US-Serie "Girls" startet in Deutschland:Entkrampfung durch fülllige Hüften

Es ist das radikale Gegenprogramm zu "Sex and the City": Die 26-jährige Lena Dunham hat mit der US-Serie "Girls" die passende Antwort auf den Schönheitswahn der Nullerjahre entwickelt. Ihre Heldinnen sind ein bisschen kaputt - dafür aber hemmungslos.

Anne Philippi

Celebrity Sightings In New York City - May 25, 2012

Klamotten, Schuhe und eine Steintreppe: In "Girls" geht es zwar auch um Frauenthemen - da hören die Gemeinsamkeiten zur Kultserie "Sex and the City" aber auch schon auf.

(Foto: AFP)

Lena Dunham ist die Sensation auf der Emmy-Aftershow-Party Ende September. Sie hat sich zerfallende Häuser auf ihre rechte und linke Schulter tätowieren lassen. Auch sonst ist Lena nicht typisch Hollywood. Ihre Augen umrahmt Kajalschwarz, die Abiturientinnen-Fussel-Haare sind getrimmt. Übrig geblieben ist ein Pixie-Haarschnitt und ein Prada-Kleid. Es betont Lenas etwas füllige Hüften.

Natürlich landet sie am Tag danach auf der "Worst Dressed Liste" des Abends. Und natürlich würden Menschen in ihrem Entertainment-Showbiz-Beruf so bekleidet nicht mal an die Tankstelle fahren. Trotzdem, Lena wirkt. Niemand starrt auf das aufplatzende Sexbomben-Kleid der kolumbianischen Schauspielerin Sofia Vergara am Nebentisch. Man drängelt sich um die Mauer um Frau Dunham und ihre Freundinnen, die alle not so Hollywood ausschauen (eben wegen: Tattoos, Raucherzähnen, Schweißflecken).

Lenas Vater, ein Künstler und älterer Herr mit grauen Schläfen, versucht die Tochter ein wenig abzuschirmen. Das gelingt ihm nicht. Im Sekundentakt rauschen Frauen und Mädchen auf Dunham zu. Eine angetrunkene Paris-Hilton-Blondine streichelt Lenas Tattoos, eine Dunkelhaarige in Chanel kniet vor ihr, zwei Freundinnen gestehen Dunham mit Tränen in den Augen ihre Liebe. Was nur hat Lena dafür getan?

Dunham hat die Serie Girls für HBO entwickelt und damit die Sex and the City-Manolo-Blahnik-Welt fürs erste erledigt. Dafür muss man Lena Dunham danken. Und was kann Girls jetzt für uns tun? Die Serie, die jetzt beim Pay-Sender Glitz in Deutschland startet, ist wie frische Luft im Fernsehen. Das ist untertrieben. Girls ist wie reiner Sauerstoff, der die letzten Hirnzellen erreicht, vom Effekt her wie eine Ohrfeige, die man gerade eben noch aushalten kann, sogar eigentlich ganz schön findet. Wovon erzählt die Serie?

Es geht um vier Mädchen aus New York. Alle in ihren Zwanzigern. Keine plant die riesengroße Karriere - das war der Serien-Stoff der 80er Jahre. Keine verspürt große Lust am Slacker-Dasein - darin versackten die 90er Jahre. Keine möchte über Schönheitsoperationen sprechen - wie in den frühen Nuller-Jahren.

Sex, Drogen und Selbsthilfebücher

Alle vier Mädchen hätten nichts dagegen, in einer glamourösen Welt zu leben. Aber sie wissen gar nicht mehr genau, wie die aussieht, weil ihr Land gerade den Bach runtergeht. Also machen sie irgendwie weiter. Mit Sex, mit Geldverdienen, mit Selbsthilfebüchern, die im Müll landen. Drogen kommen vor, aber sie sind von minderer Bedeutung. Girls beschreibt die USA im Jahr 2012. Die Wege, Geld zu verdienen und an Sex zu kommen, stehen in direktem Zusammenhang mit der bad economy. Darauf kann man fast alle irrsinnigen und masochistischen Aktionen abwälzen.

Den Girls schaut man dabei jedoch sehr gerne zu. Da ist Hannah, gespielt von Lena Dunham selbst, eine manisch-depressive Schreiberin, deren Eltern ihr gleich alles Geld für das College streichen, weil sie es für ihr Landhaus brauchen. Hannah hat die meiste Zellulite und den meisten Sex, und zwar mit einem Soziopathen namens Adam aus Brooklyn, der weit davon entfernt ist, Hannah irgendwo rausholen oder befreien zu wollen. Hannah lebt mit Marnie, einer hübschen Galerieassistentin zusammen, die im Alter von Mitte zwanzig bemerkt, dass sie besser mit Mitte zwanzig noch nicht heiraten sollte, obwohl das bisher ihre Lebensplanung bestimmt hat.

