Süddeutsche Zeitung

Dokumentation über "Marco W.":Ein positiv besetzter Held

Sat 1 ließ die Geschichte von Marco Weiss, der acht Monate in türkischer Haft verbrachte, verfilmen. Doch heikle Passagen fehlen - der Film geht auf "Nummer sicher".

Christopher Keil

Was es ist? Flucht oder Chance? Auch Marco W. - 247 Tage im türkischen Gefängnis ist ein Beispiel für die vielen Buch-Verfilmungen, mit denen der deutsche TV- und Kinomarkt zunehmend gefüllt wird. Das heißt, die Leistung des Produzenten liegt zunächst (oft auch nur) darin, sich die Rechte zu besorgen.

Die Kölner Firma Zeitsprung hat fundierte Kenntnisse erworben bei der Übertragung historischer Stoffe aufs Fernsehen. Sie hat die Rettung der verschütteten Bergleute von Lengede ganz ordentlich an Sat1 verkauft, hat dann den kalten, zynischen Wirtschaftskrimi Contergan für die ARD in ein rührendes, zweiteiliges Sozialdrama der sechziger Jahre verwandelt. Der Bericht von Marco Weiss, der 2007 mehr als sieben Monate in einem türkischen Gefängnis war, weil ihm sexueller Missbrauch vorgeworfen wurde, läuft jetzt wieder bei Sat1, auf dem Movie-Sendeplatz.

Unter Produzenten wird Marco W. als großes Geschäft bewertet: garantierte Aufmerksamkeit, gute PR-Fläche, ein positiv besetzter Held. Marco Weiss war mehr als zwei Jahre auf der publizistischen Agenda, er hat die Politik beschäftigt. Er bestreitet, als 17-Jähriger mit einer 13-jährigen Engländerin Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Ein medizinisches Gutachten des Mädchens stützte seine Aussage früh.

Die türkische Justiz geriet unter Druck, der deutsche Außenminister Steinmeier (SPD) schaltete sich ein. Am Ende spielte ein in Hamburg tätiger türkischer Reiseveranstalter eine entscheidende Rolle. Ganz seltsam. Die deutsche Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren 2009 ein. Der Verdacht des sexuellen Missbrauchs habe sich nicht bestätigt. In der Türkei wurde Marco W. in Abwesenheit verurteilt.

Viele, die in den Fall verstrickt oder von ihm berührt waren, bewegten sich auf dünnem Eis. Vermutlich sind ein paar eingebrochen. Das Fernsehen, so wirkt es, ist an denen, die einbrechen, immer weniger interessiert. Marco W. bezieht sich ausschließlich auf das Buch von Marco Weiss, das nach seiner Freilassung erschien. Was soll dabei herauskommen? Eine "Nummer sicher", persönlichkeitsrechtlich wie künstlerisch. Kein Film, der verschlossene Räume ausleuchtet, die Vergangenheit oder die Monate nach der Heimkehr des Schülers.

Veronica Ferres ist als Mutter, Herbert Knaup als Vater zu sehen und der schon in Dominik Grafs Mafia-Serie Im Angesicht des Verbrechens auffällige Vladimir Burlakov als Marco W. Burlakov ist ein guter Typ, ein sehr talentierter Schauspieler, vor allem sieht er Marco W. ziemlich ähnlich. Und so ist die ganze Verfilmung ausgelegt: auf Ähnlichkeiten - mit den echten Personen und der veröffentlichten Handlung.

Doch genau so, wie es beim ZDF-Zweiteiler Dresden vor ein paar Jahren nicht reichte, die Apokalypse des Kriegsbombardements akustisch und visuell zu thematisieren, reicht es nicht, einen wahren Justizthriller nur sauber und elegant zu inszenieren.

Das Drama Marco W. ist sehr gefällig, sehr geschminkt, es wird erfolgreich abschneiden. Veronica Ferres ist ständig erschüttert, verzweifelt, überfordert, aber bei bestem Willen spielt sie das alles nicht. Man weiß, was sie spielen will, und bei Herbert Knaup fällt einem ein, wie leicht der alles spielen kann und wie gehemmt er nun als traurige, bemühte väterliche Gestalt den Rand abdeckt. Verfilmungen dieser Art sind eine Flucht, sie riskieren wenig und rechnen mit Zuneigung. Und wer will die schon Marco W. verweigern?

Marco W. - 247 Tage im türkischen Gefängnis, Sat1, 20.15 Uhr.

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SZ vom 22.03.2011/fort
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