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Netflix-Serie "Unorthodox":"Diesmal sollten Juden Juden spielen"

Die Autobiografie "Unorthodox" erzählt vom Ausbruch aus einer chassidischen Gemeinde. Die Verfilmung ist ähnlich augenöffnend wie das Buch - das liegt vor allem an der Hauptdarstellerin.

Von Claus Hulverscheidt

Dass Esty, diese so zierliche wie neugierige junge Frau, in ihrer strengen Glaubensgemeinschaft nie eine Chance hatte, erfährt man gleich in den ersten Minuten dieser aufwühlenden Geschichte. "Sie war nie gut genug für dich", sagt die Schwiegermutter zu ihrem Sohn, Estys Gemahl, als die 18-Jährige urplötzlich verschwunden ist. "Ein Jahr - und nicht ein Baby."

Ein Jahr und kein Baby - damit hat die Schwiegertochter das einzige Ziel verfehlt, das die Gemeinde der ultraorthodoxen Satmarer im New Yorker Stadtteil Williamsburg einer jungen Ehefrau setzt. Esther, genannt Esty, entflieht dieser freudlosen jüdischen Welt, zieht nach Berlin und wird schließlich von ihrer Vergangenheit eingeholt. Was sie dabei erlebt, erzählen Anna Winger und Alexa Karolinski in ihrer vierteiligen Netflix-Serie Unorthodox, die sich an die gleichnamige Autobiographie von Deborah Feldman anlehnt. Regisseurin des Dramas, das in jiddischer und englischer Sprache gedreht ist, ist Maria Schrader.

Die chassidischen Satmarer, zu denen Feldman und die Filmfigur Esty gehörten, sind eine jener strenggläubigen jüdischen Gemeinschaften, die vor allem in den USA leben und sich am stärksten von der Außenwelt abschotten. Sie verzichten auf viele Annehmlichkeiten, sprechen Jiddisch statt Englisch, meiden den Kontakt zu Nichtjuden, setzen jungen Frauen Perücken auf die kahlgeschorenen Köpfe und arrangieren die Ehen ihrer Kinder. Den Holocaust verstehen sie als Strafe Gottes dafür, dass die europäischen Juden nicht fromm genug waren und sich den heimischen Gesellschaften angeblich zu sehr anpassten.

Winger und Karolinski widerstehen der Versuchung, sich über die Gläubigen lustig zu machen

Shira Haas, in Israel längst eine preisgekrönte Schauspielerin, spielt die Esty als zerbrechliche junge Frau, die mit großen Augen durch eine neue Welt läuft, fasziniert und erschrocken zugleich, welche Freiheiten und Absurditäten das Leben außerhalb der Mauern ihrer Religionsgemeinschaft bereithält. Doch es geht in der Serie nicht nur um die kulturellen Unterschiede zwischen einer streng reglementierten und einer liberalen Gesellschaft, sondern auch um eine junge Frau, die ihre Identität und Sexualität entdeckt und sich emanzipiert. Der Vierteiler blendet dabei zwischen New York und Berlin hin und her, wohin die Familien- und die Gemeindeoberen schließlich Moishe (Jeff Wilbusch) schicken, den Cousin des verlassenen Gatten, um Esty zurückzuholen.

Winger und Karolinski beschreiben in ihrer Serie die Doppelmoral, die im Spagat der Chassiden zwischen Tradition und Moderne gelegentlich aufscheint, widerstehen aber der Versuchung, Klischees zu bedienen oder sich gar über die Gläubigen lustig zu machen. Geholfen hat wahrscheinlich, dass Unorthodox von Jüdinnen und Juden gemacht wurde, von Menschen, die Sitten und Gebräuche kennen, die ein Gespür für die Nöte und Freuden einzelner religiöser Strömungen haben, oder, wie Wilbusch, selbst aus einer orthodoxen Gemeinde ausgebrochen sind. "Juden wurden in deutschen Filmen bisher fast immer von nichtjüdischen Deutschen gespielt", sagt Karolinski bei einer Vorabführung der ersten Folge in New York. "Diesmal sollten Juden Juden spielen."

Dass daraus eine Serie geworden ist, die die Augen öffnet, zugleich aber auch unterhält, liegt vor allem an der Hauptdarstellerin. Deren zarte Mimik deutet schon in den ersten Minuten an, was sie selbst über den Ausgang des Epos verrät: "Am Ende", so sagt sie, "findet Esty ihre Freiheit nicht in Berlin. Sie findet sie in sich selbst."

Unorthodox, auf Netflix*

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Quelle:
SZ vom 25.03.2020
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