Süddeutsche Zeitung

Streit um Discovery-Tochter:Polens Parlament verabschiedet umstrittenes Mediengesetz

Die neue Regel kann das Aus für die Unabhängigkeit des Senders TVN bedeuten - in einem Moment, in dem die Opposition an Fahrt gewinnt.

Von Florian Hassel, Warschau

So oft sich Polens nationalpopulistische Regierung in den vergangenen Jahren mit anderen Ländern anlegte, so sehr vermied Polen bisher einen Konflikt mit den USA. Eine der größten US-Investitionen in Polen ist TVN, der führende unabhängige Fernsehsender des Landes, der zum Discovery-Konzern gehört. Dieser Sender ist Polens faktischem Regierungschef Jarosław Kaczyński seit Jahren ein Dorn im Auge. Darum beschloss Polens Parlament am späten Mittwochabend trotz etlicher Warnungen Washingtons eine massive Änderung des Mediengesetzes: Die Neuerung soll den ausländischen Besitz polnischer Fernsehsender einschränken, die US-Eigner zum Verkauf zwingen und der Regierung so die Kontrollübernahme über TVN24 ermöglichen.

Dem Gesetz zufolge kann Polens Fernseh- und Rundfunkrat Sendelizenzen nur noch an Sender vergeben, deren Eigentümer mehrheitlich aus Polen oder aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EU mit Norwegen, Island und Liechtenstein) kommen. Eigentlich fiele auch TVN24 unter diesen Schutz: Denn formell gehört er der in den Niederlanden registrierten Polish Television Holding, einer Discovery-Tochter. Doch die Regierung nahm in den Gesetzentwurf einen Punkt auf, demzufolge Eigentümer, die zwar im europäischen Wirtschaftsraum sitzen, aber selbst einem anderen Eigentümer außerhalb gehören, nicht unter diesen Schutz fallen.

Das Gesetz wurde am Mittwochabend bei einer in der Sommerpause einberufenen Sondersitzung mit 228 Ja-und 216 Neinstimmen bei zehn Enthaltungen im Sejm angenommen, dem von der PiS und ihren Verbündeten kontrollierten Unterhaus des Parlaments. Eigentlich war die Sitzung nach einem überraschend erfolgreichen Antrag der Opposition am frühen Mittwochabend schon auf September verschoben gewesen. Doch die von PiS gestellte Parlamentspräsidentin ließ die Sitzung wegen eines angeblichen Formfehlers wiederaufnehmen - und über das umstrittene Mediengesetz abstimmen.

Der Senat, das Oberhaus des Parlaments, wird von der Opposition kontrolliert. Er hat 30 Tage Zeit, um über das Gesetz abzustimmen - ein Nein könnte im Sejm mit einfacher Mehrheit überstimmt werden. Spätestens sechs Monate nach der Annahme sollen die neuen Bestimmungen in Kraft treten, die die bisherigen Eigner von TVN zum Verkauf an mutmaßlich regierungsnahe polnische Eigentümer zwingen sollen.

Die einen sprechen von "Repolonisierung", die anderen von einer "kleptokratischen Autokratie"

Anders als Polens bereits von der Regierung zum Propagandasender umfunktionierte staatliche Fernsehsender TVP erreicht das über Satellit oder im Kabelfernsehen zu empfangende TVN nur rund 60 Prozent der Polen. Journalistisch aber ist TVN führend. PiS-Parteichef Kaczyński rechtfertigte die Gesetzesänderung mit dem Argument, so solle verhindert werden, dass Drogenbosse oder Russland oder China polnische Medien übernähmen. Tatsächlich ärgert den Parteichef wohl eher, dass TVN - anders als TVP - auch Oppositionspolitikern Raum gibt und in den vergangenen Jahren etliche Skandale im Regierungslager aufdeckte oder über sie berichtete. Kaczyński schob schon 2007 die Abwahl seiner damaligen, ebenfalls skandalerschütterten Regierung TVN in die Schuhe.

"Es ist ein bisschen wie bei der Mafia", sagte der Oppositionsabgeordnete Cezary Tomczyk bei der Beratung über das TVN-Gesetz im Parlament an die Adresse der PiS gerichtet. "Es geht darum, den Kronzeugen zu beseitigen. Ihr wollt die Freiheit der Presse in Polen beseitigen, weil sie der Kronzeuge dessen ist, was ihr tut." Der polnische Europaparlamentarier und Ex-Außenminister Radosław Sikorski kommentierte, werde das Gesetz endgültig angenommen, werde Polen zu "einer kleptokratischen Autokratie".

