Übernahme beim WAZ-Konzern:Wende im Westen

Im drittgrößten Medienkonzern der Republik kommt es zu einer Zeitenwende: Mit der Übernahme der WAZ löst die Eigentümerfamilie Grotkamp nach mehr als 60 Jahren ein solides Patt auf. Doch was sie verändert, ist unklar.

Bernd Dörries und Christopher Keil

Die Fernsehserie Das Erbe der Guldenburgs lief zwischen 1987 und 1990 über 40 Episoden im ZDF und war erstaunlich erfolgreich. Das lag vor allem daran, dass die Saga eines fiktiven Clans aus Schleswig-Holstein den labyrinthischen Wahnsinn einer Familienfehde virtuos aus dem Amerikanischen (Dallas, Denver Clan) ins Deutsche übersetzte.

Bei WAZ-Gruppe bahnt sich Veraenderung der Eigentumsverhaeltnisse an

Ein Haus, zwei Familien - so hat es der WAZ-Konzern immer gehalten. Doch nun scheint sich einiges zu ändern in der Essener Konzernzentrale.

(Foto: dapd)

Man hätte 1987 problemlos auch "Das Erbe der Brosts" oder "Das Erbe der Funkes" inszenieren und senden können. Statt um Öl, Wein oder Land wäre es um Zeitungen, Zeitschriften, um Medien gegangen. Was sich seit Jahrzehnten im WAZ-Konzern zuträgt, ist Stoff für die gehobene Unterhaltung.

Leicht gemacht hat man es mit zwei Familienstämmen zu tun, die eine grelle Feindschaft pflegen. In giftiger Grundhaltung wachen die Gesellschafter über Parität, Einfluss und Proporz. Kein Prozentpunkt darf bewegt, nichts ohne Zustimmung des anderen entschieden werden. Es wurde fintiert, attackiert, auch mit Adoption, Einheirat und Intrige gearbeitet, um den Status Quo zu erhalten - so, wie er seit 1948 noch friedlich vereinbart worden war, als der Sozialdemokrat Erich Brost und der Konservative Jakob Funke die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) gründeten. Die zwei Männer einigten sich auf ein stabiles Gleichgewicht. Doch das sensible Patt beschäftigt die Manager heute beinahe mehr als Internet, digitales Business und Anzeigenrückgang beim Gedruckten.

Dass nun Petra Grotkamp, 67, aus der Funke-Familie die Brost-Erben mit 500 Millionen Euro für den 50-prozentigen Brost-Anteil auszahlen und damit Mehrheitsgesellschafterin wird, ist angesichts der Familiengeschichte eine unglaubliche Wendung. Dass ein Brost an einen Funke verkauft, galt als undenkbar. An diesem Montagabend ließ Petra Grotkamp über ihren Rechtsanwalt verbreiten, dass "über die wesentlichen Bedingungen des Erwerbs (. . .) Einigkeit erzielt" worden sei. Der Zukauf steht noch unter Vorbehalt. Peter Heinemann, Sohn des früheren SPD-Bundespräsidenten Gustav Heinemann, ist bis 2015 Testamentsvollstrecker der drei Brost-Enkel und muss zustimmen.

Doch WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz skizzierte in einem leitartikelähnlichen Mitarbeiterrundbrief schon einmal die neue Konzernarchitektur: Die Brost-Enkel steigen aus, der Funke-Enkel steigt als Vertreter der nächsten Generation in den Gesellschafterkreis mit ein. Bodo Hombach, der Geschäftsführer der Brost-Seite, "ein kämpferisches Ruhrgebietskind", muss vermutlich gehen, weil es die alte "Simultan-Geschäftsführung" nicht mehr gebe. Und die Grotkamps verpflichten sich mit ihrem Vermögen auf die Zukunft des Medienhauses.

Am Schluss formuliert Reitz ein Satz, der so bezeichnend ist für das Klima im Unternehmen aus Essen, Friedrichstraße 34-38: "Die WAZ-Blätter haben tatsächlich andere Sorgen als ihre Ausrichtung." Das ist natürlich richtig. Der Konzern könnte flotter, zielorientierter und sicher auch effektiver geführt werden, sofern ihn die richtige Hand lenkt.

Ein 84-jähriger Zeitungsmann hat nun die Macht

Vermutlich hält der 84-jährige Günther Grotkamp zunächst alle Macht in seinen Händen, der jahrelange Vertraute des Firmengründers Jakob Funke und bis 2000 mächtiger Geschäftsführer des Funke-Stamms. Der Jurist, seit 1986 mit Funkes Tochter Petra verheiratet, hatte schon immer genaue Vorstellungen von der Expansion des eigenen Verlagsreiches. In den siebziger Jahren machte er sich daran, andere Zeitungen im Ruhrgebiet zu erobern, es folgten Akquisitionen in Österreich und nach der Wende in Thüringen. Als bekannt wurde, dass Grotkamp und die Funkes, gut gestückelt, insgesamt 100 000 Mark der CDU des Einheitskanzlers Helmut Kohl gespendet hatte, musste Grotkamp als Zeuge im Parteispendenprozess aussagen. Die jüngste Entwicklung des WAZ-Konzerns sah er kritisch. Vom Brost-Manager Hombach, 59, dem früheren Kanzleramtschef Gerhard Schröders, hielt er wenig. Auch im eigenen Lager sah er niemanden, der fähig wäre, sein geschaffenes Werk fortzuführen. Den angedachten und bereits nach der Anlaufphase verworfenen Start eines Nachrichtenmagazins (Die Woche) unter dem langjährigen Spiegel-Chef Stefan Aust bewertete er kritisch. Grotkamp, den Zeitungsmann, umtreibt die Sicherung der Stammblätter, Spielereien mag er nicht.