Dann gibt es Jessa, ein lustiges Schandmaul, vom Typ her eher reiche Erbin, mit einer Menge Boheme-Quatsch im Kopf und hohem Verführungsdrive. Und schließlich erlebt man noch Shoshanna, die alles widerspiegelt, was die übliche Erziehung einer weiblichen Person in den USA irgendwann fast zwangsläufig zur Folge hat: die Anbetung der Kardashians, roséfarbene, aber gemütliche Jogginganzüge, den Wunsch, Jungfrau bis 25 bleiben, um dann aber Crack zu rauchen und den ganzen schlimmen Druck loszuwerden.

Dieses Leben enthält eine Menge peinlicher Momente

Die Serie ist darum so gut, weil Lena Dunham einfach ihr Leben nachspielt. Sie ist also so gut, weil dieses Leben eine Menge peinlicher Momente enthält. Dunhams großer Wurf gelang, weil sie "nie ein übermäßig politisches oder künstlerisches Statement machen wollte", wie sie bei der Emmy-Feier im Gespräch sagt. Sie agierte aus rein egozentrischen Gründen. Was interessiert mich? Und zwar jetzt?

Mit 26 Jahren, also zum Zeitpunkt der ersten Vollkrise, die man so erlebt, ist Dunham bereit, viel von sich öffentlich preiszugeben. Sie präsentiert ihre breiten Hüften und die etwas zu kleinen Brüste, wenn es die Szene denn erfordert - und, ja, derlei Erfordernisse gibt es viele. Sie zeigt Frauenfreundschaften, die von Eifersucht, Angst und Panik genauso wie vor süßen Tröstungsszenen strotzen. Und sie porträtiert Mädchen, die sich nicht automatisch den falschen Typen suchen. Sondern den, der für sie in diesem Moment eben der richtige ist. Wenn der Typ in diesem Moment eine Dumpfbacke ist, dann hat auch das seinen Sinn.

In Girls lebt niemand nach den Regeln einer Frauenzeitschrift, etwa von Cosmopolitan. Dafür sehen wir viel Pornografie, viel Angst und viel Spaß in den Mädchenzimmern von Brooklyn. Dunham selbst stammt aus diesem Prenzlauer Berg New Yorks namens Brooklyn. Sie hatte den späteren Modedesigner Zac Posen als Babysitter und Julian Schnabels Sohn Vito als Klassenkameraden. Wie es sich für ein Künstlerkind fast gehört, geht sie mit sieben Jahren zur Therapie, landet später auf dem Künstlercollege Oberlin, und dann, sie ist Anfang zwanzig, ist es Zeit für Dunhams erstes eigenes kleines Kunstwerk.

Lena drehte den Film Tiny Furniture mit ihrer Mutter in der Rolle der Mutter, der Schwester in der Rolle der Schwester und Lena in der Rolle von Lena, die vom College heimkommt und sich im aufstiegsorientierten Künstlerhaushalt ihrer Eltern nicht mehr auskennt. Der Film ist eine Art Vorstufe zu Girls und zeigt Lenas Talent, auch Beiläufiges unterhaltsam aufzublasen. Zwei Produzenten vom US-Sender HBO und Regisseur Judd Apatow sahen Lenas Film und boten ihr die TV-Serie an. Nicht wenige sagten Dunham gleich nach der ersten Folge eine große Zukunft à la Nora Ephron voraus. Sie bleibt aber, zumindest physisch, erstmal, wo sie ist. Und zwar in Brooklyn.

Bereit, für Hollywood Opfer zu bringen

"Ich mag es hier, ich kann meine Eltern sooft wie möglich sehen und irgendwann werde ich hier mit einem Dachshund, meinem Mann, zwei Kindern wohnen." Ab und zu wird sie natürlich nach Hollywood müssen, und daher werden Lenas Hüftringe wohl bald verschwinden. Sie ist bereit, für Hollywood Opfer zu bringen. "Ich werde nicht mehr nur Cardio-Training machen, ich fange jetzt mit Gewichten an. Ich ringe mich dazu durch." Bisher hat aber - außer ein paar Schwachsinnigen auf Twitter - niemand etwas gegen Dunhams Körper. Im Gegenteil. Er beruhigt viele.

Trotzdem, Dunham war am Partyabend der Emmys nicht angetreten, um es dem anorektischen Hollywood zu zeigen. Es ging um mehr. Und zwar um die Wahrheit aus dem Mädchenzimmer.

Girls, Glitz, von 17. Oktober an, mittwochs, 21.10 Uhr.

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