US-Serie: "Boardwalk Empire":Nun geht der Spaß los

Kino versus Fernsehen, nächste Runde: Am Sonntag startet in Amerika die Prohibitions-Serie "Boardwalk Empire", betreut von Martin Scorsese.

Jörg Häntzschel

The Sopranos, die vor drei Jahren ausgelaufene Serie, die hauptverantwortlich ist für die gegenwärtige Blüte des Erzählens im amerikanischen Fernsehen, zeigte die Mafia im historischen Endkampf zwischen Stripclub, Elternabend und Ehetherapie. An diesem Sonntag kehrt der Bezahlsender HBO mit der neuen Serie Boardwalk Empire zurück zum organisierten Verbrechen in New Jersey. Doch diesmal geht es um dessen Anfänge in den zwanziger Jahren, als die Prohibition und das blühende Geschäft mit dem illegalen Alkohol ihren rasanten Aufstieg befeuerten.

US-Serie: "Boardwalk Empire": Atlantic City 1920, der Spielplatz der Welt ... Der Weltkrieg ist vorbei, die erste Konsumwelle rollt an, das Leben ist gut

Atlantic City 1920, der Spielplatz der Welt ... Der Weltkrieg ist vorbei, die erste Konsumwelle rollt an, das Leben ist gut

(Foto: TNT Serie)

HBO hat mit Boardwalk Empire alles getan, um nach einigen durchwachsenen Jahren an den Erfolg der Sopranos anzuknüpfen. Erfinder der neuen Serie ist Terry Winter, der neben David Chase wichtigste Autor der Sopranos. In der ersten Folge hat kein Geringerer als Martin Scorsese Regie geführt, der neben Hauptdarsteller Steve Buscemi einer der Produzenten der Serie ist. Und auch sonst scheute man keinen Aufwand. In Brooklyn wurde die historische Strandpromenade von Atlantic City aufgebaut, die in etlichen Massenszenen von Hunderten Statisten bevölkert wird. Die erste Folge allein kostete knapp 20 Millionen Dollar. "Die Grenzen zwischen Film und Fernsehen verschwimmen immer mehr", meinte Winter bei der Vorstellung der ersten Episode in New York. In ihrem Streben nach Opulenz und Raffinesse geht "Boardwalk Empire" noch mal ein Stück über die Standards hinaus, die erfolgreiche Serien in den letzten Jahren setzten, von den Sopranos bis zu Mad Men, dem gegenwärtig gefeierten TV-Highlight.

Atlantic City 1920, der "Spielplatz der Welt": In den lärmigen Nachtclubs, Casinos und Hotels am Boardwalk, der hölzernen Strandpromenade der Stadt, drängen sich die Ausflügler aus New York und Philadelphia. Jazz, Poker und Prostituierte, Liliputaner beim Boxen und Frühgeburten im Inkubator: Hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Dazu wird hemmungslos gesoffen. Und man hat durchaus Grund zum Feiern: Der Erste Weltkrieg ist vorbei, Amerikas erste Konsumwelle rollt an, das Leben ist gut.

Doch auch die Stadt des demokratischen Vergnügens hatte ihren Regenten: Enoch "Nucky" Johnson, der als Stadtkämmerer, Obermauschler und Großopportunist in Personalunion von seiner Suite im Ritz Carlton aus die Strippen zieht. Sein Bruder Eli, zufällig Sheriff der Stadt, hält ihm den Rücken frei. Doch zu wahrer Macht kommt Nucky (Steve Buscemi) erst dank des Geschenks, das ihm die Regierung in Washington macht: der Prohibition. Das Geschäft mit dem Alkohol, das die gesetzestreuen Händler aufgaben, fiel Ganoven wie ihm in die Hände. Und dank der drastischen Verknappung des Stoffs vervielfachten sich die Profite.

Die Serie, die Anfang nächsten Jahres auf TNT Serie auch in Deutschland zu sehen ist, beginnt am Vorabend von Amerikas bizarrem gesetzgeberischen Experiment: Nucky beglückwünscht die braven Streiterinnen von der Women's Temperance League zu ihrem Sieg über die Menschheitsgeißel Alkohol und rührt sie mit einer frei erfundenen Mär aus seiner Kindheit zu Tränen. Dann spaziert er hinüber ins Ritz und stößt mit den Honoratioren im Hinterzimmer auf die goldenen Zeiten an, die die Prohibition der Stadt, seinen Leuten und vor allem ihm selbst bescheren wird: "Wir bieten ein Produkt, das die Leute einfach haben müssen."

Schiffsladungen von kanadischem Whiskey

Nucky ist nicht der Einzige in Atlantic City, der die neue Epoche mit einem breiten Grinsen im Gesicht erwartet: "4, 3, 2, 1 ..." zählen Hunderte Partygäste in "Babette's Supper Club" die Sekunden vor Mitternacht, als das Alkoholverbot in Kraft tritt. Ein paar Momente lang liegen sich die tanzenden Paare in gespielter Trauer in den Armen, während die Band Molltöne anstimmt, dann explodiert der Jubel: "Prohibition!" Und bevor man sich zuprostet, werden die Gläser noch einmal aufgefüllt. Nun, da sind sich alle einig, geht der Spaß erst richtig los.

Vor allem für Nucky, der nachts Schiffsladungen von kanadischem Whiskey anlanden lässt, den er dank seiner Beziehungen zu irischen, italienischen und jüdischen Gangstern wie Lucky Luciano, die hier am Beginn ihrer Karrieren stehen, mit phantastischem Profit weiterverkauft. Darunter ist auch ein besonders dreckig lachendes Bürschchen, dessen Name 1920 nicht mehr als ein Achselzucken hervorruft: Al Capone.

