TV-Serien:Winona Ryder erfindet sich neu - auf Netflix

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Die Netflix-Serie Stranger Things könnte das Comeback für Winona Ryder bedeuten.

(Foto: Netflix)

"Ich bin jetzt 44 Jahre alt, ich kann nicht mehr das naive Mädchen verkörpern", sagt Winona Ryder. Ihr Look beim Treffen in Beverly Hills sagt etwas anderes. Die Teenie-Ikone der Neunzigerjahre startet gerade ihre erste Netflix-Serie.

Porträt von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Auf dem Balkon eines Hotels in Beverly Hills steht eine junge Frau, die aussieht, als sei sie auf dem Weg zu einem Guns N' Roses-Konzert: Die Haare sind absichtlich unabsichtlich verwuschelt, das schwarze T-Shirt von The Clash trägt sie unter einer schwarzen Lederjacke, dazu Gothic-Ringe an den Fingern, dunkle Fingernägel und natürlich smokey eyes. Man kennt diese Frau aus der Gruselkomödie Beetlejuice, aus der düsteren Fantasy-Romanze Edward mit den Scherenhänden, aus dem Generation-X-Klassiker Reality Bites. Seltsam nur: Es ist gerade Sommer 2016, und all diese Filme liefen vor mehr als 20 Jahren im Kino. Verdammt lang her.

Man trifft Winona Ryder in der Gegenwart und trifft doch vor allem seine eigene Vergangenheit. In den Neunzigerjahren war Winona Ryder eine Teenie-Ikone, ihre Poster hingen in unzähligen Jugendzimmern, und im Grunde sieht die Frau auf der Terrasse immer noch so aus wie damals. Das liegt sicher auch daran, dass es die Natur mit der inzwischen 44-jährigen Schauspielerin eher gut gemeint hat. Vor allem aber ist es ihrer in Hollywood gerade überaus angesagten Uniform zu verdanken, an der gerade noch zwei Assistenten rumwerkeln müssen. Winona Ryder, die an diesem Tag in Los Angeles ihre neue, nicht besonders jugendliche Netflix-Serie bewerben soll, aber sagt: "Ich bin jetzt 44 Jahre alt, ich kann nicht mehr das naive Mädchen verkörpern."

In einem Jahrzehnt hat sie so viel erlebt wie andere nicht in ihrer ganzen Karriere

Ihr Look sagt etwas anderes, und eben dieser Look war es, der Winona Ryder vor mehr als 20 Jahren zu einer der faszinierendsten Figuren in Hollywood werden ließ. Sie war dieses unglaublich bezaubernde Mädchen, aber sie war nie ein weichgespültes Produkt aus der Disney-Teeniestar-Maschinerie. Ryder war Grunge und Goth, das linke Auge war andauernd ein wenig zugekniffen, der Blick dadurch immer ein bisschen traurig oder sarkastisch. Sie verkörperte düstere und rebellische Figuren im Horrorfilm Dracula, in der bitterbösen Komödie Heathers oder im Psychodrama Girl, Interrupted und wurde dadurch zur Ikone all jener, die trotz eines ziemlich behüteten Lebens das dringende Bedürfnis verspürten, die Wände ihrer Zimmer schwarz zu streichen. Der Film Reality Bites über eine im Erwachsenwerden reichlich verlorene Wohngemeinschaft traf das Lebensgefühl derer, die in den Neunzigerjahren jung waren, mit Anlauf.

Mit Winona Ryder wollte man nicht (nur) knutschen, man wollte gemeinsam mit ihr eine Flasche Whiskey klauen, sich in einem Wald betrinken und über dieses Scheißleben diskutieren. Man darf schon annehmen, dass bei Netflix niemand etwas dagegen hat, dass Winona Ryder in Lederjacke und dem mühsam hergestellten Wuschellook bei den angereisten Reportern ein paar nostalgische Gefühle auslöst.

Dass Winona Ryder für die meisten Fans immer ein Mädchen der Neunziger bleiben wird, liegt freilich auch daran, dass sie rund um dieses Jahrzehnt vermutlich mehr erlebt hat als die meisten Schauspieler in ihrer kompletten Karriere. Bei ihrer ersten von mittlerweile drei Zusammenarbeiten mit dem Regisseur Tim Burton, Beetlejuice im Jahr 1988, war sie 17 Jahre alt, ihr erstes Date mit Johnny Depp hatte sie ein Jahr später, kurz darauf waren die beiden verlobt und ein paar Jahre später schon wieder getrennt. Erster Golden Globe und erste Oscar-Nominierung (beides für die Literaturverfilmung Zeit der Unschuld von Martin Scorsese) mit 22, Stern auf dem Walk of Fame mit 28, erster "Razzie" als schlechteste Schauspielerin (für die Krawallkomödie Mr. Deeds) ein Jahr später. Dazwischen Beziehungen mit dem Rockmusiker Dave Pirner und Schauspielkollegen Matt Damon.

"Es war eine schwierige Zeit"

Winona Ryders Geschichte ist eine große Hollywood-Story, mit steilem Aufstieg und tiefem Fall und einem langen Weg zurück - und es sagt einiges über die neuen Regeln im Filmgeschäft, dass nun ausgerechnet eine Fernsehserie das Ende dieses Weges bedeuten könnte. Im Alter von 30 Jahren, im Dezember 2001, wurde sie auf dem Wilshire Boulevard beim Klauen erwischt, dabei kam heraus, dass sie an Depressionen gelitten und diese mit heftigen Schmerzmitteln bekämpft hatte. "Ich war damals jung und naiv, ich habe wirklich geglaubt, dass ich unbedingt arbeiten muss, um relevant zu bleiben", sagt sie heute. Dieses naive Mädchen mit der dunklen Seite, das hat sie nicht nur gespielt.

"Die faszinierenden Geschichten und Charakterstudien gibt es im Fernsehen", sagt sie

"Es war eine extrem schwierige Zeit für mich, weil mich die Verantwortlichen in Hollywood mit den Figuren assoziiert haben, die ich als junge Frau verkörpert hatte: Sie sahen mich noch immer als das naive Mädchen, obwohl ich schon älter als 30 Jahre war", sagt sie nun: "Ich wollte mich nicht wiederholen, ich wollte mich entwickeln und neue Rollen übernehmen - doch die gab es nicht. Es war deshalb wichtig für mich, all dem zu entfliehen."

Winona Ryder floh aus Hollywood, ein paar Jahre lang lebte sie in San Francisco in der Nähe ihrer Eltern, zwischen 2002 und 2008 war sie nur in einer Handvoll Filme zu sehen und dann auch meist nur in Nebenrollen. "Es war für mich eine Befreiung, als ich endlich 40 Jahre alt geworden bin, weil ich nun endlich Rollen angeboten bekam, die meinem Alter entsprachen", sagt sie. Im Psychothriller Black Swan (2010) spielte sie eine alternde Ballerina, im Thriller The Iceman (2013) eine Mutter, in der Serie Show Me A Hero (2015) eine Nebenrolle als Politikerin: "Es klingt manchmal despektierlich, wenn die Leute sagen: 'Ach, jetzt verkörpert sie nicht mehr die junge Freundin, sondern die Mutter.' Dabei ist diese Figur nicht weniger interessant, ganz im Gegenteil."

Und jetzt also Netflix: In der Serie Stranger Things ist sie eine alleinerziehende Mutter, deren Sohn unter mysteriösen Umständen verschwindet. Eine verzweifelte Mutter, kein Mädchen. "Als Schauspielerin sucht man nach interessanten Geschichten und Figuren", sagt sie: "Ein Projekt wie Girl, Interrupted würde heutzutage nicht mehr realisiert werden, es gibt nur noch Superheldenfilme oder Liebhaberprojekte ohne Budget. Die faszinierenden Geschichten und Charakterstudien gibt es im Fernsehen."

Stranger Things ist eine Hommage an die Mystery-Serien und Science-Fiction-Filme der Achtzigerjahre, die Handlung ist deshalb auch in diesem Jahrzehnt angesiedelt. Es geht um eine mögliche Alien-Invasion, um paranormale Phänomene und eine Verschwörung der US-Regierung. "Das ist meine Welt, ich bin die größte Verschwörungstheoretikerin, die es gibt", sagt Ryder. Sie spricht über die Panama Papers, Edward Snowden und Roswell: "Man hält uns für verrückt, doch sehen Sie sich doch mal an, was in den vergangenen Jahren alles enthüllt wurde. Diese scheinbar verrückten Theorien sind nur so lange verrückt, bis sie sich als wahr herausstellen."

Wer Winona Ryder begegnet, merkt schnell, dass sie vieles schon vor 15 Jahren hinter sich gebracht hat, und das sagt sie auch selbst. Da sitzt einem keine Schauspielerin gegenüber, die andauernd die Qualität des neuen Projekts preisen muss und betonen, welch faszinierende Kunst diese Schauspielerei doch eigentlich sei. Winona Ryder ist 44 Jahre alt, sie hat gerade eine zweite Karriere als Schauspielerin begonnen mit einer Rolle, die sie fordert. Netflix lässt sie wie in ihren früheren Erfolgen jemand sein, der sie offenbar sein will. Stranger Things ab Freitag bei Netflix

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