TV-Trend:Retro-Spielshows sind der reine Eskapismus

RTL - 'Ruck Zuck'

RTL und Sat.1 surfen die Retro-Welle mit Gameshows aus den 1990er-Jahren. Hier: Oliver Geissen in der Sendung Ruck Zuck.

(Foto: RTL)

Glücksrad, Jeopardy, Herzblatt und Co.: Wie die Privatsender mit Alles-egal-Moderatoren und Einheitskulisse günstiges Programm machen.

TV-Kritik von Hans Hoff

Charlotte hat die Kategorie "Kulturbegriffe 1000" gewählt und soll nun die Frage zu folgender Antwort finden: "Der Streit zwischen der katholischen Kirche und dem Deutschen Reich Ende des 19. Jahrhunderts um eine schärfere Trennung von Kirche und Staat wurde mit diesem Begriff belegt." Ein kurzes Zögern, dann die Antwort von Charlotte: "Was ist der Kulturkampf?" Es folgt die Begeisterung des Quizmasters. "Ja, richtig", jubelt Frank Elstner.

Ja, richtig, es war Frank Elstner, der hier über Wohl und Wehe seiner Kandidaten befand. Und noch besser: Es war Frank Elstner bei RTL. Ja, richtig: RTL. Vor gut zwanzig Jahren ging es halt bei der Quizshow Jeopardy noch um Fragen, die man dieser Tage allenfalls noch bei Arte vermuten würde. Nun ist Jeopardy wieder zurück im RTL-Programm, allerdings ohne Elstner. Dessen Rolle nimmt inzwischen Joachim Llambi ein, der Buchhalter unter den hiesigen Fernsehmoderatoren, die gewollte Seriosität auf zwei Beinen. Bei RTL ist er trotzdem bekannt als gestrenger Juror von albernen Tanzshows.

Retro bedient das Früher-war-alles-besser-Gefühl

Worum es geht, ist ohnehin egal, weil Jeopardy ja nur Teil ist einer nach Verzweiflung müffelnden Kampagne, die RTL gerade fährt. Pril-Blümchen, Zauberwürfel und eine lustige Ratesendung: Retro bedient zuverlässig das Früher-war-alles-besser-Gefühl. Auch andere sitzen in diesem Zug, seit vergangener Woche sucht etwa Thomas Ohrner auf Sat.1 Gold wieder das Herzblatt. Und im vergangenen Jahr führte Kai Pflaume das schon lange verblichene Moderator-Hüpf-Format Dalli, Dalli in ein neues Leben im Ersten.

RTL aber hat im Sommer gleich vier Mal 60 Gameshows in den Hürther Nobeo-Studios fertigen lassen, um einerseits das Comeback eines Genres einzuläuten, andererseits Programmfläche zu füllen und um zusätzlich auch noch Moderatoren an den Sender zu binden. Vier Klassiker hat RTL exhumiert und mit neuen Moderatoren bestückt. Neben Jeopardy sind auch Ruck Zuck, Familien Duell und das Glücksrad wieder auf dem Schirm. Doch wo sich früher Werner Schulze-Erdel, Frederic Meisner und Frank Elstner tummelten, sieht man heute die glattgebügelte Propagandisten-Elite des Senders, von Llambi über Oliver Geissen bis zu Inka Bause und den von Sat.1 geholten Jan Hahn. Den Neuen ist es sehr offensichtlich schnurzpiepegal, was sie da wegmoderieren. Hauptsache, sie haben gut zu tun.

"Dann grüßen wir mal in diese Kamera die Silke: Hallo Silke." - "Hallo Silke"

Als Moderator einer Spielshow wirkt Joachim Llambi arg ungelenk, etwa wenn er versucht, die Kandidatin Gisela zum Gruß an ihre Tanzlehrerin Silke zu bewegen. "Dann grüßen wir einmal in diese Kamera die Silke. Hallo Silke", ordnet Llambi an. "Hallo Silke", sagt etwas verschüchtert die Kandidatin Gisela. Cut! Schluss mit Charme und Plausch, weiter geht es mit Jeopardy, wo nichts mehr ist mit Kulturkampf. Heute geht es um "Internet-Hype", "Mädchensache", "Seriensätze".