Der historische Nucky Johnson ähnelte den bulligen, aggressiven Typen, von denen es in HBOs Atlantic City nur so wimmelt. Dass es der grandiose Steve Buscemi ist, der den Nucky Thompson in der Serie spielt, gibt "Boardwalk Empire" einen faszinierenden Twist: Buscemis Nucky scheint vor lauter Verkommenheit von innen zu verfaulen, doch niemanden scheint das mehr zu quälen als ihn selbst. Es ist, als trüge er sein Magengeschwür im Gesicht. Wie diese von inneren, wenn auch nicht moralischen Konflikten zerrissene Figur sich durchsetzt gegen seine vor Gesundheit strotzenden Gangsterfreunde und gegen Rivalen wie seinen Adlatus, den Kriegsheimkehrer Jimmy Darmody (Michael Pitt), das dürfte eine der Fragen werden, die den Zuschauer durch die Folgen zieht.

Bei der Vorstellung der ersten Episode in New York machte Terry Winter noch einmal klar, was die Serien der Bezahlsender denen der werbefinanzierten Kanäle voraushaben: "Konventionelle Serien sind dazu da, dem Publikum zu versichern: Alles ist okay, wir fangen den Mörder, bevor die Stunde rum ist, und jetzt geht raus und kauft etwas! Der kreative Prozess wird beherrscht von der Angst vor den Werbekunden. Beim Drehbuchschreiben fühlt man sich, als trüge man Handschellen. Die ,Sopranos' waren anders: Die Welt war nicht in Ordnung, die Mörder wurden nicht gefangen. Sie waren unsere Protagonisten!"

Mittlerweile jedoch konkurrieren Sender wie HBO nicht mehr mit dem konventionellen Fernsehen, sondern mit Hollywood, das in einer der größten Krisen seiner Geschichte steckt. Die DVD-Verkäufe sinken, neue Online-Vertriebssysteme sind noch nicht durchgesetzt, die Kreditmärkte sind leergefegt, und die Kosten, die in den guten Jahren exorbitante Höhen erreicht haben, lassen sich nur mühsam an die neuen Verhältnisse anpassen. Auf Independent- und Arthouse-Filme, die im Kino vor wenigen Jahren eine goldene Zukunft zu haben schienen, lassen sich die Studios immer seltener ein. Die Zeit der Experimente scheint im amerikanischen Kino fürs Erste vorbei zu sein, die schwierigen Produktionsbedingungen schlagen durch auf die kreative Arbeit der Autoren und Regisseure. Und weil Experimentieren immer dann besonders effektiv ist, wenn man es in Langzeit betreibt, bietet das Fernsehen sich als Ausweichlabor fast natürlich an. "Die kreative Energie, die das neue Erzählen im Fernsehen entfaltet", sagt Scorsese, "ich hoffe, sie spiegelt sich im Plot."

"Movies are anywhere!"

In den letzten Jahren haben Serien wie Sopranos, Lost, 24, The Wire oder Glee Kultstatus erlangt, sie haben nicht nur phänomenale Einschaltquoten erzielt, sondern werden seit langem von den Kritikern - auch: den Filmkritikern - für ihren Erfindungsreichtum gerühmt. Die Zukunft des modernen Erzählens - seiner Techniken, seines Suspense, seiner Psychologie - wird dann nicht im Kino, sondern im Fernsehen gesehen. "Sind Filme schlecht, oder ist das Fernsehen einfach nur besser?", hat A. O. Scott vor einigen Tagen in der New York Times die entscheidende Frage gestellt, als er einen durchwachsenen Kinosommer und einen nicht sehr vielversprechenden Kinoherbst skizzierte.

Ein Paradigmenwechsel auf dem Terrain der Massenkommunikation ist unverkennbar - die Leute reden kaum noch über den neuen Film in den Kinos, der meistens sowieso eine Fortsetzung zweiten, dritten, vierten Grades ist, sondern bevorzugt über die aktuellen Fernsehserien. Gehört dem Fernsehen, das sicher ebenfalls einige heftige Überlebensprobleme hat, in Zukunft die Loyalität der Zuschauer? Und die der Autoren und Regisseure? Leute wie Terry Winter lassen in diesen Zeiten das Kino Kino sein und arbeiten fürs Fernsehen: "Wenn man als Drehbuchautor die Wahl hat zwischen dem vierten Sequel einer Comic-Verfilmung oder einem 60-stündigen psychologischen Drama, ist klar, wofür man sich entscheidet."

"Movies are everywhere! Everyone loves movies!", seufzt A. O. Scott, das war jahrzehntelang die Parole, von keinem angezweifelt, aber nun scheint die Liebe zwischen der Filmindustrie und ihrem Publikum erkaltet zu sein. Sollte man es da als ein Symptom sehen, dass ausgerechnet Martin Scorsese eine der treibenden Kräfte ist beim "Boardwalk Empire"? Er setzt in dieses Projekt eine Hoffnung, die schon das Fernsehen der Sechziger kurz geweckt, dann aber doch nicht erfüllt hatte - "diese Art Freiheit, die Möglichkeit, eine andere Welt zu erschaffen und Figuren zu entwickeln in einer langen Erzählform".

Der geniale Cineast Scorsese, der in den Siebzigern im Zentrum des großen Aufbruchs des Jungen Hollywood stand, der seitdem mit unglaublicher Energie das neue Kino immer weitertreibt und das alte zu bewahren sucht - vielleicht ist sein Engagement fürs Fernsehen am Ende ein notwendiger Umweg, um dann doch die Rettung des Kinos durchzuziehen.

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