Serien-Lügen:Explodierende Karren? Von wegen!

Oft ist das, was in Serien wie das echte Leben wirken soll, großer Unsinn - wie Stromstöße bei Nullinien-EKG oder Verhöre hinter Glas. Eine Geschichte der liebenswertesten Lügen.

Von SZ-Autoren

Serien waren mal etwas, das man nebenbei geguckt hat, ein Mal die Woche, eine schöne Randerscheinung des Lebens. Heute werden dafür schon mal ganze Wochenenden geblockt. Sie erheitern, erschrecken, wühlen auf, mitunter auf die tiefgründigste Weise, informieren und führen das Publikum ganz nebenbei auf ihre Weise folgenreich und mit langem erzählerischen Atem in fremde Welten ein. Deshalb heißt Seriengucken auch Bescheid wissen und mitreden können: wie Politiker ticken, Rechtsanwälte schachern, Drogensyndikate funktionieren, Ärzte verzweifeln, Forscher triumphieren, Beziehungen kollabieren. Aber Vorsicht, manchmal heißt Seriengucken auch: knallhart belogen werden. Denn aus den unterschiedlichsten Gründen tischen die Macher von Serien wie Tatort, Homeland oder Suits ihrem Publikum auch großen Unsinn auf - immer und immer wieder. Empörend oder liebenswert? Ein paar berühmte Beispiele.

Verhör hinter Glasscheibe

Münchner 'Tatort: Wir kriegen euch alle'

Überall verglast: Im Tatort, wie hier in der Münchner Version, lauschen die Kollegen bei der Zeugenbefragung mit.

(Foto: Hendrik Heiden/dpa)

Genre: Krimi

Die Lüge: Das Licht ist gedimmt, in der Mitte des Raums ein Tisch mit zwei Stühlen. Auf der einen Seite sitzt der Mordkommissar. Auf der anderen der Verdächtige. Und hinter der verspiegelten Scheibe verfolgen Ermittler das Gespräch. In Tatort und CSI werden Verdächtige so verhört.

Die Wahrheit: Tatsächlich werden Verdächtige im normalen Büro verhört, so Norbert Horst, Mordkommissar in Bielefeld und Krimiautor. "Da schaut niemand hinter der Wand zu." Außerdem werde das Gespräch nicht per Kamera aufgezeichnet. Meist protokolliere ein Polizist die Aussage des Verdächtigen.

Warum die Lüge liebenswert ist: Es gibt nun wirklich genug Szenen im deutschen Fernsehen, die in normalen Büros mit Topfpflanze spielen. Jacqueline Dinser

Verhaftung vom Geheimdienst

Homeland

Sie dürfen eigentlich nicht verhaften: Die Geheimdienstler (u.A. Claire Danes, re.) aus Homeland.

(Foto: 20th Century Fox International Television)

Das Genre: Spionageserien

Die Lüge: Nachrichtendienste in Homeland oder Berlin Station verhaften wie die Polizei eigenmächtig Personen.

Die Wahrheit: "Der BND darf nicht verhaften", sagt Christopher Nehring, Berliner Geheimdienstforscher, der in seinem Buch 77 Spionage-Mythen enträtselt hat. Zudem könne der BND als Auslandsgeheimdienst gar nicht im Inland aktiv werden, das sei "grotesk überzeichnet". Ein Agent trete zudem oft als Alleskönner auf: Informationsbeschaffer, Analyst und Techniker in Personalunion. In Wahrheit gebe es dafür ganze Abteilungen.

Warum die Lüge liebenswert ist: Ein Geheimdienst, der Kompetenzen überschreitet? Kommt einem doch irgendwie bekannt vor. Das kann man durchaus als charmanten Seitenhieb verstehen. Clara Lipkowski

Stromstöße bei Nulllinien-EKG

Genre: Arztserien

Die Lüge: Das EKG-Gerät piepst wie wild und zeigt eine Nulllinie an. Jetzt schlägt die Stunde des Defibrillators. Die Ärzte aus Grey's Anatomy oder Scrubs eilen herbei und drücken zwei bügeleisengroße Elektroden auf die Brust des Patienten. Ein kurzes Zucken oder Aufbäumen, dann fängt das Herz wieder an zu schlagen.

Die Wahrheit: "Ein Herzstillstand mit Nulllinien-EKG ist nicht defibrillierbar", erklärt John Hoppe, Arzt in der Notaufnahme der Uniklinik München. Stromstöße machten nur bei bösartigen Herzrhythmusstörungen Sinn, zum Beispiel bei Kammerflimmern. Bei einer Nulllinie könnten höchstens Medikamente helfen. Auch nutze man statt der "Bügeleisen" heute eher Klebepads.

Warum die Lüge liebenswert ist: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Kathrin Müller-Lancé

Aggressive Haie

Genre: Rettungsschwimmer-Serien

Die Lüge: Die kalifornische Sonne brennt vom Himmel, das Wasser glitzert. Auf einmal taucht eine Rückenflosse am Horizont auf. Ein Baywatch-Mitglied hängt sich die Rettungsboje um und rast los, um die ahnungslosen Schwimmer vor dem Hai-Angriff zu retten.

