Ungarn: Reaktionen auf Mediengesetz:"Es stellt Zensur wieder her"

Das ganze Ausmaß von Ungarns Mediengesetz wird nun sichtbar. Betroffene befürchten eine Gefährdung von Gewaltenteilung und Demokratie.

Michael Frank

Was ist es, das Hunderte ungarische Schriftsteller im Verband der Belletristen treibt, das heiß umkämpfte neue Mediengesetz ihres Landes in einer Protesterklärung so zu charakterisieren: "Es stellt die Zensur wieder her, missachtet das Prinzip der Gewaltenteilung, widersetzt sich mit allen Mitteln den Grundprinzipien der Demokratie und dem Geist der Freiheit."

Inauguration of House of European Union in Budapest

Erntet wegen des neuen Mediengesetzes auch im eigenen Land heftige Kritk: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban.

(Foto: dpa)

Diese Frauen und Männer des Wortes haben Ungarisch zur Muttersprache, müssen sich also nicht die herablassende Maßregel der Regierung von Viktor Orban und ihrer Zwei-Drittel-Mehrheits-Partei Fidesz gefallen lassen, Kritiker im Ausland verstünden die ungarische Sprache und damit auch die segensreiche Wirkung des Gesetzes nicht.

Eine Lesart, der sich auch ein paar Apologeten aus dem demokratischen Westen anschließen, die aus dem Gesetz zitieren: In keinem Medium Ungarns, in keinem Beitrag in Schrift, in Bild oder Ton, dürfe "Hass auf Personen, Nationen, Gemeinschaften sowie nationale und ethnische Gruppen" geschürt werden; niemand dürfe "diskriminiert" werden. Was man eben so in jede Medienverfassung reinschreibt.

Auch in der offiziellen englischen Version sehen sich Kritiker mehr als bestätigt, dass in dem Regelwerk eher der Geist der "Reichsschrifttumskammer" herrsche, als ein Geist der Freiheit. So sagt es ein Mitarbeiter der ungarischen Nachrichtenagentur MTI, der ungenannt bleiben will. Er tut gut daran.

Denn Regelungen und Strafdrohungen des Gesetzes beziehen besondere Wucht - zumindest für die öffentlich-rechtlichen Medien - aus einem weiteren, im Ausland bislang kaum registrierten Gesetz: Jeder Bedienstete der Regierung oder öffentlicher Institutionen kann binnen zwei Monaten ohne jede Begründung entlassen werden. Selbstzensur ist da das Gebot.

Monopol auf Nachrichten

Die staatliche Agentur MIT wird künftig ein Monopol auf Nachrichten ausüben: Sie allein wird von März an öffentliches Fernsehen, öffentlichen Rundfunk und den öffentlichen Internetauftritt Ungarns mit Nachrichten versorgen.

Die Senderredaktionen werden informatorisch buchstäblich mundtot gemacht. Die Übertragung von international und national bedeutsamen Ereignissen kann auch für Private angeordnet werden. Reine Musiksender wird es nicht mehr geben, weil durchgängig Nachrichtenanteile vorkommen müssen.

Alles, ob Wort oder Musik, hat zu mindestens 20 Prozent magyarischen Ursprungs zu sein. Radio und Fernsehen müssen "ausgewogen" agieren. Diesen Grundsatz weitet die Medienverfassung auf alle aus, also auch auf Gedrucktes und das Internet. Politischen Nachrichten darf keine "Meinung oder wertende Erklärung" angefügt werden.

Bemerkenswert: Nachrichten und Informationsprogramme dürfen nicht gesponsert werden, auch dürfen Parteien und Bewegungen kein Programm oder Medium unterhalten.

Und alles wird von der Nationalen Medien und Kommunikationsbehörde NMHH und dem Medienrat bewertet und kontrolliert, der auch hohe Geldstrafen und zeitweilige Schließung verfügen kann. Rats- und NMHH-Mitglieder dürfen sich nicht parteipolitisch engagieren. Den NMHH-Vorsitz ernennt der Ministerpräsident persönlich für neun Jahre.

Warum neun Jahre, eine beispiellose Amtsperiode? Weil das Parlament für den gleichen Zeitraum den Ratspräsidenten mit zwei Dritteln der Stimmen wählt. Für weitere achteinhalb Jahre also ist das in beiden Fällen die Fidesz-Politikerin Annamaria Szalai, die wiederum von fünf Ratsmitgliedern zwei weitere Fidesz-Parteigänger ernannt hat - so ernst sind also die Unabhängigkeitsschwüre der Regierung Orban zu nehmen.

Sollte die Fidesz zwischendurch eine Wahl verlieren, würde ihre Herrschaft über die Medien so lange fortdauern. Dabei hebt ein Wust von Verbots- und Gebotsparagraphen immer wieder das "öffentliche Interesse" bis hin zum "nationalen Notstand" als Leitlinie an. Was das ist, bestimmt der Medienrat: mit einfacher Mehrheit.

Beliebige Interpretationsmasse

Es gibt weitreichende Regelungen über das Verbot von Pornographie und "exzessiver und unnötiger Gewalt" sowie den Persönlichkeitsschutz. Alles Dinge, die nach Ansicht juristischer Kritiker besser durch das Strafrecht geahndet würden als im Medienrecht.

NMHH und Medienrat stellen nach eigenem Gutdünken Verstöße fest und ahnden sie, wogegen vor einem speziellen Gericht geklagt werden kann. Aufschiebende Wirkung etwa für Geldstrafen oder die zeitweilige Schließung eines Mediums hat die Klage nicht automatisch, sondern nur, wenn das Gericht das zulässt.

Der volle Informantenschutz wird zwar auch in Ungarn garantiert, doch nur, wenn heikle Informationen "im Interesse der Öffentlichkeit" publik gemacht wurden. Der Informant ist nicht geschützt, wenn "widerrechtlich qualifizierte Daten" an die Öffentlichkeit geraten.

Was aber sind widerrechtlich qualifizierte Daten? Wieder entscheidet allein der Medienrat. "Besonders begründete Fälle" erlauben es Gerichten und sogar Behörden, die Offenlegung von Quellen zu erzwingen, und zwar "im Interesse der Wahrung der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung oder der Aufdeckung oder Verhinderung von Straftaten".

Das betrifft ausdrücklich auch Redaktionsgeheimnisse und sogar anderweitig gesetzlich geschütztes Material, wenn die Medienbehörde sie zur Ausübung ihrer Aufgaben benötigt.

Schwammige Formulierungen machen das ungarische Mediengesetz zur beliebigen Interpretationsmasse, was rechtens ist und was nicht. Regierung Orban und Verteidiger des Gesetzes beschwören das europäische Publikum, es komme doch letztlich auf die Praxis an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: