TV: Volksmusik in der Krise:Servus, Grüezi und k.o.

Das Fernsehen setzt eine Volksmusiksendung nach der anderen ab. Die Musikanten ficht das nicht an. Sie sind weiter gut gelaunt, sie können darüber lachen, sagen sie. Und feiern Weihnachten im Oktober.

Florian Fuchs

Es ist Herbst im schönen Ellmau in Tirol. Es regnet, das Massiv des Wilden Kaisers versinkt im Nebel. Unten, im Tal, ist noch nicht ein Millimeter Schnee gefallen.

'Christmas With Marianne & Michael' Show Taping

Die heile Welt an Heiligabend: Mariannew und Michael drehen ihre Weihnachtssho bereits im Herbst.

(Foto: Getty Images)

Drinnen aber, im Hotel, da feiern die Volksmusikanten jetzt Weihnachten. Vor einem Christbaum liegen Tannenzapfen und Orangen, auf einem Tisch stehen ein Nussknacker und ein Teller Butterplätzchen. Nur Geschenke sind gerade nicht zu sehen. Auf Geschenke vom Fernsehen darf die Volksmusik schon lange nicht mehr hoffen.

Marianne und Michael Hartl müssen es bereits als Gabe betrachten, dass das ZDF ihnen mitten im Herbst in Ellmau wieder eine Stube hergerichtet hat, in der sie mit der Familie der Volksmusik Weihnachten spielen dürfen: Weihnachten mit Marianne & Michael. Sendetermin: Heiligabend. Es ist eine der letzten Shows, die Deutschlands bekanntestes Volksmusik-Paar noch moderiert. Die Branche steckt in der Krise, eine Sendung nach der anderen wird abgesetzt. Aber hier will das keiner wahrhaben.

"Die schlechten Quoten sind nur eine Momentaufnahme", sagt Michael. Er sitzt im schwarzen Janker neben seiner Marianne, die ein grünes Dirndl trägt, und will - wie seine Kollegen - von einem Niedergang der Volksmusik überhaupt nichts wissen. Am Tisch nebenan sitzt Maxi Arland, er ist auch ein Sänger und sieht ein bisschen aus wie Florian Silbereisen, bloß mit Dreitagebart. Dahinter haben es sich Belsy und Florian, frisch gekürte Gewinner beim Grand Prix der Volksmusik, auf einem Bauernsofa gemütlich gemacht.

Es ist eine Art Speed-Dating für Journalisten und Volksmusikanten, zu dem das ZDF eingeladen hat. Ein Gespräch dauert 15 Minuten, dann werden Stühle gerückt. Das Goldene Blatt ist da, das Neue Blatt, und Echo der Frau auch. Bevor es um die Krise der Volksmusik geht, werden erst noch die wichtigen Themen besprochen. "Zu Hause feiern wir Weihnachten ganz traditionell mit der Familie, wir essen Raclette, und dann singen wir", sagt Marianne. Sie sagt das alle 15 Minuten einmal und lächelt dabei großmütterlich. Die anderen erzählen Ähnliches. Familie schreiben sie hier alle groß, das sind sie ihren Fans schuldig. So war das schon immer: Die Texte der Volksmusik sind zusammengebastelt aus Worten wie Hochzeit, Liebe, Herz, dazu kommen Heimat, Berge und Hüttenzauber.

Der große Spaß ist jetzt vorbei

Das hat lange hervorragend funktioniert. Marianne und Michael haben in den Achtzigern die Superhitparade der Volksmusik und Lustige Musikanten übernommen. Als Kulisse diente immer irgendetwas mit Natur, gerne ein Bach, gerne eine Blumenwiese. In der Landschaft standen ein paar Kinder, und dann sangen Heino oder die Wildecker Herzbuben. Die Lieder hießen "Die lustigen Holzhackerbub'n", "Am schönsten ist es daheim" oder "Kuscheln erlaubt". Alle hatten ziemlich gute Laune, auch die Zuschauer, mehr als 15 Millionen waren es zu den besten Zeiten.

Es war ein großer Spaß und der ist jetzt vorbei. Die Lustigen Musikanten stellte das ZDF 2007 ein. Die letzte Sendung hatte zwar noch vier Millionen Zuschauer, aber fast keinen in der werberelevanten Zielgruppe unter 49 Jahren, und die ist den Fernsehsendern heilig. Für Marianne war das damals zu viel. Die Absetzung, der Ärger. Direkt nach der letzten Sendung musste sie ins Krankenhaus: Schwächeanfall.

Ein Aufschrei ging durchs Land, zumindest durchs alpenvorländische. Die Fans protestierten. Selbst Heino wurde plötzlich politisch und forderte seine Anhänger auf, einen Euro der GEZ-Gebühren einzubehalten. Eine Gruppe, die sich Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlager und Volksmusik nennt, bemühte das Antidiskriminierungsgesetz. Hebt die Volksmusik nicht aus dem Programm, forderten sie, ihr benachteiligt die Alten. Dass sie damit indirekt eingestanden, dass die große Zeit vorbei ist und keine Anhänger mehr nachkommen, das merkten sie gar nicht.

Die Journalisten von der Fachpresse sind da realistischer. Nach den Interviews stecken sie im Nebenraum die Köpfe zusammen und spekulieren, ob Marianne und Michael im kommenden Herbst überhaupt wieder Weihnachten spielen dürfen, oder ob diese Show auch noch abgesetzt wird. Selbst das ZDF hat immer weniger Lust auf jodelnde Trachtler, sogar der Grand Prix der Volksmusik wird jetzt eingestellt, bisher immer so etwas wie der Eurovision Song Contest in den Bergen. "Die Sendung ist von der Erscheinungsform nicht mehr vorzeigbar", findet Programmchef Thomas Bellut.

Die Volksmusikanten aber sitzen im Hotel vor ihrer Weihnachtskulisse und spielen weiter heile Welt. "Wir werden immer Zuschauer haben", sagt Michael, er sagt so etwas ziemlich oft in den 15 Minuten. "Ach, von Problemen höre ich seit 17 Jahren", sagt Arland am Nebentisch. "Bei uns beim Spatzenfest singen auch junge Leute die Texte mit", sagt Belsy.

Philosophie in den nebelverhangenen Bergen

Selbst der Spott über die Musik und ihre Texte dringt zu manchen offenbar nur gedämpft vor. "Wir spüren keine Häme", versichert Belsys Partner Florian. Nachdem das Paar im Sommer den Grand Prix der Volksmusik gewonnen hatte, nahm sich Stefan Raab des Themas an. "Aber der hat uns überhaupt nicht veralbert", sagt Florian und schiebt sich einen Keks in den Mund. In seinem Beitrag damals nannte Raab den Grand Prix "Paralympics der Musikbranche".

Marianne und Michael sind zu lange im Geschäft, sie kennen den Spott. Aber sie ist ihnen egal, sagen sie.

Es gibt einen Film mit Moritz Bleibtreu, "Das Experiment", da foltern Wärter einer Anstalt Häftlinge und spielen dazu einen der größten Hits des Paars: "Wann fangt denn endlich d'Musi an, damit I mit Dir schmusen kann". Michael zuckt mit den Schultern, den Film hat er sich sogar angeschaut. "Wenn die mit so etwas ihre intellektuelle Freude ausleben können, dann sollen sie das tun", sagt er. "Ich kann darüber lachen", sagt Marianne und lacht.

Die Volksmusikanten haben es sich gemütlich gemacht in ihrer Welt, in der sie Weihnachten im Herbst feiern. Zum Ende der Gesprächsrunde legt Michael noch einmal den Arm auf Mariannes Schulter und erzählt, wie sie das alles schaffen. Immer zusammen, beruflich wie privat, trotzdem noch so verliebt. Er schaut aus dem Fenster auf die nebelverhangenen Berge und wird ein bisschen philosophisch: "Wir streiten auch öfter mal. Nur wer zornig ist, sagt sich die Wahrheit." Zumindest im richtigen Leben ist das so. In der Volksmusik, da blenden sie den Ärger lieber aus.

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