"TV Total Bundestagswahl" mit Stefan Raab:Er hat getan, was er konnte

'TV total Bundestagswahl 2013'

Stefan Raabs Abschluss des Wahljahres: Seine "TV Total Bundestagswahl".

(Foto: obs)

Entertainer Stefan Raab hat eine Leidenschaft für Gegenentwürfe: für einen anderen Eurovision Song Contest, für andere Spielshows - jetzt für anderes Polit-Fernsehen. Raab hat sich in diesem Wahljahr mit Formaten wie der "TV Total Bundestagswahl" konsequent der Lethargie verweigert. Nicht weil er muss. Sondern weil er will.

Eine TV-Kritik von Irene Helmes

Wenig oder überhaupt nicht interessant, so lautete bei einer Umfrage in der vergangenen Woche das vernichtende Urteil von zwei Drittel der Befragten zum Bundestagswahlkampf. Verschwindende drei Prozent erlebten ihn als "sehr interessant". Stefan Raab gehört zweifellos zu letzterem Grüppchen - und steht der gelangweilten Masse derzeit gegenüber wie ein Referendarlehrer, der nicht weiß wohin mit all seinen Pädagogiktricks.

Während die ARD am Vorabend der Wahl "Verstehen Sie Spaß?" fragte und bei Sat1 "Promi Big Brother" auf "Mr. Poppers Pinguine" folgte, setzte Raab in der Primetime von Pro Sieben also eine letzte Elefantenrunde ins Programm, mit Zuschauerabstimmung und abschließender Wahlprognose, drei Stunden lang.

Dabei im Studio: Armin Laschet (CDU), Ilse Aigner (CSU), Thomas Oppermann (SPD), Katrin Göring-Eckhardt (Grüne), Gregor Gysi (Die Linke) und Rainer Brüderle (FDP). Wer den Wahlkampf verfolgt hatte, erlebte zwar keine Überraschungen. Aber sollte es überhaupt noch relevante Überraschungen geben am Vorabend der Wahl in einer Show? Nein. Raabs Sendung war ein Last-Minute-Service für Unentschlossene. Die Informierten und Festgelegten konnten immerhin gespannt auf die Publikumswahl warten.

"Sexy Motherfucker" Brüderle

Und zum Durchhalten gab es natürlich ein bisschen Spaß. Rainer "Aufschrei" Brüderle wurde von der Band mit "Sexy Motherfucker" begrüßt. "Freunde! Freunde! Freunde! Oder ich sage besser: Anwesende!", rief Raab erfolgreich zur Ordnung. Nötig war das selten, er fand einen entspannt-launigen Ton mit allen sechs Politikern, stichelte und provozierte genüsslich, aber in Maßen.

Der alte Raab ist aber noch da, Absolute Mehrheit hin, TV-Duell her. So zu sehen an den abstrusen "Erstwählerchecks" von TV Total, die Jugendliche bloßstellten. Im "Best of" der letzten Wochen hörte man da auf die Frage nach den Ambitionen als Kanzlerin für einen Tag die Antwort "ich würde zuhause chillen". Aber während Raab früher purer Zynismus vorgeworfen wurde, gibt er sich inzwischen eher als Lehrer, der seine Schüler notfalls auf die fiese Tour aufrüttelt: "Wir kümmern uns eben um die Problemgebiete". Wählen zu gehen anstatt ein Eis zu kaufen und RTL II zu schauen, hieß sein Aufruf ans Publikum.

Schon 2005 und 2009 schaltete sich der Entertainer mit TV Total in den Wahlkampfendspurt ein. Mit Spitzenpolitikern, guten Quoten und Prognosen, die nicht extrem vom späteren Ergebnis abwichen. Warum eigentlich der Aufwand?

Raab, der Berufsjugendliche

Raab hat in seinem Show-Universum viele Talente bewiesen und kann längst machen, was er will. Wer Schlag den Raab gesehen hat, weiß, dieser Mann kann schlecht verlieren, und er tut es auch selten. Sicher reizt es ihn, dank seiner politischen Experimente plötzlich von Literaturnobelpreisträger Grass gelobt zu werden und die Berliner Elite direkt ins Gesicht zu ärgern.

