Süddeutsche Zeitung

Italienische Serie auf Arte: "Und draußen die Nacht":Märtyrer wider Willen

Terroristen, Politiker und sogar der Vatikan hatten ihre Finger im Spiel: Eine Serie beleuchtet die Entführung und Ermordung des italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro.

Von Philipp Riessenberger

Italien Ende der Siebzigerjahre - die Republik ist in Aufruhr. Straßenschlachten und politische Morde sind and der Tagesordnung. Linke und rechte Terrorgruppen führen einen gewaltsamen Kampf. Die Kommunistische Partei Italiens (PCI) ist so stark wie nirgendwo sonst in Europa. In dieser Atmosphäre entschließt sich Aldo Moro, Präsident der Christdemokraten (DC), zu dem Versuch, die politischen Gräben zu überwinden: In einem historischen Kompromiss will er eine Regierung der nationalen Einheit bilden, die von den Kommunisten toleriert wird. Seine eigene Partei allerdings, die die dominante politische Macht ist, ist damit unzufrieden. Und die Anhänger der Kommunisten wittern Verrat.

In der sechsteiligen Fernsehproduktion Und draußen die Nacht widmet sich Regisseur Marco Bellocchio zum zweiten Mal dem Fall des italienischen Ministerpräsidenten, der am 16. März 1978 von Mitgliedern der linken Terrorgruppe Rote Brigaden entführt und 55 Tage später, erschossen im Kofferraum eines roten Renaults gefunden wurde. Schon im Film Buongiorno notte hatte Bellocchio 2003 die Entführung und Ermordung aus Perspektive der Terroristen erzählt. Aber der Stoff lässt ihn offenbar nicht los. Das gilt nicht nur für den 1939 geborenen Regisseur. In Italien gilt der Fall Moro als "epochales Trauma der jüngeren Geschichte" (La Repubblica). Drei Millionen Menschen sahen die Erstausstrahlung von Und draußen die Nacht im italienischen Fernsehen. Nun ist die Serie erstmals mit deutscher Synchronisierung auf Arte zu sehen.

Vier Perspektiven zwischen blutigem Anfang und tragischem Ende von Moros Entführung

Bellocchio nutzt die Freiheit, die ihm das serielle Erzählen bietet, für Charakterstudien und nähert sich den Ereignissen diesmal aus vier verschiedenen Perspektiven. Den Rahmen spannen die erste und letzte Folge, die den blutigen Anfang und das tragische Ende der Entführung von Moro (Fabrizio Gifuni) behandeln. In den vier zentralen Episoden stehen jeweils unterschiedliche Protagonisten im Fokus: Innenminister Cossiga (Fausto Russo Alesi), der Moro als eine Art väterlichen Freund begreift und alles daransetzt ihn zu befreien. Papst Paul VI. (Toni Servillo), ein Jugendfreund des Präsidenten aus Studententagen, der die Italiener zum Gebet aufruft und Spenden für ein mögliches Lösegeld sammelt. Eine Terroristin der Roten Brigaden (Daniela Marra), die zwischen dem Verantwortungsgefühl gegenüber ihrer Tochter und der Dringlichkeit der Revolution zerrissen ist und der nach und nach Zweifel kommen. Außerdem Moros Frau Eleonora (Margherita Buy), der langsam aber sicher klar wird, dass einige der verantwortlichen Politiker nicht in erster Linie die Befreiung ihres Mannes im Sinn haben.

Entlang der verschiedenen Charaktere - besetzt mit einem großartigen Ensemble, zu dem einige der bekanntesten italienischen Schauspieler der Gegenwart gehören - zeichnet Bellocchio ein tiefschürfendes, teils düsteres Bild von Gesellschaft, Kirche und Politik während der anni di piombo (bleiernen Jahre), dieser Zeit gewalttätiger politischer Konflikte, die mit Moros Ermordung ihren Höhepunkt fanden.

Und draußen die Nacht, sechs Teile in der Mediathek und ab 15. März 2023, 21.55 Uhr auf Arte.

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