Süddeutsche Zeitung

TV-Skandal in Italien:Alles frei erfunden?

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Von Oliver Meiler, Rom

Sechs Millionen Zuschauer jeden Abend zur Primetime, 20.30 Uhr, seit vielen Jahren schon: Wenn sich Kult in Quote misst, dann gehört die italienische Satiresendung Striscia la notizia auf Canale 5, einem Sender aus dem Medienimperium Silvio Berlusconis, unbedingt in diese Kategorie. Zu Beginn der Nullerjahre, der Boomzeit des Programms, waren es jeweils sogar neun Millionen Zuschauer.

Kult ist Striscia vor allem deshalb, weil die Sendung neben allem dünnen Klamauk, den halbnackten Tänzerinnen auf dem Pult der Moderatoren, der Vergabe einer Negativtrophäe für peinliches Gehabe, dem so genannten "Goldenen Tapir", auch viel Ungereimtes und Skandalöses aufdeckte über die Jahre: Busfahrer als Zahnärzte, skurrile Hellseher, Bürgermeister ohne Bürgersinn, sadistische Tierheimleiter - solche Geschichten.

Dafür hat Striscia Korrespondenten überall im Land, die gerne sehr nahe rangehen. Sie setzen mutmaßlichen Betrügern nach, filmen verdeckt, riskieren auch schon mal Schläge. Das Publikum liebt diese Unerschrockenheit. Die Korrespondenten gelten als Paladine im Kampf gegen alltägliche Ungerechtigkeit. Schon oft wurde die Justiz aktiv, nachdem Striscia einen Betrug aufgedeckt hatte.

Nun aber erschüttert ein Skandal den Kult. Die Reporter in Apulien, das beliebte Duo "Fabio & Mingo", seit fast zwanzig Jahren dabei, haben mehrere vermeintliche Scoops frei erfunden - zum Beispiel den Fall eines Anwalts, der ohne Lizenz arbeitete.

Angeblicher Anwalt in Wahrheit ein Schauspieler

Im Beitrag, den "Fabio & Mingo" den Programmmachern nach Mailand übermittelten, versucht der angebliche Anwalt, den angeblich lästigen Rechercheuren in einem Sportwagen zu entkommen. Die Staatsanwaltschaft von Bari ließ sich das unverpixelte Filmmaterial aushändigen, eröffnete ein Ermittlungsverfahren und fand heraus, dass der Sportwagen gemietet und der angebliche Anwalt in Wahrheit ein angeheuerter Schauspieler war.

Die Korrespondenten wurden entlassen, live, in der Sendung. Der Verdacht lautet Vortäuschung einer strafbaren Handlung, Artikel 367 im italienischen Strafgesetz.

Die Entlassung hätte das Kapitel beenden können. Doch dann trat "Mingo" alias Domenico De Pasquale im öffentlichen Fernsehen auf und sagte: "Ich bin schließlich kein Journalist, ich bin Schauspieler." Es klang so, als wollte er sagen, es werde immer gespielt, alles folge einem Script, alle wüssten das.

Die Sendung wehrt sich gegen die Unterstellung der Inszenierung, kämpft aber mit der größten Krise seit ihrer Gründung, 1988, einer Glaubwürdigkeitskrise. Die Italiener schauen nun ganz genau hin, nicht mehr nur bei den leicht bekleideten Tänzerinnen.

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Quelle:
SZ vom 19.06.2015
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