So entlarvt sich die Spielshow-Offensive schnell als kostengünstige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme fürs Stammpersonal. Wer vom eigenen Sender viele Jobs bekommt, wildert gar nicht erst auf anderen Stationen.

Ein aufdringlicher Versuch, goldene Zeiten heraufzubeschwören

Doch die ABM ist nicht die grundlegende Motivation. In erster Linie geht es darum, dem Digitalkanal RTLplus die Programmflächen zu füllen. Längst hat man in Köln erkannt, dass nur mit Diversifizierung der Kampf um sinkende Marktanteile zu gewinnen ist. Wenn schon immer mehr Spartenkanäle Marktanteile bei den großen Muttersendern abbeißen, dann steht man sich am besten, wenn man die Kannibalisierung gleich durch selbstgeschaffene Geschöpfe erledigen lässt.

RTLplus ist ein Kanal, der deutlich auf eine ältere Generation zielt. Nicht ohne Grund heißt der Ableger ja wie der Mutterkanal in seinen besten Zeiten. Genau diese goldenen Zeiten mit dem "plus" im Namen will man sehr offensichtlich mit dem aufdringlichen Retro-Trend beschwören. Mehr als nur ein wenig Selbstmitleid klingt da deutlich durch.

Eskapismus in Reinform

Natürlich sind kostengünstig produzierte Spielshows vor allem Controller-Fernsehen. Sie lassen sich halt vielseitig nutzen. Sie kleistern nicht nur Fläche bei RTLplus zu, sie füllen samstags auch die Daytime des Hauptsenders und sorgen dafür, dass bei RTL wenigstens an diesem Wochentag nicht nur Blaulichtreports mit pöbelnden Prolls in Dauerschleife das Tagesprogramm wie einen Hysterie-Schnellkochtopf wirken lassen.

Die zurückgekehrten Spielshows sind natürlich Eskapismus in Reinform. Es geht um nichts, selbst die ausgelobten Preise bleiben meist im vierstelligen Bereich. Den günstigen Preisen entsprechen die überschaubaren Produktionskosten. Alles wurde in einem Studio gefertigt, weshalb drei der vier Shows wirken wie aus dem Pastellmalkasten gezogen. Nur bei Jeopardy traut man sich mal ein sattes Blau und ein sattes Rot. Der ganze Rest sieht aus wie televisionäre Eiszeit. Ohne Wärme, ohne Engagement, ohne Leidenschaft.

Immerhin passt Oliver Geissens distanzierte Schnoddrigkeit zu Ruck Zuck, weil da die Kandidaten pausenlos reden müssen. Das Wort ist stark, das Wort sorgt für jene Lebendigkeit, die das Plastikambiente und der Egal-Moderator so deutlich zu vermeiden suchen. Beim Familien Duell wirkt selbst die von Bauer sucht Frau gefürchtete RTL-Grinsekatze Inka Bause nicht deplatziert, weil halt so viel geschieht bei den Kandidaten. Da flutscht es auch durch, wenn sie krumme Sätze vom Kärtchen abliest. "Nennen Sie ein Gemüse, das Kindern geraten wird, aufzuessen, obwohl sie es nicht mögen." Ein Tipp. Kulturkampf ist die falsche Antwort.

"Sie haben alles riskiert, dass sie bei uns zugeschaut haben, und es hat nicht wehgetan"

Das Mir-doch-egal-Virus hat sehr deutlich das ganze Personal befallen. Jan Hahn etwa, der Glücksrad-Moderator, den man sich wie die Show von Sat.1 geholt hat, leiert beispielsweise so, als wolle er im Oliver-Geissen-Gleichgültigkeitswettbewerb den Namensgeber um Längen übertrumpfen.

Am Schluss einer Sendung taucht schließlich ein Satz auf, bei dem ein bisschen durchklingt, wie die Macher das finden, was sie da tun. "Sie haben alles riskiert, dass sie bei uns zugeschaut haben, und es hat nicht wehgetan", sagt Llambi zum Abschied aus einer Jeopardy-Folge in die Kamera, und käme es nicht von ihm, man könnte es glatt als ironische Bewertung des Treibens interpretieren. Da es aber von Llambi kommt, muss man befürchten, dass sie das alles mit den Spielshows doch ernst nehmen bei RTL. Sie müssen sehr verzweifelt sein.

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