US-Serie: "Breaking Bad":Richtung Abstieg

Wie aus einem kleinen Sprung ein Scherbenhaufen und aus dem Familienvater Walter White ein Drogenkönig wird: Die Drama-Serie "Breaking Bad" trifft den Ton einer verzweifelten US-amerikanischen Gesellschaft.

Tobias Moorstedt

Bryan Cranston ist für amerikanische TV-Zuschauer im werberelevanten Alter zwischen 14 und 29 Jahren so etwas wie ein Ersatzvater. Kinder und Jugendliche verbringen viel Zeit alleine vor dem Fernseher, und während ihre Eltern im Büro arbeiten oder im Stau stecken, erschien Cranston in verschiedenen Serien als Familienvater auf dem Bildschirm, ging zur Arbeit, half bei den Hausaufgaben und saß am Wochenende auf der Fußballtribüne. Bryan Cranston spielte in der erfolgreichen Sitcom Malcom Mittendrin, und er lieh seine Stimme den Cartoons American Dad und The Family Guy. Im Laufe der Zeit ist Cranston so zum Prototypen des All American Dad geworden, dem gemütlichen Typen mit Baseballkappe und Khaki-Hose, der immer lacht und einem auf die Schulter klopft, wenn es nichts mehr zu sagen gibt.

Breaking Bad (7/7): Lehrgeld

Die US-Serie "Breaking Bad" auf Arte: Hauptfigur Walter White (Bryan Cranston, rechts) ist will größere Mengen Drogen an den skrupellosen Dealer Tuco (Raymond Cruz) verkaufen.

(Foto: © 2009 Sony Pictures Television)

Auch in seiner neuen Serie, dem amerikanischen TV-Drama Breaking Bad, ist Cranston verheiratet, er hat einen Sohn, und doch unterscheidet sich die Rolle als Walter White sehr von den braven Typen, die er sonst so spielte. Der Mann wird zur fremden Existenz in der Familie, zu einer dunklen Sonne, um die doch alles kreist.

Breaking Bad ist ein amerikanischer Slang, der den Übergang zwischen zwei Zuständen bezeichnet: Die fünf Tage alte Milch wird sauer. Eine Person nimmt vieles hin, scheint stabil und verändert sich dann doch. Cranston spielt den Chemiker Walter White, der in Albuquerque lebt, gerade seinen 50. Geburtstag feiert und als Highschool-Lehrer in New Mexico extrem unterfordert ist.

Die Milch kippt um

Er verdient nicht gut und muss, um die Behandlung seines gelähmten 15-jährigen Sohnes zu bezahlen, am Nachmittag in einer Autowaschanlage arbeiten. Manchmal wäscht er dort die Cabrios seiner Schüler. Skyler, seine Frau, ist wieder schwanger. Ihn plagt ein schwerer Husten. Als Nichtraucher Walt erfährt, dass er an einem inoperablen Lungenkarzinom leidet und dass die Versicherung die Behandlung nicht zahlen wird, fällt der letzte Tropfen, ist der Punkt erreicht: Breaking Bad.

Zusammen mit einem ehemaligen Schüler beginnt der begnadete Chemiker in einem alten Wohnmobil eine Drogenküche aufzuziehen und Crystal Meth zu kochen, also Methylamphetamin, das man aus billigen Zutaten produzieren kann und das im Südwesten der USA zu einer regelrechten Seuche und genau deshalb auch zu einem Milliardendrogenmarkt geworden ist. Walter White braut das beste Meth der Region, den Chateau Rothschild der Amphetamine, sozusagen.

Breaking Bad, analysierte die New York Times, ist die Sendung für das Zeitalter der großen Rezession: "Bei der Premiere im Sommer 2008 war die Welt, wie wir sie kannten, noch nicht untergegangen. Der Dow Jones stand über 10000 Punkte, und der Name Bernie Madoff war nur Insidern bekannt." Zwei Jahre später "fühlt sich die extreme Verzweiflung von Breaking Bad tatsächlich an wie eine Reportage".

Fernsehserien schreiben Zeitgeschichte und immer öfter auch in HD. Sex and the City (1998 - 2004) war die Entertainment-Ikone des Internetbooms und zeigte die reichen und schönen Dreißiger in einem Land, in dem Martini und auch sonst alles floss und sich das Kapital auf wunderbare Art und Weise selbst zu reproduzieren schien. Breaking Bad passt in eine Zeit, in der, wie Barack Obama in seiner Antrittsrede sagte, viele Menschen "das Gefühl haben, dass der amerikanische Traum seine Richtung geändert hat". Richtung Abstieg.

