TV-Sendung: Tatort Internet:Ein Mann taucht ab - die Justiz ermittelt

Ein Pädagoge verschwand nach der TV-Sendung Tatort Internet, die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren gegen den Mann ein. Vertraute befürchten, er könnte sich etwas angetan haben.

J. Boie u. R. Deininger

Am vergangenen Donnerstag machten sich vier leitende Mitarbeiter des Caritasverbands Würzburg auf den Weg in ein Kinderdorf im Stadtteil Keesburg. Um 14 Uhr konfrontierten sie den Chef der Einrichtung mit einem Beitrag aus der am vergangenen Montag erstmals ausgestrahlten RTL-2-Sendung über mutmaßliche Kinderschänder, Tatort Internet, die unter anderem von der Ministergattin Stephanie zu Guttenberg moderiert wurde. Der Film zeigte einen grauhaarigen Mann mit verpixeltem Gesicht und verzerrter Stimme, der sich in einem Münchner Lokal mit einem vermeintlich 13-jährigen Mädchen trifft, das er in einem anzüglichen Chat kennengelernt hatte. Die beiden sprechen darüber, ob er in der Wohnung des Mädchens im Gästezimmer übernachten könne. Der Kinderdorf-Leiter gab sofort zu, dass er dieser Mann war. Die Caritas-Funktionäre teilten ihm seine Entlassung mit.

Stephanie zu Guttenberg bei RTL II

Guter Wille, umstrittener Einsatz: Ministergattin Stephanie zu Guttenberg im RTL-II-Studio.

(Foto: dpa)

Der 61-jährige Pädagoge habe die Nachricht gefasst aufgenommen, sagte der Würzburger Caritas-Chef Clemens Bieber der SZ. Er habe für das Angebot psychologischer Hilfe gedankt und ihnen seine Handynummer gegeben. Dann wollte er nach Hause fahren, kam dort aber nie an. Seine schwer kranke Frau suchte ihn vergeblich, am Freitag wurde er als vermisst gemeldet. Vertraute befürchten offenbar, der Mann könnte sich etwas angetan haben oder noch antun.

Bieber zeigte sich "empört" darüber, dass die Redaktion von Tatort Internet die Caritas fünf Monate lang nicht über das Fehlverhalten des Mannes informiert hatte. Die belastenden Aufnahmen mit versteckter Kamera waren bereits im Mai beim Ökumenischen Kirchentag entstanden. RTL2 habe damit "die Gefahr in Kauf genommen, dass in dieser Zeit etwas Unlauteres passiert". Es stelle sich die Frage, "ob es dem Sender wirklich um den Schutz der Kinder geht oder doch nur im die Einschaltquote".

Daniel Harrich, der Produzent von Tatort Internet, sagte dazu, dass sich der Mann in der Sendung nicht zweifelsfrei strafbar gemacht hätte. Eben weil er nur eine "straflose Vorbereitungshandlung" begangen hätte, wäre es "nicht rechtens" gewesen, den Arbeitgeber zu benachrichtigen. Harrich sagte der SZ am Sonntag, das Material wurde stattdessen an zuständige Behörden weitergeleitet.

In jedem Fall hat die Caritas die Würzburger Staatsanwaltschaft bereits informiert, diese ermittelt nun gegen den 61-Jährigen wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch. In dem Kinderdorf betreute der Mann zuletzt 37 Bewohner; laut Caritas lägen bisher keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es auch dort zu Fehlverhalten gekommen sei.

Was wusste Frau zu Guttenberg?

Unklar ist, ob Stephanie zu Guttenberg, die auch für die Sendung wirbt, wusste, dass die Produzenten den Arbeitgeber nicht informierten. Die Frau von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist derzeit im Urlaub und nicht zu erreichen. Auch ihre Sprecherin wollte den Vermisstenfall nicht kommentieren. Nach Harrichs Angaben ist Guttenberg nicht in die internen Abläufe der Sendung eingebunden.

Der Kinderdorf-Leiter selbst wurde von RTL2 nicht darüber aufgeklärt, dass er gefilmt worden war. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist er von der Sendung vergangene Woche überrascht worden. Während der Aufnahmen war er im Glauben gelassen worden, mit einer Jugendlichen und deren Mutter zu kommunizieren. Tatsächlich handelte es sich um eine Schauspielerin und die Initiatorin der Sendung, Beate Krafft-Schöning. Als angebliche Mutter hatte sie den Mann zur Rede gestellt. Der hatte beteuert, dass "nichts passiert wäre".

Die Identität des 61-Jährigen war noch während der Ausstrahlung der Sendung in Internetforen enttarnt worden, genau wie die von mindestens einem weiteren Mann, den RTL2 als "Täter" vorführte. Trotz Unkenntlichmachung hatten die in der Sendung gegebenen Hinweise offenbar ausgereicht, die Beschuldigten mit ein paar Klicks zu identifizieren. Nach Ansicht der Hamburger Medienanwältin Dorothee Bölke wurden "die journalistischen Pflichten bei der Verdachtsberichterstattung von RTL2 nicht beachtet". Das Format sei ohnehin "heikel", weil die Persönlichkeitsrechte der Männer möglicherweise missachtet würden. Bölke sieht auch journalistische Kriterien verletzt: "Man muss als Zuschauer davon ausgehen können, dass in dem Medium, das sich aufschwingt, einen Missstand aufzudecken, die Wirklichkeit abgebildet wird. In der Sendung wird aber die Wirklichkeit geschaffen."

Tatort-Internet-Produzent Harrich sagte, er begrüße, dass der 61-Jährige nicht mehr mit Kindern arbeiten könne. Den Vorwurf, durch die Inszenierung von Situationen journalistische Prinzipien zu verletzen, wies Harrich zurück. Es sei "im Sinne der Sendung Tatort Internet, dass diese Männer, wenigstens an diesen Tagen, nicht mit einem echten Kind sprechen. Wir verhindern so schon je ein weiteres Opfer sexueller Gewalt." Der in Würzburg vermisste Mann sei in seiner Sendung "nicht an den Pranger gestellt" worden, sagte Harrich. "Er wurde auch erst seitens des Arbeitgebers ermittelt, nachdem bekannt wurde, dass ein Mitarbeiter der Organisation bei diesem Vorhaben erwischt wurde." Es gehe der Sendung darum, "Kinder, Eltern, Lehrer und Pädagogen aufzuklären und sie für die Gefahren im Netz zu sensibilisieren".

Von dem 61-Jährigen fehlte am Sonntag bis Redaktionsschluss jede Spur. "Je länger er weg ist", sagt Caritas-Chef Bieber, "desto größer wird unsere Sorge". Die Sendung Tatort Internet, forderte Bieber, müsse abgesetzt werden.

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