US-Medien nach Trump-Sieg:Die Kritik an den Medien - und was daran wahr ist

Republican presidential nominee Donald Trump is seen on television screens at the media room during the first presidential debate with U.S. Democratic presidential candidate Hillary Clinton at Hofstra University in Hempstead

Eine Armada von Journalisten kürte Hillary Clinton zur Gewinnerin der Fernsehdebatten. Dem späteren Wahlsieger Donald Trump scheint das nicht geschadet zu haben.

(Foto: Carlos Barria/Reuters)

Dass Trump die Medien überraschte, ist ein beachtlich schlechtes Zeugnis ihrer Arbeit. Ihre Glaubwürdigkeit ist angekratzt - und könnte unter Präsident Trump noch mehr leiden.

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Die Medien-Kolumnistin der Washington Post, Margaret Sullivan, fällte nach der Wahl ein nüchternes wie hartes Urteil: "Um es klar auszudrücken: Die Medien haben verschlafen, worum es ging."

Solche oder ähnliche Sätze waren in den vergangenen Tagen häufig zu hören: Triumphierend von den Konservativen, wütend von den Demokraten, zerknirscht aus der Branche selbst. Die Tatsache, dass der Trump-Sieg nicht nur die Medien, sondern auch ihre Leser, Zuschauer und Zuhörer überraschte, ist ein beachtlich schlechtes Arbeitszeugnis für die Wahlkampf-Berichterstattung, und das über die USA hinaus.

Doch was genau die Medien versäumt haben (und wer oder was "die Medien" überhaupt sind), ist eine andere Frage. An Kritikpunkten mangelt es nicht, und manchmal sind sie widersprüchlich. Einerseits wird den Medien vorgeworfen, dass sie Trump auf den Leim gegangen sind, der seinen Aufstieg von Anfang an als Mediengeschichte inszenierte: vom Unternehmer zum Prominenten, vom Prominenten zum Kandidaten und dann zum Präsidenten.

Die gerade am Anfang mit großer Faszination verbundene Bereitschaft, seinen Tabubrüchen (und damit seiner Botschaft) Zeilen und Sendeplätze zu geben, steht im Zentrum dieses Vorwurfs.

CNN zeigte über Monate hinweg ein leeres Podium, auch wenn Trumps Rede erst eine halbe Stunde später angesetzt war. Die zynische Aussage des CBS-Chefs Les Moonves aus dem Frühjahr, der Trump-Erfolg sei "verdammt gut" für seinen Sender, hallt nach. Nun habe sich Trump als "tödliches Klickfutter" entpuppt, wie es der Journalismus-Professor Jeff Jarvis beschreibt.

Andererseits waren die Berichte über Trump häufig sehr kritisch (hier sei nur auf die Arbeit von Post-Journalist David Fahrenthold verwiesen), was wiederum die Konservativen und die Politik-Verdrossenen auf den Plan ruft: Sie sehen darin eine Unterstützung Hillary Clintons durch eine progressive Journalisten-Kaste, die längst nicht mehr weiß, welche Probleme die Menschen wirklich haben, und dabei zum Akteur statt zum Berichterstatter geworden ist. Selbstkritisch fragen daher jetzt der Herausgeber und der Chefredakteur der New York Times in einem Brief an ihre Abonnenten, ob es sein kann, dass sie die Unterstützung unterschätzt haben, die Trump in der Bevölkerung hat: "Welche Kräfte und Positionen bestimmten diese polarisierte Wahl und ihr Ergebnis?", fragen Arthur Sulzberger und Dean Baquet.

Widersprüchliche Wahrheiten

Die Clinton-Anhänger dagegen beschweren sich, dass die Aufmerksamkeit für das Wiederaufflackern der E-Mail-Affäre der Kandidatin entscheidend geschadet habe und ohnehin ihre Skandale nicht im Verhältnis zu den Aussetzern Trumps gesetzt wurden.

Die düstere Perspektive: Alle drei Kritikpunkte mögen sich widersprechen, aber jeder einzelne enthält eine ordentliche Portion Wahrheit.

Im Sommer analysierte Mark Krotov, Herausgeber der linken Zeitschrift N+1, die Entwicklung amerikanischer Wahlkampf-Berichterstattung der vergangenen Jahre mit schonungsloser Treffsicherheit: "Die Medien (...) haben sich eine Politik gewünscht, die aus nichts als zwischenmenschlichem Konflikt besteht. Politik, die einzig performativ ist und auf Schau-Boxkämpfen aufbaut. Dieses Jahr haben sie sie bekommen."

Keine Wählergruppe war so gut untersucht wie "der Trump-Wähler"

Denn so sah er aus, der US-Wahlkampf 2016: Mit Trump trat ein Unterhaltungskandidat in einer Medienwelt an, die ohnehin zur Personalisierung neigt und nun über Social Media in einem Wettrennen um Augenpaare, Auflagen und Klicks längst in einem Wettrennen um Mikro-Momente von Aufmerksamkeit ist.

