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US-Pay-TV am Scheideweg:HBO kämpft mit der Internet-Konkurrenz

"Sex and the City", "The Wire" oder "The Sopranos": Der US-amerikanische Pay-TV-Kanal HBO lieferte jahrelang brillante Serien, die selbst Hollywood alt aussehen ließen. Jetzt ist der Sender mit der Konkurrenz durch das Free TV und das Internet konfrontiert und viele fragen sich: Wie lange kann HBO mit seinem Konzept noch durchhalten.

Jörg Häntzschel

Spricht man amerikanische Schriftsteller heute auf die Zukunft der Literatur an, wiegen sie skeptisch die Köpfe. Doch fragt man sie nach dem Fernsehen, wachen sie auf. "Wir produzieren das beste Fernsehen, das es je gab", meint etwa Jonathan Franzen, sicher kein Freund leichtfertiger Superlative. "Serien wie The Wire sind phantastisch!" Auch Gary Shteyngart, Autor der Romane Absurdistan und Super Sad True Love Story jubelt: "The Wire, The Sopranos: Besser wird nirgendwo in Amerika erzählt."

Beide Serien, wie so viele andere, stammen von HBO, dem amerikanischen Pay-TV-Kanal, der im Ozean von Trash und Gelächter des amerikanischen Kabelfernsehens eine Insel der Qualität geschaffen hat. "It's not TV, it's HBO", lautet der Slogan des Senders bis vor kurzem.

Die Qualität gründet auf dem Geschäftsmodell. HBO ist werbefrei. Das heißt nicht nur, dass keine lauten Spots für Katzenfutter oder Bauchtrainer die Erzählungen unterbrechen. Es heißt, dass keine dritte Partei zwischen dem Sender und dem Zuschauer steht: "Konventionelle Serien sind dazu da, dem Publikum zu versichern: Alles ist okay, wir fangen den Mörder bevor die Stunde rum ist, und jetzt geht raus und kauft etwas!", sagt Terence Winter, der nach den Sopranos mit der Prohibitionssaga Boardwalk Empire zur Zeit seine zweite HBO-Serie macht. Oder, wie es Jeff Bewkes erklärt, CEO der HBO-Mutter Time Warner: "Wenn Sie für Fernsehen nicht bezahlen, sind Sie nicht der Kunde, sondern das Produkt."

Dafür sind rund 28 Millionen Zuschauer auch bereit zu zahlen: Um die 15 Dollar kosten HBO und seine sechs Nebenkanäle pro Monat - zusätzlich zu den bis zu 100 Dollar Gebühren, die für das Kabel-Standard-Paket zu zahlen sind.

So bemerkenswert der Aufstieg von HBO zu einer der wichtigsten kulturellen Instanzen in den USA ist - noch überraschender ist, dass er in einer Zeit stattfand, da die Gratismentalität um sich griff, das übrige TV drastisch an Relevanz verlor und besonders die Jüngeren sich ihre Unterhaltung im Internet suchten. HBO schien von all dem völlig unberührt. Und weil es blendend lief, sah auch niemand einen Grund, das jahrzehntealte Abonnementmodell zu überdenken. Nun beginnen sich viele zu fragen, wie lange HBO noch so weitermachen kann.

HBO steht für Home Box Office, was sehr frei übersetzt soviel heißt wie "Kino zu Hause". Als es Anfang der siebziger Jahre gegründet wurde, zeigte es vor allem Kinofilme, Boxkämpfe und andere Sportevents. Erst in den späten Achtzigern begann HBO, Serien zu produzieren. Das HBO, das man heute kennt, begann um 1999 mit Sex and the City und vor allem The Sopranos. Den Publikumserfolg letzterer konnte HBO nicht wiederholen. Doch den Erfolg bei der Kritik übertraf man noch. Mit der hyperkinetischen Serie The Wire bewies HBO nicht nur, was im Fernsehen möglich ist, wenn man sich nur traut. Es ließ auch das Kino altmodisch und brav aussehen.

Kein Hollywood-Regisseur hat die Möglichkeit, in dieser Komplexität und Breite zu erzählen. Und das vor einem Millionenpublikum anspruchsvoller, geduldiger Zuschauer, die den Multiplex immer öfter den 17-Jährigen überlassen.

Für Leute wie Winter liegt die Attraktivität von HBO auf der Hand: "Wenn man als Drehbuchautor die Wahl hat zwischen dem vierten Sequel einer Comic-Verfilmung oder einem 60-stündigen psychologischen Drama, ist klar, wofür man sich entscheidet." Nun, da fürs Fernsehen zu arbeiten nicht mehr peinlich ist, da nicht mehr Romane oder Filme sondern Serien wie The Wire die Gegenwart definieren, interessieren sich auch Schriftsteller wie Shteyngart dafür.

