US-Medien: Washington Post:Die höhere Zeitungsschule

Neid und Staunen bei der Konkurrenz: Jahr für Jahr meldete die "Washington Post" dicke Gewinne aus ihrem Bildungsunternehmen, das wuchs und wuchs. Doch die Redaktion war abhängig von öffentlichen Fördergeldern, die teilweise mit falschen Angaben erschlichen wurden. Nun ist das Geschäftsmodell entzaubert.

Thomas Schuler

Als der Vorstandsvorsitzende der Washington Post Company, Donald E. Graham, am 12. Mai im Auditorium des Verlagsgebäudes in der amerikanischen Hauptstadt vor seine Aktionäre trat, lag ihm - wieder mal - vor allem an einem Thema: die Zukunft der Hochschulbildung in den USA. Er sprach über das Tochterunternehmen Kaplan, einen Bildungsdienstleister, und sagte: "Unsere Colleges und Online-Universitäten nutzen Studenten, die einen Job oder einen besseren Job brauchen."

US-Medien: Washington Post: Für 2011 und die kommenden Jahre rechnet die Washington Post Company mit deutlichen Einbußen.

Für 2011 und die kommenden Jahre rechnet die Washington Post Company mit deutlichen Einbußen.

(Foto: AP)

Der 66-jährige Verlagschef ließ während seines Vortrags Schaubilder über Risikofaktoren für Studienabschlüsse und Gründe für den Abbruch eines Studiums an die Wand werfen, und er klang eher wie der Präsident einer privaten Hochschule denn der Vorstandsvorsitzende eines großen Medienkonzerns. Während andere Zeitungsverleger sich den Kopf zerbrechen, wie man mit Journalismus im Internet Geld verdienen kann, sprach Graham über die Notwendigkeit, armen Amerikanern zu einem College-Diplom zu verhelfen. Um zu verstehen, warum ihn dieses Thema so sehr umtreibt, muss man wissen, dass Bildung für seine Zeitung das Überlebensthema geworden ist.

Als die Washington Post in den siebziger Jahren den Watergate-Skandal enthüllte und damit dazu beitrug, dass Präsident Richard Nixon zurücktreten musste, galt sie als Symbol der Pressefreiheit. Als Zeitung, die dem Allgemeinwohl dient.

In diesem Geist erzog die damalige Verlegerin Katharine Graham ihren Sohn Donald, der ihr als Verleger nachfolgte. Umso mehr muss es ihn heute schmerzen, dass sein Verlag plötzlich im Verdacht steht, Steuergelder zu Unrecht kassiert zu haben. Sein Geschäftsmodell, das die Unabhängigkeit der Zeitung sichern sollte, steht auf dem Spiel.

Donald Graham leistete seinen Militärdienst in Vietnam. Als er zurückkam, hätte er in der Zeitung oder im Verlag Karriere machen können. Er aber wurde Streifenpolizist. Eineinhalb Jahre versah er seinen Dienst in einem von Armut und Drogen geplagten Viertel der Stadt. Erst danach stieg er ins Zeitungsgeschäft ein, arbeitete als Lokalreporter, leitete die Sport-Redaktion und absolvierte Stationen im Verlag. 1974 nahm er erstmals an einer Vorstandssitzung teil.

Ein anderer Neuling im Vorstand damals hieß Warren Buffett. Der Finanzfachmann ist der Washington Post verbunden, seit er sie in seiner Kindheit austrug. Später wurde er ihr größte Aktionär, und seit Jahrzehnten berät er die Grahams in allen Finanzangelegenheiten. (Im Mai schied Buffett nach 37 Jahren aus dem Vorstand aus.) Seit 1991 steht Donald Graham an der Spitze des Verlags, zu dem neben der Post regionale Zeitungen, Fernsehstationen und Kaplan gehören.

Während seine Mutter bekannt wurde für extravagante Maskenbälle, zu denen sie Schriftsteller wie Truman Capote einlud, meidet Donald Graham Partys und Öffentlichkeit. Wenn sein Name in der Zeitung auftaucht, dann, weil er sich den Vorstandsvorsitz seit 1991 mit 400.000 Dollar jährlich entlohnen lässt und jede Gehaltserhöhung ablehnt. Seine Botschaft: Geld ist ihm nicht wichtig. Er kann sich das leisten, schließlich kassiert die Familie eine Millionen-Dividende. Graham ist bekannt dafür, dass er - wie am 6. Dezember im New Yorker Grand Hyatt Hotel - Analysten der Wall Street belehrt, er halte nichts von ihren kurzfristigen Vorhersagen. Sie interessierten ihn nicht. Viel lieber sprach er auch in New York über die Notwendigkeit staatlicher Förderung für die Studenten von Kaplan.

Sonderbares Engagement

1984 kaufte die Post auf einen Rat von Warren Buffett das New Yorker Unternehmen, das junge Leute auf Prüfungen vorbereitete. Katharine Graham empfand den Nachhilfedienst zunächst als sonderbares Engagement für ihren Verlag und sagte einem Manager: "Die Sache interessiert mich nicht die Bohne, aber wenn du glaubst, dass damit Profit zu machen ist, habe ich nichts dagegen."

Mittlerweile ist Kaplan die Cashcow des Unternehmens. Profitabel wurde Kaplan von 1997 an dank der Idee und Erlaubnis, Studienabschlüsse und Diplome online zu vergeben. Allein zur Unternehmenssparte Kaplan Higher Education gehören heute 70 private Hochschulen und Universitäten mit mehr als 100 000 Studenten, die Kurse über Jura, Buchhaltung oder Kosmetik belegen. Viele dieser Studenten können nur studieren, weil sie vom Staat mit Stipendien unterstützt werden, die sie später zurückzahlen sollen. Die staatlichen Zuschüsse sind üppig und belaufen sich auf immerhin bis zu 65 000 Dollar pro Studium.

Kaplan fuhr Millionen-Gewinne ein und steuert mehr als 50 Prozent zum Gewinn bei. Graham hat den Verlag deshalb umbenannt: Statt Medienunternehmen nennt sich die Washington Post nun Education and Media Company. Der Chefredakteur der New York Times, Bill Keller, sagte 2007 zum Journalistenfachblatt American Journalism Review: Die Washington Post Company sei ein Bildungsunternehmen geworden, das zufällig eine Zeitung besitze. Sie habe sich vom Journalismus verabschiedet.

Teil der Lösung oder Teil des Problems?

Tatsächlich erwirtschaftet der Verlag der Washington Post seinen Gewinn heute nicht mehr mit Journalismus, sondern mit privaten Fernuniversitäten. Inzwischen macht die Zeitung Verluste, die Kaplan trägt. Spötter haben die Washington Post umgetauft in "Kaplan Post".

Zeitungen in den USA haben seit Jahren Sorge, ob sie überleben - nur die Washington Post nicht. Sie meldete jedes Jahr dicke Gewinne aus ihrem Bildungsunternehmen, das wuchs und wuchs. Medienmanager blickten jahrelang mit einer Mischung aus Neid und Staunen auf die finanzielle Ausstattung der Washington Post. Bertelsmann-Chef Hartmut Ostrowski spricht seit Jahren davon, dass sein Unternehmen mit einer Investition im Bereich Bildung wachsen soll.

Seit klarer wurde, was es mit diesem "Wunder" auf sich hat, muss sich die Redaktion der Washington Post fragen: Ist das Bildungsunternehmen Kaplan Teil der Lösung oder Teil des Problems? Denn mit Kaplan wurde die Zeitung abhängig von staatlichen Fördergeldern, die zudem teilweise mit fragwürdigen Methoden erschlichen wurden.

Kritiker werfen Kaplan vor, das Unternehmen berate Studenten falsch und dränge sie, Fördergelder für wertlose Studienabschlüsse zu beantragen, die sie nie im Leben zurückzahlen können. Mit anderen Worten: Kaplan und die Post erzielen ihre Gewinne auf Kosten der Steuerzahler und auf Kosten einkommensschwacher Bürger, die sich verschulden. Der Nutzen für Studenten und vor allem die Quote der Rückerstattung bleibt hinter den Erwartungen zurück. Untersuchungen ergaben, dass nicht einmal 30 Prozent der Studenten die Stipendien zurückzahlen können.

Die New York Times schrieb im November 2010: "Gesetzgeber und Bildungsministerium sind zunehmend besorgt, dass ein zu großer Teil der 26,5 Milliarden Dollar, die vergangenes Jahr an Studienförderprogrammen an kommerzielle Colleges gingen, nicht den Studenten halfen, sondern Aktionäre und Manager bereicherte."

Kaplan ist nur eines von mehreren großen Bildungsunternehmen, das von Staatsgeldern lebt. Doch weil es sich auf einkommensschwache Studenten und auf Kriegsveteranen konzentrierte, profitierte es besonders von staatlichen Zuschüssen, während zugleich die Quote der Studienabbrecher über dem Durchschnitt liegt. Es muss Donald Graham schwer treffen, dass ausgerechnet ihm vorgeworfen wird, arme Studenten und alleinerziehende Mütter auszunutzen und sich an ihnen zu bereichern. Er verteidigt sich, dass Studenten bei Kaplan eben mehr Risikofaktoren aufwiesen als Studenten anderer Universitäten. Es sei logisch, dass sie öfter scheiterten.

