Twitter und TV:Bitte zwitschern Sie jetzt!

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Künftig können die Zuschauer der amerikanischen Castingshow "The X-Factor" ihren Favoriten via Twitter bestimmen. Damit geht der Kurzmitteilungsdienst eine Allianz ein, die auch das Fernsehen in Deutschland verändern könnte.

Dirk von Gehlen

Da sind sie, da sind sie", die Stimme der Reporterin überschlägt sich. Das Fernsehbild zeigt das winkende Brautpaar, dann einen Schnitt auf den Reporterplatz von ABC in London. Während sie - nun etwas weniger aufgeregt - die Ankunft von Prinz William und Kate Middleton kommentiert, blendet der TV-Sender neben dem Logo der Firma Twitter die Zahl 2.651.143 ein. Exakt so viele Beiträge waren zu diesem frühen Zeitpunkt der königlichen Hochzeit in London zum Schlagwort "Royal Wedding" auf Twitter verfasst worden

Antonio 'L.A.' Reid, Juror bei The X-Factor, kann sich künftig über die Beteiligung der Zuschauer freuen. (Foto: REUTERS)

Man kann diese Sequenz aus dem Frühjahr in einem Clip sehen, den Twitter aktuell auf seiner Website präsentiert. Mit Hilfe des zwei Minuten langen Spots will der Kurzmitteilungsdienst anderen TV-Machern überall auf der Welt zeigen, wie leicht auch sie ihren Zuschauern ein interaktives Angebot zum Mitmachen liefern können - und nebenbei die Bekanntheit der Firma aus Kalifornien steigern.

Twitter wurde 2006 in San Francisco gegründet. Seitdem hat sich die Webseite, auf der sich Nutzer in maximal 140 Zeichen austauschen können, zu einem schnell wachsenden Nachrichtenweg entwickelt, über den Menschen sich gegenseitig auf bedeutsame Meldungen hinweisen. Neben der Kürze liegt ein Grund für den Erfolg des Dialog-Dienstes in seinem Live-Charakter. Auf Twitter kann man während eines Fußballspiels in Echtzeit verfolgen, was die Nutzer über das Auftreten einer Mannschaft oder über die Qualität des TV-Kommentars denken. Organisiert über Hashtag genannte Kurz-Schlagworte, die an das Rautezeichen # angehängt werden, teilen Menschen auf diese Weise Live-Erlebnisse miteinander - obwohl sie sich meist gar nicht kennen.

In Deutschland kann man unter den Schlagworten #sdr ( Schlag den Raab), #sg ( Schwiegertochter gesucht) oder #bsf ( Bauer sucht Frau) beispielhaft verfolgen, wie Fernsehzuschauer bestimmte Sendungen kommentieren. Gerade bei politischen Talkshows lässt sich so ein interessantes Stimmungsbild über Moderationsqualität und das Auftreten der Gäste ablesen.

Doch all dies geschieht bisher eher eindimensional: Twitter-Nutzer greifen auf das Fernsehen als Gesprächsthema zu. Dass das Fernsehen die Nutzer bewusst dazu aufruft, die Leistung von Frank Plasberg (#haf) oder Stefan Raab zu kommentieren, geschieht bisher eher selten - ebenso selten nehmen die Tweets genannten Kurzmitteilungen bislang Einfluss auf das Programm.

Das soll sich jetzt ändern. Deshalb haben die Macher von Twitter den Spot mit Beispielen etwa vom Twitter-Großereignis Royal Wedding bestückt ins Netz gestellt und vor kurzem auch "Richtlinien zur Verwendung von Tweets in Rundfunk und anderen Offline Medien". Das Ziel dieses sperrig klingenden Projekts: eine Art mediale Hochzeit zwischen Twitter und TV. Der Kurzmitteilungsdienst will zu dem relevanten Dialog-Kanal für Fernsehzuschauer werden, die sich über das TV-Programm austauschen wollen.

Für diese Aufgabe hat das Unternehmen Chloe Sladden eingestellt. Als "Director of Content & Programming" machte sie Twitter im vergangenen Jahr zum Partner der MTV Video Music Awards, die dann tatsächlich mit elf Millionen Zuschauern die höchste Quote seit 2002 erreichten.

Für die US-Version der britischen Casting-Show The X-Factor hat Sladden jetzt eine besondere Form der Partnerschaft angekündigt. Zuschauer sollen bei dem Gesangswettbewerb, der bei Rupert Murdochs Sender Fox läuft, von dieser Woche an per Twitter abstimmen können. Simon Cowell, der britische Produzent der Sendung, der vorher mit dem ähnlichen American Idol erfolgreich war, verspricht sich von davon ein neues Fernseherlebnis. Durch den direkten Rückkanal werde der Live-Charakter des Programms stärker in den Fokus gestellt. "Ich glaube, dass wir einen großen Unterschied sehen werden", sagte er der New York Times mit Blick auf die Zuschauer-Abstimmung, die ab 2. November über Direktbotschaften auf Twitter erfolgen soll.

Erstaunlich ist Cowells Prognose auch deshalb, weil der britische Produzent vor gar nicht langer Zeit noch zu denjenigen zählte, die Twitter für eine Plauderbude hielten, in der Fremde Belanglosigkeiten austauschen. Heute spricht er von "Millionen Produzenten", die gemeinsam mit ihm an der Verbesserung des Programms arbeiten.

Ein Grund für den Wandel könnte in der Relevanz liegen, die mittlerweile von Twitter-Konversationen ausgeht. Früher wurde über das Fernsehprogramm am nächsten Tag im Büro gesprochen, heute findet der Austausch in Echtzeit im Netz statt - auf Twitter und Facebook. Quote wird mittlerweile also auch in den Plauderbuden des digitalen Raums gemacht.

Daran werden auch deutsche Fernsehmacher nicht vorbeigehen können. Denn die Twitter-Allianz verspricht TV-Machern noch mehr: Viele Internet-Firmen wie trendrr.tv oder socialguide.com bieten ihnen schon heute sekundengenaue Analysen der Wirkung ihres Programms auf twitternde Zuschauer. Ein Angebot zur Programmforschung, das sicher noch mehr Abnehmer findet, wenn Chloe Sladden weiter so erfolgreich arbeitet wie bisher.

© SZ vom 31.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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