TV-Talk bei Anne Will:Söder, Klassenlautsprecher fürs Volk

Anne Will

Die Ausgabe der Talkshow von Anne Will stand unter dem Motto: "'Deutschland wird Deutschland bleiben' - Aber auch mit dieser Kanzlerin?" Ihre Gäste von links: Wolfgang Merkel, Ralf Stegner, Jagoda Marinic, Markus Söder und Martin Patzelt

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Bei Anne Will präsentiert der CSU-Politiker einen neuen Rhetorik-Trick: das Mantra. Der zerfledderten Diskussion über Flüchtlinge hilft das leider überhaupt nicht.

TV-Kritik von Ingrid Fuchs

"Es gibt viele Städte, wo die Menschen nicht mehr den Eindruck haben, dass Deutschland noch Deutschland ist." Und in vielen Städten herrschten wegen der vielen Migranten "Zustände wie in den Pariser Banlieues", sagt Markus Söder und beschwört damit Bilder von brennenden Vorstädten herauf, von wachsenden Parallelgesellschaften und Burkaträgerinnen überall - mitten in Deutschland!

Der CSU-Politiker ist Gast in der Talksendung von Anne Will, in der es um die Frage gehen soll, ob Deutschland noch Deutschland bleiben wird - trotz Angela Merkel. Die Kanzlerin selbst und die beiden Vorsitzenden der Koalitionsparteien, Sigmar Gabriel (SPD) und Horst Seehofer (CSU), haben das Thema Flüchtlingspolitik bei ihrem Treffen in Berlin am Sonntag ausgeklammert, um zumindest bei einigen anderen Punkten eine Einigung zu finden. Für Söder ist das Thema ein Geschenk - und die perfekte Gelegenheit, seinen neuen Lieblings-Rhetorik-Trick zu pflegen. Es ist derzeit nicht mehr der brutal-verbale Rundumschlag, sondern: das Mantra.

Gegen dieses Södersche Mantra kommen die anderen Gäste bei Anne Will auch kaum an, zumindest dringen sie nicht bis zum bayerischen Finanzminister durch. Zu Gast sind, neben Söder, der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Ralf Stegner, der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt, die Schriftstellerin und Vorsitzende des Interkulturellen Zentrums Heidelberg, Jagoda Marinić, und der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel.

Natürlich geht es auch wieder um das "Wir schaffen das"

Die Debatte wabert um die Fragen, wovor die Deutschen überhaupt Angst haben. Woher diese Angst kommt. Wer diese Deutschen überhaupt sind - was das betrifft, scheint Markus Söder eine durchaus klare Meinung zu haben: ein zumindest in Grundzügen homogenes Volk, dessen Klassenlautsprecher er ist. Einer seiner Kernsätze, die er seit Tagen, ach, Wochen an Merkel richtet, lautet: "'Wir schaffen das' ist nach den Diskussionen und Anschlägen, die schon waren, der falsche Weg. Es müsste besser heißen: 'Wir haben verstanden und wir ändern das'."

Überhaupt dieses "Wir schaffen das". Dieser kleine Satz Merkels sorgt, seit sie ihn vor ziemlich genau einem Jahr ausgesprochen hat, für Entsetzen bei den einen und Stolz bei den anderen. Zu letzteren zählt Jagoda Marinić. Die Eltern der Schriftstellerin sind aus Kroatien eingewandert, sie selbst wurde in Waiblingen geboren und setzt sich in ihrem jüngsten Buch mit der Identität Deutschlands als Einwanderungsland auseinander. Dass sie irgendwann hoffen würde, Merkel möge noch möglichst lange Kanzlerin bleiben, hätte sie noch vor anderthalb Jahren nie geglaubt - bei Söder löst das nur ein kurzes müdes Lächeln aus.

Marinić steht hinter dem "Wir schaffen das". Die Aussage sei zum damaligen Zeitpunkt die einzig richtige gewesen. Längst habe die Kanzlerin ihren Kurs nach rechts korrigiert. "Sie geht aber in ihrer Rhetorik nicht nach rechts", betont die Schriftstellerin und genau das sei Merkel hoch anzurechnen, denn "wir kämpfen nur mit Sprache" in der Politik.

Der Politikwissenschaftler fordert von der Kanzlerin klarere Rhetorik

Ähnlich sieht es der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt. Er sitzt unter anderem im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. 2014 rief er Bürger dazu auf, Flüchtlinge aufzunehmen, vergangenes Jahr hat er selbst zwei junge Männer aus Eritrea bei sich zu Hause in Frankfurt an der Oder aufgenommen. Auch Patzelt steht zur Kanzlerin und hält die Forderung nach einem Kurswechsel schlicht für überflüssig. Diese habe von Anfang an, also seit dem Ansturm im vergangenen Jahr, gegengesteuert. Alle Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik seien von den Koalitionsparteien gemeinsam getragen worden.

Die CSU baue hingegen "den Mythos auf, die Kanzlerin habe etwas ganz anderes gewollt. Ich bin manchmal fassungslos, wie diese gemeinsamen Entscheidungen im Nachhinein so hingestellt werden, als hätten wir die allein getroffen", sagt der CDU-Politiker. "Die Menschen in unserem Land werden durch Panikmache regelrecht zur AfD geführt. Sie müssen lernen, mit ihren Ängsten umzugehen." Seine Kritik richtet Patzelt auch an den Koalitionspartner SPD, was Partei-Vize Stegner natürlich nicht auf sich sitzen lässt. Panik schüren? Keinesfalls. Man kritisiere die Politik der Kanzlerin allenfalls "von links".

Was tatsächlich gegen diffuse Ängste helfen würde, wäre nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Wolfgang Merkel eine klarere Rhetorik: "Die Kanzlerin ist eine Spezialistin für das Ungefähre, für das Diffuse und manchmal auch für das eindeutig Uneindeutige."

Söder weiß offenbar genau, was sich "die Deutschen" wünschen

Mehr Eindeutigkeit würde es der CSU sicherlich erschweren, ihren parteinternen Machtkampf auf Kosten der Union auszufechten. Ein Hauptdarsteller in diesem Kampf sitzt nun mit in der Talkrunde und macht keine Anstalten - immerhin so einig scheint er sich mit Parteichef Seehofer zu sein - von einer möglichen Annäherung zu sprechen. Immerhin: Söder gibt sich bei Anne Will relativ zahm und hört sich sogar die teils flammenden Appelle für mehr Optimismus in Deutschland bis fast zum Ende an, um dann mit einem vehementen Einspruch dazwischen zu grätschen.

Für tiefere Erkenntnisse ist die Diskussion thematisch allerdings viel zu zerfleddert. Zweifellose Gewissheit gibt es nur bei einem: bei Bayerns Heimatminister, der weiß, wie sich "die Deutschen" fühlen und was sie sich wünschen.

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