Die Wahrheit: Tatsächlich ist das Risiko eines Haiangriffs sehr gering. Das indische Journal of Family Medicine and Primary Care hat gezählt, dass zwischen 2012 und 2017 weltweit 50 Menschen durch Haie getötet worden sind - gegenüber mindestens 259, die beim Selfie-Machen gestorben sind. Es ist also fünfmal wahrscheinlicher, im Selfie-Modus zu verunglücken.

Warum die Lüge liebenswert ist: Als Baywatch im Fernsehen lief, gab es ja noch gar keine Smartphones. Kathrin Müller-Lancé

Ab in die nächste Galaxie!

Seelsorge auf Kommandobrücke

traumschiff

Liebestipps im Steuerhaus des Traumschiffs? Ein Sicherheitsrisiko!

(Foto: Dirk Bartling)

Genre: Herzschmerz-Serien

Die Lüge: In fast jeder Folge des Traumschiffs kommt es zur dramatischen Aussprache an der Kommandobrücke, also dem Steuerhaus des Schiffs. Dort berät der Kapitän dann das junge Liebespaar - oder organisiert mit den Wedding Plannern die nächste Hochzeit an Bord.

Die Wahrheit: In der Realität haben Kreuzfahrtgäste keinen Zugang zur Kommandobrücke. "Das ist ein Hochsicherheitsbereich, ähnlich wie das Cockpit eines Flugzeugs", sagt Helge Grammerstorf vom Kreuzfahrtverband CLIA. Zudem habe der Kapitän an Bord viele wichtige Aufgaben, "Beziehungstipps zu geben, gehört allerdings nicht zu den Prioritäten".

Warum die Lüge liebenswert ist: Von der Brücke aus ist nun mal der Sonnenuntergang am besten zu sehen. Kathrin Müller-Lancé

Explodierende Karren

Alarm für Cobra 11

Die Gefahr des Fahrens: Die deutsche Autobahn als explosives Abenteuer: Alarm für Cobra 11.

(Foto: RTL)

Genre: Action-Serien

Die Lüge: Man nehme Ganoven in schnellen Wagen, schneidige Ermittler, eine Verfolgungsjagd auf Asphalt, und fertig ist die explosive Mischung. In Alarm für Cobra 11 gehen Fahrzeuge ständig in die Luft, allein in den ersten zwanzig Serienjahren wurden dafür mehr als 5000 Stück zerstört.

Die Wahrheit: "Solche Explosionen sind extrem unrealistisch", sagt ein ADAC-Sprecher. Dazu komme es nur, wenn der Autotank beschädigt werde. Der sei jedoch heute so verbaut, dass das kaum passieren könne. Die wenigen Unfälle, bei denen es doch der Fall sei, seien meist so schwer, dass Insassen nicht überleben. Flucht aus explodierendem Auto: unwahrscheinlich.

Warum die Lüge liebenswert ist: Wenn's knallt und leuchtet, ist der Mensch glücklich. Siehe: Silvester. Jacqueline Dinser

Volle Lichtgeschwindigkeit

Genre: Science-Fiction

Die Lüge: Wer nicht 4000 Jahre unterwegs sein will, um mal was Spannendes zu sehen, darf nicht wie Apollo 11 durchs Weltall tuckern, der muss mit einem unfassbaren Tempo unterwegs sein. Am besten mit Lichtgeschwindigkeit. Knapp 300 000 Kilometer pro Sekunde. Sonst geht nix vorwärts.

Die Wahrheit: Frag den Astrophysiker Harald Lesch: Licht kann nur so schnell werden, weil die Teilchen masselos sind. Und wenn wir alle so dünn wie Skispringer wären - ein Mikrogramm Masse ist schon viel zu schwer für Lichtgeschwindigkeit.

Warum die Lüge liebenswert ist: Das Weltall ist ein grenzenloser Raum für Begegnungen der fantastischen Art. Ist das nicht toll? Und das sollen wir uns entgehen lassen? Also: Doppelte Lichtgeschwindigkeit, ab in die nächste Galaxie! Harald Hordych

Freilaufende Robenträger

Genre: Anwaltsserien

Die Lüge: Um einen Zeugen besonders eindringlich zu befragen oder ein Plädoyer flammend vorzutragen, verlassen die Anwälte in Suits, Good Wife, Ally McBeal oder Danni Lowinski schon mal ihren Platz hinter dem Tisch und laufen gestikulierend mit bedeutungsschweren Schritten im Gerichtssaal umher.

Die Wahrheit: "Die wichtigsten Verteidigungsmittel sind eine gute Fragetechnik und Beweisanträge", sagt die Berliner Strafverteidigerin Eda Tekin. Dass Anwälte oder Richter bei einer Befragung oder einem Plädoyer umherlaufen, habe sie noch nie beobachtet. Juristen, die in Robe durchs Gerichtsgebäude flanieren, seien ebenfalls eher selten zu sehen: "Die Robe zieht man in der Regel nur zur Verhandlung an."

Warum die Lüge liebenswert ist: Sitzen ist das neue Rauchen. Kathrin Müller-Lancé

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