US-Fernsehen:"Warst du ein bisschen eingeschüchtert von der riesigen Wumme?"

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Carly Twissleman und ihr Kollege Billy Birdzell bei GunTV (Foto: Quelle: Guntv.tv)

In den USA gibt es jetzt einen Homeshopping-Sender, bei dem der Zuschauer rund um die Uhr Waffen bestellen kann. Eine lange Nacht mit "Gun TV".

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt ein paar Phänomene im Leben, die lassen sich nicht einfach als Zufall abtun: Da veröffentlicht das Marktforschungsinstitut Lyst in der vergangenen Woche eine Studie über den besorgniserregenden Trend des "Sip and Click", bei dem Menschen nachts besoffen vor dem Fernseher sitzen und im Internet, völlig wild geworden, irgendwelche Sachen bestellen, die gerade gezeigt werden.

Am nächsten Tag dann startet der auf Schusswaffen spezialisierte Teleshopping-Sender Gun TV; die ersten Sendungen werden von ein bis sieben Uhr morgens ausgestrahlt. In der Nacht zum 1. April. Wirklich. Nein, es handelte sich um keinen Aprilscherz.

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Eine Woche später, drei Uhr morgens: Carly Twissleman ist eine schrecklich gut gelaunte Frau, an deren goldener Halskette eine Patrone baumelt. Sie war mal professionelle Rodeo-Reiterin, nun fuchtelt sie als Gun-TV-Moderatorin mit der Taurus 9 Millimeter herum. "Das Ding ist ja superleicht", sagt sie über die Pistole mit dem Spitznamen "Slim", während der Kollege mit dem beeindruckenden Namen KC Kahne vorführt, wie sich diese Waffe unter einem T-Shirt verstecken lässt und dennoch schnell gezogen und entsichert werden kann: "Das Coole daran ist: Sie können das alles auch! Wählen Sie jetzt die Nummer 844-My-Gun TV, dann haben sie dieses Prachtstück bald in ihren eigenen Händen." 249,99 Dollar kostet die Pistole. Ein Schnäppchen. Sagt Twissleman.

Wenigstens ist die Schusswaffe nicht ganz so leicht zu haben wie der Föhn

Eine Stunde später ist Amy Robbins dran, die im vergangenen Jahr eine Internet-Sendung für die Waffenlobby National Rifle Association moderierte und von einem Magazin mit dem Namen Guns-America zu einer der "fünf heißesten Pro-Waffen-Ladys" gewählt wurde. Sie spricht über Sicherheit und darüber, die Neun-Millimeter-Pistole doch bitte stets von Kindern fern zu halten. Aber, nun ja, hihi, kann ja jedem mal passieren, dass die kleinen Racker im Nachtkästchen wühlen und dabei die Pistole finden: "Deshalb gibt es die Möglichkeit, die Waffe jeden Abend zu sperren. Dann kann sie niemand abfeuern." Supersicher also, das Ding. Und natürlich auch ein Schnäppchen. Sagt Robbins.

Die gute Nachricht beim doch recht offensiven Anpreisen der Feuerwaffen ist erst einmal, dass "Sip and Click" hier nicht so einfach funktioniert wie beim Wunderföhn oder beim Allesmixer, wo plötzlich am nächsten Morgen 20 Pakete vor der Wohnungstür stehen. Wer eine Waffe haben möchte, muss zunächst eine Anzahlung von 20 Prozent leisten. Die Bestellung wird an Sports South weitergeleitet, nach eigenen Angaben der älteste und größte Waffen-Einzelhändler der USA. Dort wird laut Gun TV überprüft, ob der Kunde tatsächlich eine Waffe kaufen darf, erst dann wird das Gerät in eine Filiale zum Abholen geschickt.

Es gibt nun also einen Sender in den USA, der sehr ähnlich funktioniert wie all die anderen Kanäle, die Körperoptimierer wie Haarcremes, Make-up und besagten Wunderföhn feilbieten - nur dass hier eben Körperzerstörer wie Pistolen und Gewehre zu bestaunen und zu kaufen sind. In Kalifornien ist Gun TV auf der Kabelposition 158 zu sehen, zwischen dem Game Show Network und einem Sender, der ausschließlich Krimiserien zeigt.

