Süddeutsche Zeitung

TV-Serie:Flachgelegt

Fake-Wrestlerinnen in einem Fake-Sport: Warum man Wrestling für großen Quatsch halten und die Netflix-Serie "Glow" trotzdem fantastisch finden kann.

Von Meredith Haaf

Heute zerbrechen wir uns die Köpfe über Fake News, aber es ist noch nicht lange her, dass Fake Sport ein hochprofitables und sehr präsentes Geschäft war. Kinder der Achtziger- und Neunzigerjahre werden sich noch gut an Pausenhofdiskussionen darüber erinnern, welcher WWF-Star (World Wrestling Federation, nicht World Wildlife Fund) der stärkste und coolste ist und ob die sich im Ring wirklich verprügeln oder alle nur so tun als ob.

Man kann Wrestling für großen Quatsch halten - und die neue Netflix-Serie über die Gorgeous Ladies of Wrestling trotzdem fantastisch finden. GLOW hieß auch schon das Fernsehformat, das von 1986 an drei Jahre mit beachtlichem Erfolg in den USA lief. Mangels professioneller Wrestlerinnen wurden Schauspielerinnen rudimentäre Wrestling-Fähigkeiten beigebracht, die diese dann spektakulärstmöglich umsetzten. Die Frauen lebten während der Produktionszeit zusammen und hatten sich an strikte Ausgangssperren und Alkoholverbote zu halten.

Große Ambitionen, mittleres Talent, null Glück

Wie schon in Orange is The New Black erzählt ein weibliches Autorinnen- und Produzentinnenteam um Jenji Kohan hochgradig unterhaltsam von komplizierten Frauenfiguren, die in all ihrer ambivalenten Pracht zur Geltung kommen: etwa von Ruth Wilder, einer Schauspielerin mit großen Ambitionen, mittlerem Talent und null Glück. Gespielt wird sie von Alison Brie, die schon in Mad Men diese unglückselige Kombination von unysmpathischer Überspanntheit, die nichts mehr will, als geliebt zu werden, so hervorragend verkörperte. Gemeinsam mit einer Gruppe höchst unterschiedlicher, nicht sonderlich gut verwurzelter Frauen übersteht sie ein rabiates Casting. Jede muss ein Klischee erfüllen: die alte Hässliche, die dumme Blonde, die aggressive Muslima. Die asiatische Schauspielerin wird zur Schwertkämpferin "Fortune Cookie", die großgewachsene Athletin zu "Vicky the Viking". Die Selbstverständlichkeit, mit der die Glow-Gründer, ein abgehalfterter Sexploitation-Trash-Regisseur (Marc Maron) und ein koksendes Millionärssöhnchen, die rassistisch-sexistische Stereotypisierung vornehmen, ist faszinierend inszeniert - noch faszinierender ist, wie die Serie die Stereotype in den Händen der Frauen zu Werkzeugen der Identitätsfindung umdeutet.

In einer eigentlich männlich dominierten Sphäre geht es so vor allem um Frauen - die vorsichtigen und manchmal nur sehr oberflächlichen Allianzen, die Einsamkeit und die Geltungssucht und der harte Humor, der weder vor milchtriefenden Stillbusen noch vor zu dicken Ehemännern oder Fehlgeburten haltmacht. Und obwohl offiziell Männer das Sagen haben - "Wer würde einem Mann mit einem Schnauzer voller Koks nicht vertrauen?" - begleiten wir diese gemischte Truppe dabei, wie jede einzelne von ihnen durch GLOW und die Gemeinschaft mit anderen Frauen einen Teil von sich zurücklässt und etwas mehr Kontrolle gewinnt in dem, was sie mit sich tut. Irgendwann liegt eine Frau auf einem gynäkologischen Stuhl in einer Abtreibungsklinik und wird gefragt, ob sie den bevorstehenden Eingriff wirklich will. Sie starrt nur entschlossen an die Decke und murmelt: "Ja ich bin eine Wrestlerin", während ihre Augen etwas anderes sagen.

GLOW, abrufbar auf Netflix.

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SZ vom 23.06.2017/jbee
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