Auch er sitzt zur Zeit am Konzept für eine HBO-Serie. Ähnlich geht es Hollywood-Veteranen. Martin Scorsese führte in der ersten Episode von Boardwalk Empire (deutsch bei TNT Serie) Regie und ist einer der Produzenten. Michael Mann dreht die Pilotfolge der im Januar anlaufenden Serie Luck, in der Dustin Hoffman und Nick Nolte zwei Zocker auf der Pferderennbahn spielen. Auch Aaron Sorkin, Autor des Drehbuchs von The Social Network, ist bei HBO unter Vertrag. Er arbeitet an einer Serie über das TV-Nachrichten-Geschäft.

Dass die großen Namen sich bei HBO so wohl fühlen, liegt nicht nur am großzügigen Serienformat und den kompromisslosen Qualitätsstandards, sondern auch am Geld. Während Arthouse-Projekte es im zunehmend risikoscheuen Hollywood immer schwerer haben, gibt HBO für Serien immer mehr aus. Die erste Episode von Boardwalk Empire, für das eine 300 Meter lange Kulisse in Brooklyn aufgebaut wurde, kostete 20 Millionen Dollar.

Trotzdem all dem ist HBO kein Zuschussgeschäft. Im letzten Jahr soll der Sender ein Viertel der Profite seiner Muttergesellschaft Time Warner erwirtschaftet haben. Doch wie lange die guten Zeiten anhalten, will niemand prophezeien. Das Monopol im Pay-TV-Sektor hat HBO vor langem verloren, als Showtime, Starz und Encore sein Modell kopierten. Es machte einen fatalen Fehler, als es die Erfolgsserie Mad Men ablehnte, die dann auf dem werbefinanzierten Sender AMC für Furore sorgte. Seitdem hat AMC mit Breaking Bad, dem so trostlosen wie brillanten Drama um einen krebskranken Drogenkocher noch nachgelegt und ist nun als kostenlose Alternative zu HBO fest etabliert. Schwerer wiegen jedoch Veränderungen, die mit dem Seriengeschäft nichts zu tun haben.

Den größten Teil des täglichen Programms machen bei HBO immer noch die Spielfilme aus, die hier ein knappes Jahr nach dem Kinostart zu sehen sind. Vor ein paar Jahren noch war das für viele Grund genug, die monatliche Gebühr zu zahlen. Heute jedoch lassen sich dieselben Filme auch anderswo sehen, und das oft billiger. Amazon oder Hulu werden mit ihren Streaming-Diensten trotz noch bescheidener Bildqualität immer mehr zur ernstzunehmenden Alternative zu DVD und Fernsehen. Nachhaltiger wird wohl Apple die amerikanische Fernsehbranche aufmischen wenn nächstes Jahr wie erwartet sein iTV auf den Markt kommt - was auch immer sich am Ende dahinter verbirgt.

Und dann ist da Netflix, der vorerst größte Konkurrent. Der DVD-Service mit gut 20 Millionen Abonnenten will weg von den berühmten roten Umschlägen, in denen er seine Leihfilme verschickte. Für nur acht Dollar monatlich können Netflix-Abonnenten im Netz so viele Filme ansehen, wie sie wollen. Noch ist das DVD-Angebot ungleich reichhaltiger, doch dank des Portos, das Netflix durch Streaming spart, dürfte sich das bald ändern. Nun will Netflix auch eigenen Content produzieren: Nächstes Jahr soll mit dem Politdrama House of Cards, der Adaption einer BBC-Miniserie von 1990, die erste Eigenproduktion starten. David Fincher (The Social Network), soll Regie führen, Kevin Spacey die Hauptrolle spielen. Bis zu 100 Millionen Dollar soll Netflix dafür geboten haben. HBO und AMC konnten nicht mithalten.

Dramatische Veränderungen überall, doch HBO funktioniert noch immer wie vor 40 Jahren. Noch immer ist es an die Kabelprovider und ihre aufgeblähten und überteuerten Programmpakte gekettet. Man stelle sich einen Supermarkt vor, verglich es der Economist treffend, in dem das eine Produkt, das man kaufen will, nur zu haben ist, wenn man auch alle anderen nimmt. In Krisenzeiten macht das HBO anfällig. 35 Prozent der Abonnenten stammen aus unteren Einkommensschichten.

Die Infrastruktur für HBOs Befreiung ist schon da: Im vorigen Jahr startete HBO Go, ein Web-Portal, das zur Zeit 600 Stunden Programm bietet. Mobil-Apps folgten. Doch die Loslösung von den Kabelfirmen ist komplizierter als die Scheidung einer Prominentenehe. Im infrastrukturell abgeschlagenen Amerika fehlt es vielen an Bandbreite, um Filme stotterfrei im Netz sehen zu können. Und Zuschauer dazu zu bewegen, für Online-Content zu bezahlen, ist schwer. Bisher ist das Angebot nur für Abonnenten zu haben, für die also, die es gerade nicht brauchen. Doch früher oder später wird der Moment kommen, da HBO realisiert, dass es das Kabel nicht mehr braucht, weil es das Internet schon gibt.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2011/rela/pak
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