Kaczyński erklärte die "Repolonisierung" aller Medien in Polen schon kurz nach der erneuten Regierungsübernahme seiner Partei Ende 2015 zur Chefsache. Die Übernahme von TVN scheiterte indes zunächst nach Warnungen aus Washington. Im Herbst 2020 aber bekräftigte Kaczyński, es sei Zeit, dafür zu sorgen, dass Medien in Polen in der Regel auch Polen gehörten. Der von seinem Getreuen Daniel Obajtek geführte staatliche Ölkonzern Orlen übernahm von der Verlagsgruppe Passau Polens größte Regionalzeitungsgruppe Polska Press, dort wurden bereits führende Journalisten gefeuert.

Die Opposition hat mit der Rückkehr von Donald Tusk auch wieder einen charismatischen Anführer - der bei TVN eine Plattform findet

Am 26. September läuft die Sendelizenz von TVN24 ab. Obwohl der Sender bereits am 6. Februar 2020 die Verlängerung beantragte, gewährte der PiS-kontrollierte Fernseh- und Rundfunkrat diese bis heute nicht. Experten zufolge, die am Dienstag bei einer Anhörung im oppositionskontrollierten Senat auftraten, ist die Verweigerung der Lizenzverlängerung bei Erfüllung aller Anforderungen illegal. Am 7. Juli brachten PiS-Abgeordnete dann den Gesetzentwurf 1389 ein, der den Artikel 35 des Mediengesetzes ändern und die Verlängerung der Lizenz von TVN illegal machen soll. Der Entwurf wurde nominell von Kaczyńskis langjährigem Vertrauten Marek Suski vorbereitet, der mehrmals offen davon sprach, das Gesetz solle die Kontrollübernahme über TVN ermöglichen.

TVN wird umso wichtiger, als die Popularität des Regierungslagers in den vergangenen Monaten stark gesunken ist und die Opposition erstarkt. Zudem hat diese neben Warschaus Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski mit dem am 3. Juli in Polens Politik zurückgekehrten Donald Tusk zwei charismatische, medienkundige Anführer, die auf TVP angegriffen werden, doch auf TVN eine Plattform finden.

Wird das Gesetz endgültig angenommen, geht Polen auf Konfrontation zu den USA. US-Handelsministerin Gina Raimondo warnte bereits im Juli vor Konsequenzen, ebenso wie im August fünf US-Senatoren unter Führung der Demokratin Jeanne Shaheen: "Das weitergehende demokratische Abgleiten der polnischen Regierung - jüngst durch Versuche, unabhängige Medien und eines der größten US-Investitionen in ihrem Land zu unterminieren - ist tief beunruhigend." Jede Entscheidung, diese Gesetze umzusetzen, könne negative Folgen für Verteidigung, Wirtschaft und Handelsbeziehungen haben, sagte sie.

Trotzdem setzte Kaczyński das Gesetz durch. US-Außenminister Antony Blinken erklärte, die USA seien "tief besorgt" wegen des Gesetzentwurfs, der die Pressefreiheit bedrohe und "Polens starkes Investitionsklima untergraben könnte". Der polnischen Newsweek-Ausgabe zufolge soll Washington schon 2018 bei einem vorangegangenen Versuch, TVN unter Druck zu setzen, gedroht haben, US-Soldaten aus Polen abzuziehen. Polnische Medien spekulieren, Washington könne sich auch weigern, Warschau Militärtechnik zu verkaufen - oder polnische Amtsträger gar mit Sanktionen belegen. Der US-Diplomat Derek Chollet sagte der Rzeczpospolita, US-Präsident Joe Biden verfolge die Causa TVN persönlich.

Der Axel-Springer-Verlag, der in Polen geschäftlich sehr aktiv ist, sieht das Mediengesetz und die Entwicklungen dort mit Sorge. Man sei zwar von der Reform nicht unmittelbar betroffen, weil man in Polen keine TV-Lizenzen habe, erklärte das Berliner Unternehmen am Donnerstag. Ein Konzernsprecher betonte aber: "Wir stehen für Freiheit und Pressefreiheit als wichtige Säule demokratischer Gesellschaften und sind daher besorgt über die aktuellen Entwicklungen."

Der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sassoli, bezeichnete die Entscheidung am Donnerstag auf Twitter als "sehr besorgniserregend". Wenn das Gesetz in Kraft trete, werde es das unabhängige Fernsehen im Land ernsthaft bedrohen, schrieb er. Für die Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Werte und Transparenz, Vera Jourova, sendet das Gesetz ein negatives Signal. "Medienpluralität und Meinungsvielfalt sind etwas, das starke Demokratien willkommen heißen und nicht bekämpfen", schrieb sie ebenfalls auf Twitter.

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