Süddeutsche Zeitung

TV-Talk:"Was können Sie überhaupt, Herr Gauland?"

In der Talkshow von Anne Will windet sich der AfD-Politiker durch zweifelhafte Argumentationen. Und wie rassistisch Deutschland ist, weiß am Ende auch niemand.

TV-Kritik von Julian Dörr

Es gibt an diesem TV-Abend einen Moment, der die ganze Lächerlichkeit und Dramatik der Debatte auf ihren Höhepunkt bringt. Alexander Gauland, der stellvertretende Bundessprecher der Alternative für Deutschland (AfD) ist zu Gast bei Anne Will, es geht um Rassismus in Deutschland, um Gaulands rechtspopulistische Äußerungen der vergangenen Tage, vornehmlich um die Causa Boateng und die Ereignisse von Elsterwerda.

Dort hatte Gauland zusammen mit Björn Höcke, dem Fraktionsvorsitzenden der AfD im Thüringer Landtag, am 2. Juni eine Rede gehalten. In dieser Rede bezeichnete Gauland Angela Merkel als "Kanzler-Diktatorin" und zitierte eine rechtsextreme Parole: "Heute sind wir tolerant und morgen fremd im eigenen Land." In der Talk-Runde will der AfD-Politiker das plötzlich nicht mehr gesagt haben. Es folgt der Videobeweis durch die Redaktion und Wortschieberei seitens Gauland. Jaja, habe er schon gesagt, habe er sich aber nicht ausgedacht. Sondern vom Kollegen Höcke übernommen.

Und die Neonazi-Parole? Die habe Gauland auf einem Schild in der Menge gelesen und sich gedacht: kluger Satz. Nur blöd, dass der von einer rechtsextremen Band stammt, deren Song auf einer CD mit dem Titel "Hitler lebt" veröffentlicht wurde, wie ein schlagfertiger Heiko Maas einzuwerfen weiß.

Die Szene fasst die frustrierende Dynamik der Sendung zusammen: Der Justizminister, die Moderatorin Will und der FAZ-Journalist Eckart Lohse nehmen Gauland eine Stunde lang in die Zange, haken nach, arbeiten sich mit Informationen an Vorurteilen ab. Und mühen sich trotzdem vergebens. Gauland windet und schlängelt sich durch zweifelhafte Argumentationen. Es wirkt bisweilen lächerlich, wenn Will vier Mal hintereinander die gleiche Frage stellt - und Gauland vier Mal ausweicht.

Der AfD-Vize demontiert sich bei "Anne Will" selbst - aber er präsentiert sich auch

Die wichtigen Fragen bleiben unbeantwortet, aber die rechtspopulistischen Ressentiments und narrativen Muster der AfD finden ihren Platz: die fälschenden Journalisten, die verlogenen Politiker und das vergessene Volk. Einmal echauffiert sich Gauland über die "multikulturelle Sprachverwirrung" an deutschen Schulen. Was bitte soll das überhaupt sein? Es sind Phrasen wie diese, die in Diskussionen wie dieser unkommentiert durchrutschen. Und die das politische Klima eines Landes beeinflussen.

Medienmenschen sprechen in solchen Situationen gerne vom Stöckchenspringen. Und der Frage, ob man nun berichten sollte oder eben nicht. Kalkulierte Provokationen versprechen der AfD Öffentlichkeit. So war es mit Beatrix von Storch und dem Schießbefehl. So ist es mit Alexander Gauland und der Nachbarschaftsdebatte um Fußballspieler Jérôme Boateng. Sicher, der AfD-Vize demontiert sich bei Anne Will selbst. Aber er präsentiert sich auch. "Wer soll Ihnen denn ein Wort glauben?", fragt der Justizminister an einer Stelle. Der Jubel in Elsterwerda könnte eine Antwort auf diese Frage sein.

Bei Anne Will führt Alexander Gauland einmal mehr die "Masche der AfD" vor, wie Heiko Maas analysiert. Ressentiments bedienen, Menschen aufhetzen und dann zurückrudern: War nicht so gemeint. Vergangenen Sonntag sagte Gauland der FAS in einem Interview, dass die Menschen "einen Boateng nicht als Nachbarn haben" wollen. In der Talk-Runde erklärt er nun, er habe den Fußballer, dessen Herkunft und Hautfarbe überhaupt nicht gekannt. Seinem Interviewpartner wirft er fragwürdige journalistische Methoden vor: "Herr Lohse, Sie haben mich reingelegt."

Wenn sich Journalist Lohse und Minister Maas gerade einmal keine rhetorischen Duelle mit Gauland liefern, geht es an diesem Abend um die Frage: Wie rassistisch ist Deutschland? Eine durchaus berechtigte Frage - wurde doch ebenfalls in dieser Woche der Fall einer sächsischen Bürgerwehr bekannt, die einen psychisch kranken Flüchtling mit Kabelbindern an einen Baum fesselte.

Doch auch hier hat die Runde leider wenig Antworten zu bieten. Die Migrationsforscherin Bilgin Ayata und der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt dürfen zwei treffende Definitionen des Begriffs Rassismus vortragen, es werden Statistiken zitiert, das Gespräch verliert sich jedoch schnell in einer ökonomischen Debatte über die Notwendigkeit von Zuwanderung.

Rassismus wurde oft mit "Fremdenfeindlichkeit" umschrieben

Bemerkenswert bleiben allein zwei Momente: ein überraschend deutlicher Aufruf des Justizministers zu Haltung und Zivilcourage ("Die schweigende Mehrheit muss die Gardine zurückziehen und auf die Straße schauen") und die Erkenntnis, dass man die Dinge hierzulande mittlerweile beim Namen nennen kann. "Rassismus ist ein zentrales Problem in Deutschland, das bisher umschrieben wurde mit Fremdenfeindlichkeit", sagt Bilgin Ayata. Letzterer sei ein Begriff, der Ängste reproduziere statt sie zu bekämpfen, so die Migrationsforscherin.

Wie einflussreich und gefährlich Sprache und vor allem die Rhetorik Gaulands und der AfD in diesem Zusammenhang ist, betont Ayata mehrfach. Mit ihrer "rechtspopulistischen Hetze" treibe die AfD die anderen Parteien vor sich her. Und mache so sehr wohl Politik. Alexander Gauland verfällt nun wieder in intellektuelle Schlangenlinien: "Ich kann die Situation weder aufheizen noch beruhigen." Woraufhin sich Heiko Maas beim Publikum ein paar Lacher abholt: "Was können Sie überhaupt, Herr Gauland? Sie sind doch Politiker."

Die Lächerlichkeit dieser Situation darf nicht hinwegtäuschen über die Dramatik der Lage. Bilgin Ayata fühlt sich erinnert an die Stimmung in der Bundesrepublik der Neunzigerjahre. Damals hatte man nach Anschlägen auf Häuser, die von vietnamesischen Vertragsarbeitern beziehungsweise türkischstämmigen Migranten bewohnt waren, das Asylrecht drastisch verschärft. Dafür verantwortlich waren nicht etwa Rechtspopulisten wie die heutige AfD, sondern CDU/CSU und SPD.

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