Vor allem aber will Raab vermutlich nicht noch mit 65 im Wok einen Berg runterrutschen oder Crash Challenge spielen. Vielleicht langweilt es irgendwann auch, sich lustige Fragen für austauschbare Sternchen auf dem TV-Total-Sofa ausdenken zu lassen. Das jugendliche Entertainer-Image wird anstrengender werden. Fans der ersten Stunde sehen dem zweifachen Vater mittlerweile längst mit ihren eigenen Kindern zu.

Viel jünger als etwa die Kollegen aus dem TV-Duell ist Raab längst nicht mehr. Der Entertainer ist 46, Anne Will 47, Maybrit Illner 48, Peter Kloeppel 55. Raab, man kann es auch andersherum rechnen, hätte theoretisch mit Aigner oder Göring-Eckardt in dieselbe Klasse gehen können, ist verblüffende sechs Jahre älter als sein Lieblingsopfer Philipp "Fipsi" Rösler und ganze zehn Jahre älter als Kristina Schröder oder Daniel Bahr. Von seinem Abitur und seinen fünf Semestern Jurastudium war bislang auffallend seltener die Rede als von seinen Anfängen in der elterlichen Metzgerei. Lange hat Raab auf Jugend gesetzt und sich auch mal dumm gestellt, aber jetzt?

Raab hat die totale Blamage riskiert

Für eine Midlife-Crisis wirkt der Kölner zu gut gelaunt. Er tobt sich weiter in seinen zahllosen Unterhaltungsshows aus. Wer derzeit einkaufen geht, muss darauf gefasst sein, einem Raab-Designer-Duschkopf gegenüberzustehen. Gedanken zu machen scheint er sich aber doch über die Zukunftsaussichten als Berufsjugendlicher.

Raab hat seit langem seine Leidenschaft für Gegenentwürfe gezeigt: für einen anderen Eurovision Song Contest, für andere Spielshows, nun eben für anderes Polit-Fernsehen. Während dieses Wahljahrs hat er sich konsequent der Lethargie verweigert. Nicht weil er muss, sondern weil er will. Der Hyperaktive hat mit Absolute Mehrheit die totale Blamage riskiert, er hat seine Popularität genutzt, um Politik in die Primetime zu bringen.

Die pure Lust am Labern

Kein Grund für Hymnen. Bei politischen Details muss Raab erwartungsgemäß oft passen, faktisch korrigieren kann er Politiker selten. Sogar damit kokettiert er. "Das hat mir ein seriöser Journalist gesteckt" grinste er einmal am Samstagabend. Bei der Auswertung der Zuschauerabstimmung ging es dann mit Steven Gätjen und dem Welt-Journalisten Robin Alexander ziemlich drunter und drüber. Vieles, was Raab während der Diskussion gut gemacht hatte, opferte er hier wieder der puren Lust am Labern.

"Wenn es zu Rot-Grün reicht, mache ich noch morgen Abend Andrea Nahles einen Heiratsantrag", tönte er noch während der Diskussion. Die Prognose auf Basis der Zuschauerabstimmung sah am Ende nach "demographischer Glättung" und einem "bösen Koeffizienten" so aus: Union 35%, SPD 28,8%, FDP 4,9 %, Grüne 6,2 %, Linke 15,6 %.

Grund zur Vorfreude

Die Herleitung und Interpretation dieser Werte war vorsichtig gesagt gewöhnungsbedürftig, von den Sprüchen zu schweigen. Klar ist aber auch: Für einen Tabubruch im Polit-TV ist eh nichts mehr übrig. Wie könnte Raab zotiger oder polemischer sein als die Heute Show oder andere Satireformate.

So täte Raab in seinen Polit-Sendungen am besten daran, das Drumherumreden zu lassen und sich auf seine große persönliche Stärke zu konzentrieren: das Gespräch mit den Gästen. Raab wurde in der vergangenen Woche genau dafür mit Absolute Mehrheit für den Deutschen Fernsehpreis im Bereich Information nominiert. Wenn er weitermacht und dabei nicht größenwahnsinnig wird, gibt es allen Grund zur Vorfreude.

Letzte Chance für Unentschlossene auf die alternative Elefantenrunde: Die TV Total Bundestagswahl wird am Sonntag ab 10.40 Uhr bei Pro Sieben wiederholt.

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