Der Papst stirbt, und er stirbt qualvoll; über eine Sendestunde kann er gar nicht aufhören zu sterben. Um den wie auf einer Bühne Aufgebahrten versammeln sich nicht nur Ärzte und pflegende Frauen, sondern auch der illegitime Sohn und ein Haufen geiernder Würdenträger, die auf die Nachfolge hoffen, Strategen und Taktiker im Kardinalspurpur, die sich mit verschiedenen Testamentsfassungen bekriegen und daher das Oberhaupt der Kirche mit aller Gewalt am Leben erhalten wollen.
Udo Kier gibt diesem Innozenz VIII. das Gesicht eines hemmungslos verkommenen Lebemanns, der mit jeder Faser hierbleiben will, weil er - aber diesen wesentlichen Teil des spätmittelalterlichen Glaubens unterschlägt die monumentale ZDF-Serie über die Familie Borgia - wegen seines unchristlichen Treibens die Qualen der Hölle fürchten muss.
Oliver Hirschbiegel, auch in Hollywood bekannt als Regisseur des Hitler'schen Untergangs, inszeniert dieses theatralische Sterben im römischen Sommer von 1492 so drastisch, wie es nur die Kolportage darf. Innozenz VIII. lässt sich durch seinen jüdischen Arzt das Blut von Knaben einflößen, die prompt an dem unfreiwilligen Opfer sterben. Zur Freude aller Liebhaber grotesker Überhöhung trinkt der lebenshungrig dahinsiechende Papst dann auch noch Milch aus einer prallen Mutterbrust.
Ein Film, der so deftig und surreal beginnt, kann nicht ganz schlecht sein. Es handelt sich bei der sechsteiligen Serie um ein ehrgeiziges gesamteuropäisches Unternehmen, mit dem die amerikanische Konkurrenz niederkonkurrenziert werden soll. Pro Sieben bringt im November eine weitere Version der Borgia-Saga, die immerhin mit Jeremy Irons in der Hauptrolle prunken kann. In der deutsch-französischen Ko-Produktion von Jan Mojtos Eos und Atlantique (Lagardère Entertainment) ist mit der Drehsprache Englisch im Prager Studio ein Bild der Zeitenwende vor fünfhundert Jahren entstanden, das so plastisch noch nie zu sehen war. Ein Etat von 25 Millionen Euro erlaubte unter anderem den Einsatz von 4000 Kerzen, 157 Liter Filmblut, 43 Tonnen Farbe, Malerzubehör (Pinturicchios Bild der Hl. Katharina, das Lucretia Borgia darstellen soll, wird dabei schauerlich nachgemalt) und 150 Perücken.
Etliche davon trägt John Doman, der damit an Marlon Brando erinnert - nicht an dessen Don Corleone im Paten jedoch, sondern an den Kopfgeldjäger in dem ebenfalls sehr surrealen Western Missouri Breaks. Doman spielt den vögelnden, saufenden, heuchelnden, bestechenden, kämpfenden, schreienden und sehr selten sogar betenden Papst Alexander VI. mit einem bemerkenswerten Körpereinsatz.
Als langjähriger Polizistendarsteller in amerikanischen Serien bringt Doman eine Härte mit, die zwar niemand mit den Andachtsbildern der Renaissance verbinden würde, die aber umso besser zu diesem machthungrigen Arbeitsmigranten aus Katalonien passt.
Roderic Borja (italienisch Rodrigo Borgia) wurde von seinem Onkel, dem Papst Kalixt III., gefördert und diente im Vatikan als Vizekanzler, bis es ihm durch die damals übliche Bestechung des Kardinalskollegiums gelang, 1492 selber zum Papst gewählt zu werden. Wie in der Renaissance ebenfalls üblich, gebot er über mehrere Mätressen und zeugte mit ihnen mindestens sechs Kinder.
Als weltlicher Herrscher in einem Kirchenstaat, der im Norden von den häufig mit dem französischen König verbündeten Fürsten, von Süden vom neapolitanischen König bedroht wurde und selten auf den Schutz des deutschen Kaisers bauen konnte, musste Alexander VI. seine Macht in wechselnden Allianzen behaupten. Seine Kinder, vor allem der für die Politik bestimmte Juan, der für geistliche Ämter designierte Cesare und die mehrfach strategisch verheiratete Lucrezia, mussten ihm dabei helfen.
Der Drehbuchautor Tom Fontana hat das elfjährige Pontifikat Alexanders auf ein knappes Jahr eingedampft und dabei jeden Blödsinn zusammengerührt, der seit Jahrhunderten und besonders seit Alexandre Dumas über die Borgias im Umlauf ist, mit Vorliebe Anekdoten, die erwiesenermaßen von Neidern und Rivalen in die Welt gebracht wurden.