Zwischen Lebens- und Wirtschaftskrise

In den ersten Sekunden von Breaking Bad ist der Bildschirm nur blau. Ein leerer Himmel über der Wüste von New Mexico. Dann schwebt auf einmal eine beige Leinenhose, Bügelfalten, ca. Größe 56, durch das Bild, flattert und dreht sich. Das in Zeitlupe gefilmte Objekt erinnert an den fliegenden Knochen aus Odyssee 2001 oder den Fernseher, der in Antonionis Zabriskie Point nach einer Explosion in die Unendlichkeit wirbelt. Der Anfang und das Ende der Dinge.

Breaking Bad schwankt zwischen expressionistischer Montage und Momenten totaler Ruhe, die man eher aus einer Dokumentation kennt. Die Kamera erkundet in langen Einstellungen das Wohnzimmer, die Fotos an der Wand, den Nippes auf dem Wohnzimmertisch, die Postkarten, Pokale und Urkunden, mit denen Normalbürger ihren Wohnraum zustellen, vermutlich um das Gefühl zu haben, dass da doch etwas war, in den vielen Jahren.

Eine kurze Einstellung zeigt eine Urkunde, die dem Chemie-Doktoranden Walter White die Teilnahme an einem Projekt bescheinigt, das den Chemie-Nobelpreis gewonnen hat. "Walt stand die ganze Welt offen", sagt Breaking-Bad-Produzent Vince Gilligan. Seine Kommilitonen machten im Labor große Karriere oder gründeten Konzerne. Walter White steht in einem halbleeren Klassenzimmer und unterhält Schüler mit Bunsenbrenner-Spezialeffekten.

Gangster als Serienhelden

Das Massenmedium Fernsehen zeigt nicht nur Traumschiffe, Traumhochzeiten und Traumprinzen, sondern hat immer auch die Schatten der Gesellschaft aufgenommen. Neu ist, dass in vielen Crime Stories der Gegenwart nicht mehr der Tatort und die polizeilichen Ermittlungen, sondern die Täter im Mittelpunkt stehen. Die Liste der Emmy-Preisträger zurückliegender Jahre spricht Bände: James Gandolfini erhielt für seine Darstellung des Mafia-Paten Tony Sopranos drei Trophäen, dann gewann Michael Chiklis, der in The Shield den korrupten Cop Vic Mackey spielt, und seit 2008 hat Bryan Cranston ein Abonnement auf den wichtigsten Fernsehpreis der Welt. Sieben Mal seit 2000 wurde der Emmy an einen Schauspieler vergeben, der eine Figur zum Leben erweckt hat, die andere Figuren gewohnheitsmäßig aus dem Serienleben entfernt.

Walter White macht sich schon in der ersten Episode die Finger schmutzig. Er vergiftet rivalisierende Drogendealer und löst ihre Leichen in Fluorwasserstoffsäure auf. Das Chemiestudium macht sich endlich bezahlt.

Der Fernseher ist nicht nur das Fenster zur Welt, sondern auch zur Unterwelt. "Wir fühlen uns seit jeher zu den Schlägern, Außenseitern und bösen Jungs hingezogen", schreibt Richard Greene in dem Buch The Sopranos and Philosophy: I kill therefore I am über den seriellen Gangster-Boom: "Wir bewundern ihren rauen Individualismus und Erfindergeist, ihre Bereitschaft, ein Risiko einzugehen und die Notwendigkeit, das Leben als Experiment zu verstehen, es auf die Spitze zu treiben und einfach anders zu sein."

Auch Walter White beginnt seine Dealer-Karriere als Zuschauer. In einer der ersten Szenen sieht White einen TV-Bericht über das Geld- und Waffenlager einer Drogenbande, später begleitet er seinen Schwager Hank, der bei der Drug Enforcement Administration (DEA) arbeitet, bei einer Razzia und stellt fest: "Da steckt eine Menge Geld drin."

700 000 Dollar will Walter zusammen mit Kompagnon Jesse Pinkman verdienen, um seine Frau und Kinder auch nach seinem Tod zu versorgen. Dieser Rationalisierung und traditionellen Helden-Geste steht der tief sitzende Zorn des Gekränkten und Ausgeschlossenen gegenüber, der nun endlich die Mittel und den Mut besitzt, um sich an der Gesellschaft zu rächen - die perfekt konstruierten Molekül-Ketten, die er in die Gesellschaft einschleust, ist seine Waffe.

Walter White erinnert ein wenig an Figuren wie Kleists Michael Kohlhaas oder an den Woyzeck von Georg Büchner, ein Arbeiter, der von den Herrschenden und den Mitmenschen so lange ausgebeutet und hintergangen wird, bis er seinen Wendepunkt erreicht. Die Drogenkarriere von Walter White ist in gleichen Teilen motiviert von der Midlife-Crisis und der amerikanischen Wirtschafts- und Systemkrise.

Breaking Bad von diesem Samstag an bei Arte immer in Doppelfolgen, zwei Staffeln, zwei Staffeln, 22 Uhr.

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