Medienkolumne "Unser Beitrag":Das Leben ist ein Wunschkonzert

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(Foto: Steffen Mackert)

Wer am Sonntagnachmittag auf den Radiosender BR-Klassik gerät, kann sich fragen: sind die Älteren das programmatische Austragshäusl? Was die Öffentlich-Rechtlichen senden. Diesmal: Die BR-Klassik-Sendung "Wunschmusik".

Von Helmut Mauró

Viele Menschen halten klassische Musik längst für eine Variable des Unterhaltungswesens, irgendwo zwischen Country, Western und Schlagerhölle. Und wenn man dann an einem grauen Sonntagnachmittag auf den Radiosender BR-Klassik gerät, muss man sagen: Ja, stimmt. Hinter der brutalistischen Betonfassade an der Arnulfstraße, so scheint es, wohnen sanfte Fabelwesen, die Sendungen aus dem Paläolithikum reanimieren, mitsamt Moderatorinnen. Hier haucht man alten Formaten altes Leben ein.

Sonntags trifft das unter anderen die Sendung "Wunschmusik" mit dem verräterischen Claim "Ihr Wunsch ist uns Musik". Klingt nach "Ihr Wunsch ist uns piepe", aber wir senden ihn trotzdem, denn das Programm ist uns auch schnurz. Na ja, nicht ganz. Denn es werden von der Moderatorin drei Wünsche mit zugehöriger Telefonnummer zur Auswahl gestellt. Dann pfeift jemand Schuberts "Du bist die Ruh", und weil es so schön war, wird anschließend der Gedichttext verlesen. Warum nicht erst den Text bringen? Fröhlich ermuntert die Moderatorin die Hörer dazu, private Geschichten abzuliefern, die sie den Hörern dann wieder erzählen kann.

Zum Beispiel von einer Frau, die am Fenster stand und Mendelssohns Hochzeitsmarsch hörte, während ein Auto vorbeifuhr, aus dem ein Mann "ihr zugewinkt hat". Die Frau habe diesen Mann später geheiratet. Überstürzte Schicksale allerorten. "BR-Klassik gratuliert allen, die sich heute das Ja-Wort geben", sagt die Moderatorin in diesem zerdehnten BR-Sprech, der selbst dem "Betthupferl" die falsche Würde einer Neujahrsansprache gibt.

Es gibt kaum Übergriffigeres als Moderationseuphorie, zumal, wenn sie auf den wackeligen Stelzen hohler Begeisterung dahertappst. Das ist dürre Empfindungslosigkeit, versteckt unter dem leeren Pathos persönlichster Empathie. Aber immer so, dass irgendwo ein Arm oder Bein herausschaut. Bei BR-Klassik ist es dieses kunstvolle Sprechen, der aufgesetzte hohe Ton, mit dem die größten Banalitäten versendet werden. Das pädagogisch Überdeutliche, der eingebremste Sprachfluss - manchmal bekommt es diese Bedrohlichkeit, die einen blutigen Horrorfilm zu wahrem Grauen erheben. Und dann platzt aus dem Mund der Moderatorin feixend dieser Tantensatz: "Vielleicht bekommen Sie ja heute Abend noch einen Ring geschenkt?"

Was, einen goldenen Ring?

Es ist so niederschmetternd. Aus dem BR hört man an dieser Stelle gerne den Hinweis, man denke an das bettlägerige Publikum, die Jüngeren hörten ja überall und ohnehin nur online. Aber sind die Gebrechlichen das programmatische Austragshäusl des BR? Hält das nicht schon Florian Silbereisen besetzt?

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