Dennoch wurde auch jenseits der Kandidaten so viel "Inhalt" wie nie zuvor für eine Wahl produziert. Der Versuch, die Stimmung des Wahlvolkes über Daten- und Umfrageanalysen herauszufinden, ist seit dem vergangenen Dienstag allerdings massiv in Frage gestellt: Alle Modelle (von Nate Silvers FiveThirtyEight über "The Upshot" der New York Times) sahen die Wahrscheinlichkeit eines Clinton-Wahlerfolgs zwischen 70 und 100 Prozent.

Im Nachhinein lässt sich feststellen, dass sie mit diesen Zahlen nicht nur falsch lagen, sondern die Journalisten sich zu sehr auf sie verließen, ja ihre Geschichten darauf aufbauten.

Allerdings war wohl keine Wählergruppe so gut untersucht wie "der Trump-Wähler", die Geschichte der ehemaligen Industriezentren im Rust Belt wurde zur Erzählung des Wahlkampfes.

Doch entsprach sie auch der Realität? Sie war nur ein Teil davon: Schon im Oktober kritisierte die im Mittleren Westen lebende Journalistin Sarah Smarsh im Guardian die "gefährlichen Idioten" der liberalen Medien-Klasse, die Trump-Sympathisanten als Klischee des verarmten weißen Amerikas präsentierten, obwohl die Wähler auch aus der Mittelschicht stammten.

Weit heterogener als gedacht

In den Beschreibungen zeige sich weniger die Realität, als ein völlig fehlgeleitetes Klassenbewusstsein. Nun zeigen Nach-Analysen eine Trump-Wählerschaft, die jenseits ihrer Hautfarbe weit heterogener ist als gedacht.

In die Mitte des Landes zu reisen sei für viele Reporter wahrscheinlich "eine anthropologische Exkursion", kritisierte jüngst ein Leser der New York Times. Der US-Journalismus sei zu elitär, geprägt von Absolventen der Elite-Unis, aufgeteilt auf Washington, New York und die Westküste, so der Vorwurf.

Die Stimmen aus der Mitte der USA, jenen als fly-over country verspotteten Bundesstaaten, fehlen nicht nur, weil die großen Medien dort wegen fehlenden Interesses keine Redaktionen unterhalten. Diese Entwicklung hat ihre Gründe auch in der finanziellen Ausblutung, die viele Zeitungen in spärlich bewohnten Gegenden hat verschwinden oder doch zumindest stark schrumpfen lassen.

Glaubwürdigkeit des Journalismus leidet schon länger

Doch dies ist nur ein Teil der Medienkrise: Längst ist ein Teil der konservativen Wählerschaft nicht mehr erreichbar. Sie hat sich aus der 30-jährigen Tradition von Talkradio und Fox News verabschiedet und sich einer Alternativ-Medienlandschaft im Netz zugewandt, wo die Realität aus streng konservativer Perspektive abgebildet wird.

Dort sind die Mainstream-Medien, sofern ihre Beiträge und Fakten dem Weltbild widersprechen, ohnehin nur manipulierte Verdrehungen des Establishments, um die liberale Tyrannei aufrechtzuerhalten und dem Normalbürger "politisch korrekte" Meinungen aufzuzwingen.

Dabei stellt sich die beunruhigende Frage, ob in diesem Umfeld überhaupt seriös berichtet werden kann. Denn im Internet, so hat es der New-York-Times-Journalist John Herman jüngst festgestellt, sind auch die Mainstream-Medien nur ein Teil dieser Alternativ-Medienlandschaft.

Schon vor dem Jahr 2016 hat die Glaubwürdigkeit des Journalismus Schaden genommen, doch nun könnte alles noch viel schlimmer kommen. Denn mit Donald Trump zieht ein Präsident ins Weiße Haus ein, der die Medien-Verachtung zum Kern seiner Botschaft gemacht hat und bessere Klagemöglichkeiten gegen die Berichterstattung durchsetzen möchte.

Emotionen vor Sachlichkeit

Gleichzeitig werden Journalisten noch immer an ihren Worten gemessen. Doch nun bekommen sie es mit einem Präsidenten zu tun, dem Worte nichts bedeuten und der von mehr als 60 Millionen US-Amerikanern in diesem Bewusstsein gewählt wurde.

Dies ist nicht nur ein amerikanisches Problem. Denn Entscheidungen eines US-Präsidenten berühren allzu oft das Leben von Menschen außerhalb der USA. Der Rechtspopulismus gewinnt außerdem allerorten an Stärke - der Front National in Frankreich, die AfD in Deutschland und die FPÖ in Österreich - sie alle freuten sich riesig über Trumps Wahlerfolg.

Hinzu kommt, dass die Medienkrise ein globales Problem darstellt: schrumpfende Kapitalreserven, das Fehlen eines absehbar tragfähigen digitalen Geschäftsmodells, die sinkende Glaubwürdigkeit und eine Welt, die so komplex geworden ist, dass es schwer ist, sie sachlich zu beschreiben. Da werden dann häufig lieber Emotionen geschürt und bedient. All diese Probleme der seriösen US-Medien haben längst auch die europäischen Verlagshäuser und Sendeanstalten.

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