Lucrezia darf also wieder einmal die Giftmörderin geben und ein inzestuöses Verhältnis zu ihrem Bruder Cesare pflegen. Von homosexueller Vergewaltigung (Cesare als das Opfer) über Kastration (mehrfach und im Detail) bis zum versuchten Kindsmord (diesmal durch Cesare) wird nichts ausgelassen, was sich garantiert nicht zugetragen hat.
Besonders schlimm wird es, wenn in einem sadistischen Höhepunkt zwei Attentäter wie Schweine an den Beinen aufgehängt und von den bald bluttriefenden Henkersknechten bei lebendigem Leib durchgesägt werden. Fontana behauptet, er habe gründlich recherchiert, aber diese Art Strafe gehörte nicht einmal im dunkelsten Mittelalter zum Repertoire. Sie findet sich allerdings auf einem zeitgenössischen Holzschnitt von Lucas Cranach, der die "Marter des Hl. Simon" darstellt. Andererseits war der katholischen Kirche der Gedanke nie fremd, mit Verweis auf die Märtyrer-Legenden das Volk drastisch zu erziehen.
Dem Zuschauer bleiben Szenen wie diese vermutlich erspart, weil man sich wegen der "frühen" Sendezeit um 20:15 Uhr zu etlichen Schnitten entschlossen hat. Diese Gewaltszenen dürften in der amerikanischen Fassung, die von der Online-Videothek Netflix erworben wurde sowie den Pay-TV-Sendern Canal Plus und Sky Italia, wieder ergänzt werden.
Die deutschen Söldner sind eine Horde dumpfer Schläger, der französische König ist eitel und perfid, die italienischen Kardinäle wichtigtuerische Intriganten, aber dafür wie die Frauen immer aufs Schönste gewandet. Von der Stigmatisierung bis zum Exorzismus fehlt nichts von der durch Dan Browns Historienschinken angefachten antikatholischen Folklore.
Auf den Comment der Zeit wird wenig Rücksicht genommen, damit sich die Männer als regelmäßige Gäste in der Kemenate und sogar im Nonnenkloster aufhalten können und die Frauen sich über eine "Ehe ohne Liebe" beklagen können. Bei Borgia, dessen Hofhaltung berüchtigt war für ihre geizige Frugalität, gibt es ständig Party und wahlweise Gelage, der Papst beschwört das ewige Rom, und die tagesfrische Renaissance, und die Kardinäle haben sich zu einer Dauersitzung versammelt, als wär's Angela Merkels Kabinett.
Der schwächste Punkt ist: Lucrezia (Isolda Dychauk). Sie erscheint als dummes, flatterhaftes Ding, das durch unberechenbare Liebschaften und religiöse Wahnvorstellungen taumelt, wobei, wie auch der kirchenferne Zuschauer dankbar bemerken wird, immer Gelegenheit zu Entblößungen an den richtigen Stellen gegeben wird.
Und doch. Und doch ist dieser oft grausame Reigen aus Intrigen, Sex, Machtgier und dem geborgten Prunk einer langversunkenen Epoche großes Fernsehkino. Zwar entsprechen nicht sehr viele Details der historischen Wahrheit, es entsteht in diesem fast surrealen Renaissance-Albtraum aber ein gar nicht so falsches Abbild der Jahrzehnte am Ende des Mittelalters, als Kolumbus eben die Neue Welt entdeckte und die Weltlichkeit der römischen Kirche Martin Luther den Anstoß für Spaltung der Una Sancta lieferte.
In den antikatholischen Affekt mischt sich das schöne Gruseln vor einer macht-bewussten Kirche, die sich nicht mit Quisquilien wie liturgischen Reformen oder dem Einsatz von Kondomen im südlichen Afrika abgab, sondern ihre Macht mit der heiligen Inquisition und in langwierigen Kriegen gnadenlos behauptete. Deshalb konnte der Papst wie jeder andere Renaissance-Herrscher auch ganz offen mit einer minderjährigen Kurtisanen zusammenleben, munter Söhne und Töchter zeugen, sich von morgens bis abends bestechen lassen und selber das Geld mit vollen Händen aus dem Fenster werfen, nicht zuletzt für die bis heute maßgeblichen Künstler seiner Zeit. Das muss Folgen haben, weitere Borgia-Folgen.
ZDF, 20:15 Uhr. - Die weiteren Folgen sind am 19., 20., 24., 26. und 27. Oktober, ebenfalls 20:15 Uhr, zu sehen.
ProSieben, ab 9. November immer mittwochs, 20:15 Uhr