunistischen Umsturz.

Schrecken mehrerer Schülergenerationen

Mit seiner Friedrich Schiller nachempfundenen Didaktik wurde der Stückeschreiber Brecht seit den Sechzigern zum Schrecken mehrerer Schülergenerationen; ob sich mit seiner Lehr-Dramatik das Los der Menschheit oder wenigstens die Lage im Gymnasium verbessert hat, darf trotzdem bezweifelt werden. Dennoch war Brechts Wirken keineswegs vergebens. Denn wie sonst wäre sein plötzliches Auftauchen in House of Cards zu erklären?

Spacey heißt in der Serie Frank und mit Nachnamen lustigerweise wie eine einstmals berühmte Schreibmaschine: Underwood. Seine Gattin, die nicht weniger ehrgeizig und ebenso rücksichtslos ist, steht ihm bei seinem Rachefeldzug frauhaft zur Seite. Drum sagt ihr Mann auch: "Ich liebe sie mehr, als Haie Blut lieben." Den halbwegs Gebildeten mag die Konstellation an Lady Macbeth erinnern, dieser Intrigantenstadel ist aber reinstes Brecht-Fernsehen, wie es Augsburgs nach Leopold Mozart größter Sohn leider nicht mehr erleben durfte.

Bekanntlich war Brecht nach seiner Rückkehr aus dem Exil dazu verdammt, am Berliner Ensemble unter liebender Aufsicht der Partei seine Stücke in langweilige Muster-Inszenierungen zu überführen. Als er 1956 starb, gab es in Westdeutschland das Fernsehen erst seit vier Jahren. Wie hätte das öffentlich-rechtliche System schon damals von einem Werk wie House of Cards profitiert, das brutalstmöglich die Mechanismen der Politik offenlegt! Kevin Spacey verströmt mehr Machthunger als Gerhard Schröder und Franz Josef Strauß zusammen, und er stellt sich dabei wesentlich geschickter an als selbst Angela Merkel.

Ohne Scheu vor dem Klischee zeigt House of Cards die Hauptstadt Washington als Schlangen- und Mördergrube. Spacey sitzt zwar im Serien-Logo im Stil des Lincoln-Denkmals da, aber er entlarvt die dem Stammvater der Bürgerrechtsbewegung so heilige Republik als mafiotischen Club von Gangstern. Das Ganze wird von einem finsteren Helden erzählt, der die Zuschauer zu Komplizen seiner Schweinereien macht. Underwood ist kein heiliger Johann der Schlachthöfe, sondern ein moderner Mackie Messer. Niemand käme mehr auf die Idee, hier romantisch zu glotzen, und sinnfälliger ist der V-Effekt nie eingesetzt worden. Wenn jetzt noch einer auf offener Szene das Lied vom Haifisch und seinen Zähnen anstimmte, wäre das neue Lehrstück vollkommen.

Der arme Lohnschreiber B.B. hatte in Hollywood allen Grund zur Klage. "Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen/Fahre ich zum Markt, wo Lügen gekauft werden./Hoffnungsvoll/Reihe ich mich ein unter die Verkäufer", jammerte der unterbeschäftigte Lehrer in seinen Elegien aus Hollywood. Doch an dem von seinen Lehren inspirierten House of Cards hätte er seine helle Freude gehabt.

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