In anderen Bundesstaaten ist der Waffensender in lokale Netzwerke eingespeist, im Internet gibt es Gun TV auch, unter www.guntv.tv preist einem rund um die Uhr jemand eine Knarre an: eine Stevens Field Grade Pump für 200 Dollar. Ein Howa-Präzisionsgewehr für 520 Dollar. Die halbautomatische Pistole Magnum Research Desert Eagle für 1300 Dollar.

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"Gun TV" strebt in den USA ein 24-Stunden-Programm an. Die Waffen werden jedoch nicht direkt zu den Kunden nach Hause geliefert.

Schon im November vergangenen Jahres wurde der Start des Senders mit großem Gedöns verkündet. Die beiden Gründer Valerie Castle und Doug Bornstein, seit mehreren Jahrzehnten in der Homeshopping-Industrie tätig, machten kräftig Werbung für Gun TV. Ein Interview? Na klar! Ein Besuch im Studio im kalifornischen Thousand Palms und auf dem Schießstand? Zum Sendestart überhaupt kein Problem! In den USA werden pro Jahr 3,1 Milliarden Dollar mit Schusswaffen umgesetzt, der Gewinn liegt bei 478 Millionen Dollar. "Wir haben die Möglichkeit gesehen, ein Bedürfnis zu stillen", sagte Castle damals. Das recht amerikanische Bedürfnis, nachts um drei vor dem Fernseher zu hocken und sich eine Waffe zu gönnen.

Dieses Jahr schon mehr als 3300 Todesfälle durch Feuerwaffen in den USA

Mitte Dezember erschoss ein Ehepaar mit Verbindung zur islamistischen Terrororganisation IS in San Bernadino, eine Autostunde von Thousand Palms entfernt, 14 Menschen und verletzte 22 weitere. Der Start des Senders wurde verschoben, die PR-Agentur des Mutterkonzerns Social Responsibility Network bat um Geduld, ein Besuch und Interviews seien bald möglich.

In der Nacht zum 1. April dann wurde ohne Ankündigung die erste Sendung ausgestrahlt. Auf SZ-Anfrage heißt es nun, dass in den kommenden Wochen niemand für Interviews zur Verfügung stehe, man erst einmal an der Produktion feilen müsse und deshalb auch kein Besuch mehr möglich sei. "Wir melden uns, sollte sich das ändern. Danke fürs Interesse", heißt es am Ende der E-Mail.

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Die Keine-Auskunft-Strategie scheint zu funktionieren: Hatte es im Dezember angesichts der Tragödie von San Bernadino und der daraus folgenden politischen Debatte um Waffengesetze noch massive Proteste gegen den geplanten Sender gegeben, stört sich nun kaum jemand daran, dass da jede Nacht Waffen angepriesen werden - obwohl es in diesem Jahr laut der Non-Profit-Organisation Gun Violence Archive in den USA bereits mehr als 13 000 Unfälle und mehr als 3300 Todesfälle durch Feuerwaffen gegeben hat.

"Ooooooooh, fühlt sich das gut an"

Es ist nun vier Uhr morgens. Ein Typ mit gewaltiger Gürtelschnalle und Cowboyhut nimmt die Magnum Research Desert Eagle in seine rechte Hand: "Ooooooooh, fühlt sich das gut an. Worauf kann ich schießen? Worauf kann ich schießen?" Er wählt eine Orange - und verfehlt sie. Beim zweiten Mal trifft er: "Das ist die aufregendste Pistole, die ich jemals abfeuern durfte." Er atmet tief aus und wirkt freudig erregt. Seine Kollegin sagt über ihren Schuss, mit dem sie eine unschuldige Melone zerstörte: "So etwas habe ich noch nie erlebt." Er: "Warst du ein bisschen eingeschüchtert von der riesigen Wumme?" Sie: "Ein bisschen."

Eine Szene, die sich kein Mensch ausdenken kann.

Direkt danach gibt es einen Einspieler, bei dem die nächtlichen Zuschauer darauf hingewiesen werden sollen, Waffen von Kindern fernzuhalten. Gleich darauf folgt eine Werbung für eine Krankenversicherung, die auch bei ganz schlimmen Verletzungen bezahlt. Auch das: mit Sicherheit kein Zufall.

© SZ vom 12.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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