Ursachen und Folgen:Bauchgefühl und Lust am Schrecken

Lesezeit: 2 Min.

Warum sich Fake News zum Thema Corona-Virus in diesen Tagen so rasant im Netz verbreiten - mit fatalen Folgen.

Von Simon Hurtz

In Krisenzeiten hätten Gerüchte und Desinformation immer Konjunktur, sagt Professorin Kate Starbird, die an der Universität Washington zu diesem Thema forscht. Wenn Menschen unsicher sind und Angst haben, so lautet ihre These, versuchten sie, möglichst viele Informationen zu gewinnen, um die Lage besser einschätzen zu können. "Das Problem ist ein Überangebot an Informationen." Und in der Corona-Krise auch an Falschinformationen.

Jemand, der sich auf Whatsapp "Poldis Mama" nennt, verbreitet Quatsch über Medikamente, in den USA verbreitet ein Mann Unsinn auf Twitter, welcher der Präsident der Vereinigten Staaten ist. Seit Wochen behauptet Donald Trump, er habe alles im Griff, bald werde es keine Infizierten mehr geben, ein Impfstoff sei so gut wie fertig. Nichts davon stimmt. Poldis Mama und Donald Trump sind in diesen Tagen nur zwei von unzähligen Akteuren, die gerade dazu beitragen, dass die virologische Pandemie zunehmend von einer viralen Infodemie begleitet wird.

Irreführende Informationen haben bereits zu Gewalt geführt. Und sie können tödlich sein

Gerüchte, Halbwahrheiten und Falschnachrichten verbreiten sich in rasendem Tempo. Wie gefährlich das ist, hat Tedros Adhanom Ghebreyesus früh erkannt. "Wir bekämpfen nicht nur eine Pandemie, wir bekämpfen eine Infodemie", sagte der Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO Mitte Februar in Genf. "Falschnachrichten verbreiten sich schneller als das Virus, und sie sind genauso gefährlich." Sein WHO-Kollege Michael Ryan sagte: "Wir brauchen einen Impfstoff gegen Falschinformationen."

Dem Faktencheckdienst Newsguard zufolge wurden irreführende Informationen über das Virus allein bis Anfang März mehr als 50 Millionen Mal geteilt oder kommentiert - 142 Mal öfter als Inhalte offizieller Quellen wie der WHO. Warum aber glauben Leute Falschmeldungen so leicht?

Kognitionswissenschaftler haben darauf mehrere Antworten. Menschen glauben Informationen eher, wenn sie dem eigenen Weltbild entsprechen. Psychologen sprechen vom Bestätigungsfehler. Zudem lassen sich Menschen von Emotionen wie Angst leiten (Bauchgefühl-Fehler). Und drittens neigt das Gehirn dazu, bei zufälligen Korrelationen einen kausalen Zusammenhang zu sehen (Kausalfehler).

Und warum initiieren Leute auf der anderen Seite Falschmeldungen? Einige der Gerüchte werden mit bösartigen Absichten gestreut: Um Menschen zu verunsichern, Rassismus zu schüren, fragwürdige Produkte zu verkaufen oder die Furcht vor der Erkrankung zu nutzen, um Computerviren zu verbreiten. Und hinter anderen steckt wohl nicht mehr, als die Lust daran, Schrecken zu verbreiten.

Das Ergebnis ist jedenfalls hochgefährlich. Im Februar landete in der ukrainischen Kleinstadt Nowi Sanschary ein Flugzeug aus China. Weil zuvor fälschlicherweise behauptet worden war, die Passagiere seien mit dem Coronavirus infiziert, brachen sofort Panik und gewalttätige Proteste aus; die Chefin des Gemeinderats sprach von einem "Armageddon", ausgelöst durch und Falschnachrichten.

Zudem können falsche Behauptungen in einer Lage wie dieser im schlimmsten Fall indirekt tödlich sein. In den USA nehmen Anhänger der Demokraten Covid-19 viel ernster als Republikaner - wohl auch, weil Trump die Gefahr permanent verharmlost und so weniger Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden.

© SZ vom 17.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: