TV-Serien und die Realität:Isse nur Fernsehen, Bello!

'House of Cards'

Gute Unterhaltung, aber nicht mehr: Welcher Politiker ist schon so zynisch und schlicht wie Francis Underwood aus House of Cards?

(Foto: dpa)

Das Fernsehen stand lange im Ruf, eine Verblödungsmaschine zu sein. Inzwischen gelten Serien aus den USA als Orakel der Weltklugheit - und lassen den Zuschauer politikfeindlich und unaufgeklärt zurück.

Von Marc Felix Serrao

Wer in den Achtzigern aufwuchs, kann sich vermutlich noch an den Ekel in den Augen der Eltern erinnern, als das Privatfernsehen auf Sendung ging. Plötzlich war der Bildschirm quietschebunt, und überall war Werbung. Als Kind war man begeistert. RTL-Plus-Clowns wie der Hütchenspieler Pronto Salvatore ("Da isse keine Kugel, Bella") waren viel lustiger als die sepiafarbenen Bedenkenträger der ARD. Die Eltern sahen das naturgemäß anders und entsorgten gleich das ganze Gerät mit einer Mischung aus Dünkel und Antiamerikanismus ("Disney-Schrott"). Das geschah damals in vielen Familien.

Der Satz "Wir haben keinen Fernseher" wurde zu einer Art Bildungsnachweis. Da der glotzende Plebs, hier die studierten Stände. Nicht im Traum wäre es den Eltern eingefallen, beim Essen übers Fernsehen zu reden. Man diskutierte über gute und falsche Politik oder regte sich darüber auf, was der Journalist in der Zeitung dafür hielt. Lange her.

Heute reden alle übers Fernsehen, über "Homeland", "Breaking Bad", "House of Cards" und all die anderen irre guten Serien aus den USA. Die Formate sind auch hier rauf- und runteranalysiert und ihre Autoren zu Künstlern erklärt worden. Es ist allerdings noch etwas geschehen, mit gewisser Verzögerung. Das schöne neue Serien-Fernsehen ist auch in jene Sphäre eingesickert, in der sich die bildungsnahen Kreise noch vor wenigen Jahren unter sich wähnten: die Politik. Wer heute verstehen will, was in der Zeitung über den "Islamischen Staat" (IS) oder die Lage in Israel steht, muss fernsehen. Er muss diese Serien gucken. Sonst versteht er kein Wort.

"Erinnern Sie sich noch, es war gegen Ende der ersten Staffel ,Game of Thrones', als die Hauptfigur Eddard Stark kurz davor war, ihren Kopf zu verlieren. Wir erwarteten, dass von der Seite ein Pfeil kommen würde, um ihn zu retten, aber das passierte nicht, das Beil fiel einfach. Über die Unverfrorenheit dieser Szene haben die Leute wochenlang geredet." Das stand vor drei Wochen nicht in TV Spielfilm, sondern in der New York Times. Das Thema des Kommentars waren die Enthauptungen durch den IS. Oder hier: "Es gab Momente in den vergangenen sechs Wochen, da schien es, als wären die Ereignisse von den Autoren von ,House of Cards' geschrieben worden" (Der Guardian über die Wahl in Neuseeland).

Abgefuckt und machtbesoffen

Oder diese Passage, wieder aus der New York Times, diesmal zur innenpolitischen Lage; die Autorin zitiert gleich zwei Serien: "Die Realität in Washington ist so verfahren, dass das Land in ,Homeland' im Vergleich fast attraktiv wirkt", schreibt sie. Und später: "Die Quoten der letzten Folge ,Breaking Bad' legen den Schluss nahe, dass Amerikaner lieber mit einem mordenden Meth-Dealer Zeit verbringen als mit dem Repräsentantenhaus." Es gibt viele solcher Beispiele. Egal, ob Terror oder Wahlen, die neuen Serien können offenbar alles erklären. Aber stimmt das denn?

Auffällig ist, dass die politischen Kommentatoren die genannten Formate fast immer nur zu einem Zweck heranziehen: um zu illustrieren, wie abgefuckt und machtbesoffen die Realität ist. Denn genau das ist das Bild, das diese Serien malen. Dafür werden sie gefeiert. Auch in Deutschland.

Die Zeit, die Frankfurter Rundschau, die SZ und etliche andere haben die Weltpolitik ebenfalls schon mit Carrie Mathison ("Homeland") oder Francis Underwood ("House of Cards") erklärt. Besonders euphorisch ist die taz. Die zahlreichen politischen Schlenker in die amerikanische Fernsehwelt lassen sich mit dem Freizeitverhalten ihrer Journalisten begründen. Über eine Meinungsredakteurin steht da: "guckt viele Serien". Eine andere Kollegin, heißt es, sei gar eine "leidenschaftliche Serienguckerin". Wo das Establishment über Leichen geht und selbstlose Helden unter die Räder kommen, fühlen sich Linke offenbar zu Hause.

Kein Wunder, dass auch Jürgen Trittin von den Grünen "House of Cards" gefällt, vor allem die Figur der korrumpierbaren Reporterin Zoe Barnes. Über die Serie schrieb der Abgeordnete vier Monate nach der Bundestagswahl (die ihn nicht zur Macht führte), sie zertrümmere "rücksichtslos das Gerede von den Medien als Kontrolleure der Macht. Medien sind selber Teil der Macht. Sie berichten nicht einfach, sie setzen Themen. Diese sind von Klickzahlen und Auflagen ebenso abhängig wie von persönlichen Karriereinteressen."

Das Doofe an dem Blick durch die Fernsehbrille ist, ganz im Ernst, ihr politikfeindlicher und unaufgeklärter Fokus. Ja, diese Serien sind grandios gute Unterhaltung. Aber sie sind eben nur das. Die auftretenden Charaktere, so vielschichtig und toll gespielt sie sein mögen, sind am Ende Variablen einer Funktion zur Maximierung von Spannung. Keine Folge "Game of Thrones" ist in Wahrheit so vielschichtig und unberechenbar wie ein Grünen-Parteitag. Kein Politiker, selbst ein Profi wie Jürgen Trittin, ist so zynisch und schlicht wie Francis Underwood. Mit Pronto Salvatore gesprochen: Isse nur Fernsehen, Bello!

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