Das ist offenbar nicht die ganze Wahrheit. Eine Untersuchung der Regierungsbehörden bei 15 Colleges ergab im August 2010, dass alle ihre Studenten ermutigten, falsche Angaben zu machen, um an Fördergelder zu kommen. Den Studenten machten sie zudem falsche Vorstellungen vom Wert ihrer Diplome. Mitarbeiter von Kaplan warben Studenten an mit dem Hinweis, dass der Ruf der Washington Post für die Qualität von Kaplan bürge. Die Untersuchung löste öffentliche Anhörungen und diese wiederum viel Kritik aus, denn die Missstände waren gut belegt. Die Regierungsbehörden hatten undercover ermittelt und die Beratungsgespräche gefilmt und die Protokolle online gestellt. Graham betonte, die Missstände seien ärgerlich, aber Ausreißer. Ehemalige Mitarbeiter wie William Wratten, ein Studentenberater von Kaplan in Chicago, widersprachen: Sie seien die Regel. Es laufen mehrere Klagen gegen Kaplan. Die Regierung kündigte Änderungen an und will nur noch Privat-Unis fördern, die eine hohe Quote an Abschlüssen aufweisen. Kaplan ist von dieser Änderung stark betroffen.

Kaplan und die Washington Post verdienten jahrelang gut mit Fördergeldern. Ende 2010 machten diese Gelder mehr als 90 Prozent des Umsatzes von Kaplans Firmensparte Higher Education aus. Rund ein Drittel der Einnahmen des Verlags kommen mittlerweile vom Staat. Ist die Washington Post heimlich zur öffentlich subventionierten Publikation geworden? Eine Sprecherin von Kaplan betont, das Geld komme nicht vom Staat, sondern von Studenten, die es vom Staat beziehen. Das ist formell richtig. Aber wo ist der Unterschied?

Ist die Unabhängigkeit einer der wichtigsten und einflussreichsten Zeitungen des Landes gefährdet? Das Onlinemagazin salon.com betonte: Die Washington Post sei abhängig von diesen Einnahmen und damit von jenen Personen und Einrichtungen, die sie eigentlich kontrollieren soll. Zu erwarten, dass sie die Regierung kontrolliere, sei "absurd".

Wie soll die Zeitung damit umgehen? Eine unabhängige Reportergruppe mit Recherchen darüber beauftragen? Das hat die Redaktion erwogen, sah dann aber davon ab. Die Kritik wird offenbar auch in der eigenen Redaktion als berechtigt und als echte Bedrohung empfunden, sodass die Zeitung im April selbst groß über Fehler, Versäumnisse und die Gefahren für ihre Unabhängigkeit durch Kaplan berichtete. Die Post fragte: "How did The Post Co. end up here?" - Wie konnte es dazu kommen?

Geschäftsmodell wird überarbeitet

Pikant ist: Der Verlag der Washington Post hat allein 2010 mehr als 800.000 Dollar für Lobbying aufgewendet, damit die Regierung die finanzielle Unterstützung für die Studenten nicht kürzt. Verlagschef Graham hat sich persönlich gegenüber Abgeordneten für Stipendien eingesetzt (Er sagte: "I will go anywhere and meet with anyone to make the case for our work.").

Im Wall Street Journal warnte er in einem Gastkommentar vor einer "Katastrophe für arme Studenten", falls die Stipendien gekürzt würden. Graham schrieb, ihm gehe es vor allem um die Zukunft der armen Studenten - doch das nimmt man ihm nicht mehr so einfach ab. Zu viel steht für ihn und seinen Verlag auf dem Spiel. Graham sei der prominenteste Verteidiger dieses Stipendiensystems, schrieb die New York Times.

Wie soll da die Washington Post noch unabhängig sein in dieser Sache? Als die Regierung Kürzungen ankündigte, wandte sie sich in einem Leitartikel dagegen. Zwar erwähnte sie den Interessenkonflikt in ihrer Berichterstattung über Kaplan, aber das genügt Kritikern nicht.

Selbst der eigene Ombudsmann forderte, die Berichterstattung über die Vorwürfe gegen Kaplan müsse intensiviert und umfangreicher werden. Dass die Kritik an bewusstem Missbrauch der staatlichen Fördergelder und mangelnder Kontrolle zumindest teilweise berechtigt ist, haben Kaplan und die Post inzwischen zugegeben und angekündigt, das Geschäftsmodell zu überarbeiten und einen Teil jener armen Studenten, die man jahrelang umwarb, künftig abzulehnen.

Außerdem bietet Kaplan ein mehrwöchiges kostenloses Probestudium an. Die Zahl der Neueinschreibungen ist um fast die Hälfte gesunken. Kaplan musste 700 Mitarbeiter entlassen. Das wiederum bedeutet kräftige Einbußen für den Verlag. Das wundersame Modell, das die Washington Post vor der Krise schützte, ist entzaubert. "Kaplan's problems are deep and real", zitierte der Ombudsmann der Washington Post Ende 2010 einen Experten und forderte Aufklärung. Für 2011 und die kommenden Jahre rechnen Kaplan und Washington Post Company mit deutlichen Einbußen.

Im Verlag der Washington Post ist man sich offenbar keiner Schuld bewusst. Den eigenen Reportern sagte ein Manager im April, die Schuld bestehe allenfalls darin, "dass wir übermäßig optimistisch waren". Die Zeitung war nicht gemeint.

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