Süddeutsche Zeitung

TV-Zweiteiler "Aufschneider" auf Arte:"Du bist so a gschissenes Arschloch"

Er fasst zwischenmenschliches Grausen gekonnt in Worte. Heute abend strahlt Arte den Zweiteiler "Aufschneider" aus, in dem sich Kabarettist Josef Hader mindestens so gut inszeniert wie auf einer Bühne. Als Pathologe Dr. Fuhrmann liegt er mit jedem über Kreuz, der ihm begegnet - und verhält sich dabei wie in einem Tennis-Match.

Gerald Kleffmann

Josef Hader ist gnadenlos. Er stellt sofort die Spielregeln auf und schickt den Zuseher nicht ohne doppelten Boden auf die 176-minütige Reise: Ein junger, adretter Mann, der sich für eine Stelle als Pathologe bewirbt, begründet seinen Berufswunsch damit, dass er mit lebenden Patienten nicht umgehen könne. Daraufhin sagt Hader, der in dem Arte-Zweiteiler Aufschneider den Chef-Pathologen Fuhrmann darstellt: "Mir graust's richtig vor Menschen. Wenn s' tot sind, nimmer mehr, aber wenn s' am Leben sind und jammern." Wo Hader draufsteht, ist eben viel Schwarzes drin. Humor kommt selten bissiger und sezierter daher als bei dem vielfach ausgezeichneten Kabarettisten aus Österreich.

Das zwischenmenschliche Grausen in Worte zu fassen, ist Hader offensichtlich gottgegeben. Was für ein Glück, dass er einst sein Lehramtsstudium abbrach. Dass er diesmal im kalten Neonlicht der Krankenhauswelt als grantelnder Pathologe auftritt, ist die Krönung seines filmischen Schaffens. Hader ist ganz bei sich. 2010 wurde Aufschneider im ORF gezeigt, bei einem Filmfestival in Montenegro folgten Preise.

Zu Recht, die Figur des Dr. Fuhrmann bietet Hader einen Freiraum, den er mit bösartigen Botschaften zu füllen weiß. Der Pathologe ist, zumindest wie ihn Hader interpretiert, kein feinfühliger Anthroposoph, sondern konfliktorientierter Realist. Dass Fuhrmann mit allen über Kreuz liegt, die ihm begegnen, ist schlichtweg eine Selbstverständlichkeit. Hader muss zubeißen. Das ist sein Wesen.

Diese Art, die sicherlich speziell ist, kommt besonders im ersten Teil des Films zum Ausdruck, der einer Hader-Show in XXL gleicht. Scharfsinnige Betrachtungen reihen sich aneinander, hier nölt jemand, der seit Jahrzehnten von Bühne zu Bühne tourt und seinen Stil kultiviert hat. Hader ist die Antithese zu den vielen grinsenden Gestalten des öffentlichen Lebens, die permanent alles gut finden müssen.

Dass er sich treu bleiben kann, ist auch der Zusammenarbeit mit Regisseur David Schalko geschuldet. Die beiden kennen sich von anderen Projekten und haben gemeinsam das Drehbuch entwickelt. Schalko steht ebenfalls für den anderen Blickwinkel. 2008 inszenierte er Das Wunder von Wien: Wir sind Europameister, das war ein glänzender fiktionaler TV-Dokumentarfilm.

Interessant wäre es zu wissen, in welchen Anteilen sich Hader und Schalko ins Manuskript eingebracht haben, denn die zwei Teile unterscheiden sich. In den ersten 90 Minuten ähnelt die Aufführung einem Kammerspiel mit Hader als dem Dirigenten. Das Aneinanderabarbeiten und sich Aufreiben, die vielen enervierenden Nuancen des Beisammenseins stehen im Vordergrund. Einmal raunzt Fuhrmann den jungen Bewerber - er ist ja noch in der Probezeit - an: "Sie sind hier nicht zu einem Tennis-Match verabredet."

Das ist Subtilität vom Feinsten, denn Hader praktiziert ja genau das: Matches. Jeder Dialog ist ein Duell, in dem es darum geht, zu punkten, Angriffe abzuwehren und sich auf keinen Fall unterkriegen zu lassen, auch wenn man gerade vom Gegner die Fresse poliert bekam, was im Film wörtlich zu nehmen ist. Am Ende flüstert die Angebetete Hader ironiefrei ins Ohr: "Du bist so a gschissenes Arschloch." Fuhrmanns logische Replik: "Sicher eh. Und sonst?"

Hader schauen bedeutet fürs Leben lernen. Vieles ist eben eine Frage der Perspektive. Als Fuhrmann einen Krebstumor mikroskopiert, sagt er regelrecht erfreut: "Der wuchert daher, zerstört ganze Systeme, aber des is ihm wurscht. Aus seiner Warte macht er alles richtig." Haders Botschaft ist nicht neu, aber immer wieder gut: Mit der passenden Haltung lässt sich das Leben in all seinen Ausprägungen erträglicher meistern.

Der zweite Teil, den Arte unmittelbar nach dem ersten sendet, wird nicht mehr ausschließlich auf der Hader'schen Bühne ausgetragen. Einige der zunehmend verzweigten Handlungsstränge erinnern in der Überzeichnung an Momente eines Meisterwerks der Coen-Brüder, an The Big Lebowski.

Sogar Nihilisten haben ihren Platz im Plot gefunden, jedenfalls ist das, was Max (Raimund Wallisch) und Moritz (Georg Friedrich), die zwei Betreuer in der Pathologie, sowie die von Meret Becker dargestellte Bestattungsunternehmerin umsetzen, derart kauzig, dass zu klären wäre, warum solche feinen Nebenrollen nur selten in deutschen Produktionen zu kreieren sind.

Durchzuhalten am Freitagabend zahlt sich also aus, wenngleich Längen auftauchen. Hetzen lässt sich einer wie Hader nicht. Die nächste feiste Pointe schlummert im nächsten Dialog, garantiert. Es gilt, nur auf die Zwischentöne zu achten. Einem Witwer prophezeit Hader im Vorbeigehen: "Jetzt fängt eine schöne Zeit für Sie an."

Aufschneider, Arte, Freitag, 20.15 Uhr / 21.40 Uhr

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SZ vom 18.05.2012/mahu/pak
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