Süddeutsche Zeitung

TV-Talk bei "Hart aber fair":"Es gibt kein Grundrecht auf ein besseres Leben"

Während Ungarns Botschafter Zäune lobt, versuchen die anderen Gäste von "Hart aber fair", über Migrationsprobleme der Zukunft zu diskutieren. Doch es wird klar: Das Terrain ist vorerst zu groß.

TV-Kritik von Maximilian Heim

Von Fluten und Wellen und Strömen ist in den ersten Minuten wieder die Rede. Ganz, als habe man noch immer nicht bemerkt, dass die sprachliche Verbindung von geflüchteten Menschen und Naturkatastrophen neben ihrer bedrohlichen Metaphorik unweigerlich ein Gefühl zutage fördert: Machtlosigkeit.

In dieser Ausgabe von "Hart aber fair" soll es um die Flüchtlinge der Zukunft gehen, eine Bewegung, die vielen Experten zufolge von Afrika ausgehen wird. Da sitzt dann - sehr machtlos und sehr ernst - der CDU-Politiker Norbert Röttgen und sagt Sätze wie: "Ich glaube, dass die meisten ihre Heimat nicht verlassen wollen. Aber sie werden gezwungen dazu."

Der Zaun als Schutz, der Zaun als menschenverachtendes Sperrsymbol

Exemplarisch dafür steht ein junger Mann aus Sierra Leone, dessen Interviewauszug Plasberg gleich mehrmals einspielt. "Alle meine Freunde stellen sich Europa als Paradies vor", sagt der junge Afrikaner. Schöne Kleidung gebe es dort, gutes Essen, tolle Autos. Plasberg bittet die Gäste, nicht zu schmunzeln über diese Träume. Tenor: Es gibt in Afrika viele Menschen, die für die Hoffnung auf ein besseres Leben alles zurücklassen.

Nun ist das Thema Flucht und Migration ohnehin nicht gerade unterkomplex - vielleicht scheitert Plasbergs Runde auch deshalb daran, wirklich neue Gedanken zu entwickeln. Es bleibt ein mehr oder weniger lebendiger Schlagabtausch von Gästen, die die ihnen zugedachten Rollen wunderbar ausfüllen. Am Ende des Abends wird jeder von ihnen sein oder ihr Verständnis von Zäunen dargelegt haben. Zwischen Zäunen als Schutz und Zäunen als menschenverachtendes Sperrsymbol bewegen sich die Interpretationen.

Péter Györkös, Ungarns Botschafter in Deutschland, mag Zäune und erklärt: "Es gibt kein Grundrecht auf ein besseres Leben." Menschenrechtsaktivist Elias Bierdel hält Zäune für bescheuert und kritisiert die europäische Politik, die viele afrikanische Staaten als "Ressourcenbecken" ausbeutet, um dann vor den Konsequenzen zu kapitulieren. Und Außenpolitiker Röttgen bezeichnet sich selbst in Bezug auf die Situation in Afrika als "verhalten optimistisch" - wobei unklar bleibt, woraus sich dieser Gefühlszustand genau speist.

Ein Problem an diesem Montagabend ist sicher, dass die Journalistin Shafagh Laghai, ARD-Korrespondentin in Nairobi, nur selten zu Wort kommt. Denn ihre Einschätzungen sind am nächsten dran an der Realität afrikanischer Staaten - was wiederum auch an der Auswahl der Gäste liegt (fünf Europäer, null Afrikaner). Laghai berichtet, wie schwer es die Berichterstattung über afrikanische Flüchtlinge lange hatte im internen öffentlich-rechtlichen Aufmerksamkeitskampf. Heute sei das ganz anders.

"Europa hat jetzt die Chance, die Zeit zurückzudrehen"

Sie erzählt von einem Dreh in einem senegalesischen Dorf, in dem das einzige Haus mit einem vernünftigen Dach von einem nach Europa Geflüchteten bezahlt wurde. Und sie bringt mit einem simplen Zusammenhang das ganze Dilemma auf den Punkt: "Die Bevölkerung in Afrika wird schneller wachsen als der Arbeitsmarkt." Heißt: Je weniger Arbeitsplätze in Afrika entstehen, desto mehr Menschen werden sich auf den Weg nach Europa machen.

Bemerkenswert ist der Auftritt von Neven Subotić, Fußballspieler bei Borussia Dortmund. Mit seiner Hilfsorganisation baut er in afrikanischen Dörfern Brunnen und macht auch ansonsten den Eindruck, einen weiteren Horizont zu haben als die meisten anderen Fußballprofis. Es entspinnt sich ein Plasberg-typischer Dialog, der einen etwas ratlos zurücklässt.

Plasberg: "Kann man Brunnen bohren, ohne jemanden zu bestechen?"

Subotić: "Bei uns geht das."

Plasberg: "Wenn so ein Brunnen dann sprudelt, was verändert sich im Leben eines Dorfes?"

Subotić: "Man spart zum Beispiel täglich vier oder fünf Stunden Zeit, die Menschen sonst brauchen, um sich Wasser zu beschaffen."

Irgendwie sind sich dann alle einig, dass man die Situation in den vielen Ländern Afrikas verbessern muss. Geschenkt. Die Verantwortung der Europäer für die Situation in vielen afrikanischen Staaten kommt dagegen nur schlagwortartig zur Sprache - entgegen dem offiziellen Sendungstitel ("Sind wir selbst schuld an der nächsten Flüchtlingswelle?"). Immerhin sagt Afrika-Korrespondentin Laghai noch den hübschen Satz: "Europa hat jetzt die Chance, die Zeit zurückzudrehen." Vielleicht ist das ein Hinweis an die große Politik. Schließlich hat sich am Montag erst die Kanzlerin genau das gewünscht.

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