Es ist ein tonloses Staccato, in dem Staatsanwalt Steffen Rahrbach die 64-seitige Anklageschrift herunterrattert. Die insgesamt 20 langen Punkte, die er verliest, verschwimmen zu einer akustisch nur schwer verständlichen Melange aus Jahreszahlen, Firmennamen und Tatvorwürfen in Juristendeutsch. Etliche Minuten lang geht das so. Aber Rahrbach wird nie langsamer, verhaspelt sich nicht, er ist vorbereitet. Er hatte auch lange Zeit. Vor neun Jahren wurde die Anklageschrift zum ersten Mal formuliert. Seitdem gab es immer wieder Verzögerungen, zuletzt wegen Krankheit. An diesem Donnerstagmorgen nun ist es so weit, Prozessauftakt im größten Saal des Landgerichts Leipzig. Es geht um zahlreiche Fälle mit oftmals jeweils fünfstelligen Summen, um Darlehen und undurchsichtige Transaktionen, bei denen Fernsehproduktionsfirmen, Musikshows und Manager von Musikern eine große Rolle spielen. Gegenüber von Staatsanwalt Rahrbach sitzt der Mann, der einst die Karrieren von Schlagergrößen wie Florian Silbereisen und Helene Fischer anschob: der Angeklagte Udo Foht.
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Als der kleine Mann im blaugrauen Anzug kurz zuvor den Saal betrat, ging ein Raunen und Wispern durch den Zuschauerraum. Fast elf Jahre ist es mittlerweile her, dass die Vorwürfe gegen den damals einflussreichen Fernsehmanager des Mitteldeutschen Rundfunks bekanntwurden und er aus der Öffentlichkeit verschwand. Seitdem hat sich Foht optisch deutlich verändert. Die ehemals kurzen dunklen Haare sind mittlerweile weißgrau. Er trägt sie zusammengebunden in einem dünnen Zopf. Foht spricht leise durch seine FFP-2-Maske. Name, Geburtsort, Familienstand, Beruf, viel mehr als diese persönlichen Daten wird er am ersten Prozesstag nicht sagen. Der 71-Jährige wirkt dabei angeschlagen. Das Gericht muss ihm Kopfhörer stellen, damit er Richter und Staatsanwaltschaft in dem großen Gerichtssaal mit der schlechten Akustik überhaupt verstehen kann.
Die Staatsanwaltschaft wirft Udo Foht in mehreren Fällen Betrug, Untreue, Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung vor. In seiner Funktion als MDR-Unterhaltungschef soll er sich von mehreren Firmen, aber auch von Privatpersonen größere Geldbeträge angeblich für Shows und Fernsehproduktionen erbettelt haben - wissend, dass er das Geld nicht würde zurückzahlen können. In vielen Fällen spielte auch eine kleine Berliner Firma namens "Just For Fun" eine Rolle, auf deren Geschäftskonto die Gelder jeweils eingezahlt worden sein sollen.
Die "Causa Foht", wie sie beim MDR genannt wird, gehört zu den größeren Affären und Skandalen des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders. Der Fall kam kurz nach dem millionenschweren Kika-Skandal ans Licht, bei dem ein Mitarbeiter des Kinderkanals mit fingierten Rechnungen mehrere Millionen Euro Gebührengelder in die eigene Tasche fließen ließ. Als sich knapp ein gutes Jahr später eine Produktionsfirma an den MDR wandte und über Foht und geliehene Gelder sprach, reagierte der Sender umgehend: Er erstattete Strafanzeige. Foht wurde suspendiert, sollte fristlos entlassen werden. Vor dem Arbeitsgericht einigte er sich anschließend mit dem Sender auf einen Vergleich und eine ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 2011. Seitdem wartete er. Erst auf die Anklage, dann auf den Prozessbeginn.
18 weitere Verhandlungstage sind nun angesetzt. Da viele Punkte der Anklage aber lange zurückliegen und schwer nachweisbar sind, könnte der Prozess womöglich abgekürzt werden. Bereits im Vorfeld hatten Staatsanwaltschaft und Verteidiger über eine mögliche Verständigung gesprochen. Die Staatsanwaltschaft ist demnach bereit, die Vorwürfe der Untreue und Steuerhinterziehung fallenzulassen, sofern Foht für die anderen Anklagepunkte, in denen es um Bestechlichkeit geht, ein Geständnis ablegt. Bei einem "glaubhaften Geständnis" stellt ihm das Gericht eine Bewährungsstrafe zwischen mindestens 12 und maximal 21 Monaten in Aussicht, wie Richter Michael Dahms erklärte.
Auch Florian Silbereisen und sein Manager sollen um Geld gebracht worden sein
Fohts Verteidiger Lawrence Desnizza signalisierte grundsätzliches Interesse an einer Verständigung. Er wolle sich aber mit seinem Mandanten noch ausführlich beraten. Sollte Foht zustimmen, könnte der Prozess schnell enden - und vielen derzeit geladenen Zeugen bliebe ein Auftritt vor Gericht erspart. Auf der Liste stehen auch bekannte Namen, darunter der ehemalige Riverboat-Moderator Carsten Weidling, der zu Fohts Protegés gehörte, der ehemalige Musikmanager und Fernsehproduzent Werner Kimmig, der etwa für Sendungen wie Verstehen Sie Spaß? und Immer wieder sonntags verantwortlich war, und Silbereisen-Manager Michael Jürgens. Um jeweils 7500 Euro beispielsweise soll Foht Florian Silbereisen und seinen Manager laut Anklage gebracht haben.
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Auch für den MDR wurde die "Causa Foht" zuletzt wieder pikant. Denn der Ehemann der bisherigen Direktorin des MDR-Landesfunkhauses Sachsen-Anhalt, Ines Hoge-Lorenz, ist ebenfalls in den Fall verwickelt gewesen. Ein abgetrenntes Verfahren endete für ihn mit einer Geldstrafe. Seine TV-Produktionsfirma erstellte die Doku-Reihe Wir sind überall für den MDR, bei der Moderator Carsten Weidling durch die Welt reisen und ostdeutsche Auswanderer besuchen wollte.
Hoge-Lorenz ist mittlerweile von ihrem MDR-Posten zurückgetreten. Sie habe es persönlich versäumt, den MDR und seine Kontrollgremien zu informieren, als sie vor einem Jahr die Direktorenstelle antrat, erklärte sie. Sie habe es dem MDR auch nicht sofort mitgeteilt, als ihr Mann vor einigen Wochen bereits eine Ladung als Zeuge für den Foht-Prozess erhalten habe. "Dies hätte ich unverzüglich transparent machen sollen", wird sie in einer neuen Mitteilung des MDR zitiert.