Übernahme beim WAZ-Konzern: Graphik zur Eigentümerstruktur des WAZ-Konzerns.

Graphik zur Eigentümerstruktur des WAZ-Konzerns.

(Foto: SZ Graphik)

Auch die anderen zwei Funke-Gesellschafter könnten aussteigen

In der WAZ-Konferenz am Dienstagmorgen sagte Chefredakteur Reitz, die neuen Besitzverhältnisse würden Klarheit schaffen, seien gut fürs Blatt. Klarheit und Handlungsfähigkeit sind die Argumente, die jetzt von der Grotkamp-Seite eingebracht werden. Sie wird künftig 66,67 Prozent an der Mediengruppe halten und damit auch die zwei anderen Funke-Gesellschafter dominieren, Petra Grotkamps Schwester Renate Schubries und die Erben der im Sommer verstorbenen zweiten Schwester Gisela Holthoff. Es ist nicht auszuschließen, dass Schubries und Holthoff sich nun sehr bald auch ihren Ausstieg bezahlen lassen.

Von den Gründerfamilien waren die Brosts historisch gesehen immer näher an der Redaktion, an den Inhalten. Die Funkes interessierten sich mehr für die Zahlen. Jakob Funke war der erste Herausgeber, Erich Brost der erste Chefredakteur. Der anstehende Besitzerwechsel ist auch der Schlusspunkt einer langen Entfremdung der Familie Brost vom nach Bertelsmann und Springer drittgrößten deutschen Medienbetrieb, der zuletzt 1,1 Milliarden Euro umsetzte.

Martin Brost zerstritt sich so sehr mit dem Vater, dass der ihn 1978 auszahlte. Der Sohn zog nach München. Seine Kinder, die Testamentsvollstrecker Heinemann vertretenen Enkel, hatten kaum Kontakt zum Ruhrgebiet und zur WAZ. Es war ihnen eine fremde Welt. Seit 2010, nach dem Tod der Gründer-Witwe Anneliese Brost, ließen sie sich bei der Verwaltung ihres WAZ-Vermögens von einem McKinsey-Manager beraten. Der soll nicht sonderlich viel davon gehalten haben, noch in Papier zu investieren. Anneliese Brost war die letzte Klammer des Clans zu den Zeitungen.

Nach ihrer Beerdigung soll es nicht lange gedauert haben, bis die Brost-Erben begannen, einen Käufer zu suchen. Vielleicht gab es Interessenten von außen, internationale Finanzinvestoren zum Beispiel. Aber dagegen stand ein unverrückbares Vorkaufsrecht: Jede Seite muss der anderen ihre Anteile zuerst anbieten. Petra Grotkamp sah die Chance kommen, der Familienrat wurde einberufen.

Auslöser für ein energisches Zugreifen war vermutlich ein Geheimvertrag, der Günther Grotkamp in Rage gebracht haben soll. Anneliese Brost hatte Stephan Holthoff-Pförtner, Stiefsohn der Funke-Erbin Gisela Holthoff, 2008 einen Kredit über 85 Millionen Euro gewährt. Die Holthoffs bürgten mit der Hälfte ihrer WAZ-Prozente. Der geheime Handel flog in diesem Juni auf. Günther Grotkamp missfiel, dass die Funkes theoretisch Einfluss an die Brosts verlieren könnten. Er ließ eine Klage prüfen.

Wohin werden die Grotkamps den WAZ-Konzern, der vor allem mit seinen preiswerten, seichten Heftchen der WAZ-Women-Group sehr rentabel ist, jetzt steuern? Günther Grotkamp wird sicher versuchen, das mittlerweile schwierige regionale Zeitungsgeschäft zu konsolidieren. Aber dann? Reicht eine konservative Ausrichtung auf einem digitalisierten Medienmarkt? Und wer wird noch ins neue Management aufgenommen?

Frühere WAZ-Geschäftsführer haben viel versucht, doch ob es Beteiligungen an Springer, an Kirch oder sogar an der Formel 1 waren, die Familienstruktur verhinderte alles. Ausreichende Liquidität für Investitionen hat der Konzern, der ja lange hohe Renditen machte, noch immer. Es wird sich zeigen, ob die veränderten Gesellschafterverhältnisse tatsächlich auch Veränderung bringen oder nur einen weiteren Serienvorschlag: "Diese Grotkamps".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: