TV-Sendung bei Rai von Roberto Saviano:"Rächt euch an mir!"

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Mehr Zuschauer als ein Champions-League-Finale: Mafia-Enthüller Roberto Savian setzt auf Rai seine Italien-Doku durch. "Vieni via con me" ist ein Quoten-Garant.

Andrea Bachstein

So einen Erfolg hatte keiner erwartet. "Ein Wunder" sei der Erfolg, hat jetzt Roberto Saviano gesagt, der Journalist und Autor, der mit seinem Buch Gomorra über die Camorra weltberühmt wurde. Vier Folgen einer Fernsehsendung hat er mit dem in Italien populären Fernsehjournalisten Fabio Fazio entwickelt. Vieni via con me, "Komm fort mit mir", hieß sie nach dem Lied von Paolo Conte, das auch Titelmelodie war.

Doku über Italien bei Rai: Mafia-Kritiker Roberto Saviano hat einen Quotenerfolg gelandet - und dabei erstaunliches von seiner Heimat gezeigt. (Foto: dapd)

In dieser Woche lief die vierte und letzte Folge im dritten Programm des Staatssenders Rai. Dieser von politischen Einflussnahmen gezeichneten Radio- und Fernsehanstalt haben Fazio und Saviano mit ihrem Projekt wieder etwas Würde geschenkt. Und sie haben dabei Einschaltrekorde erzielt. Mit einem Format, das eher ins Theater passt und Quotenkiller enthielt: Viele Listen wurden verlesen, und ein halbstündiger Monolog war zentraler Teil. Wenn der scheue Saviano in die Kamera sprach, war ihm anzumerken, dass er sich nicht heimisch fühlt vor so viel Öffentlichkeit.

Aber der 31-jährige Saviano und der 46-jährige Fazio haben dem zeitgleich ausgestrahlten Publikumsrenner Big Brother die Show gestohlen, sie hatten mehr Zuschauer als manches Champions-League-Finale: Bis zu elf Millionen Menschen haben Vieni via con me gesehen, in jeder Folge. Dazu kommen 13,5 Millionen Aufrufe der Internetseite. Die Italiener hatten wohl den Eindruck, etwas Authentisches zu erfahren, etwas Kluges, Wahres und Wichtiges, das sie angeht und ihr Land. Saviano redete zum Beispiel über das Mülldrama in seiner Heimatstadt Neapel und die Invasion der Mafia in Norditalien, über Italiens Verfassung und die Erdbebenopfer von L'Aquila. Er und Fazio thematisierten Italiens Nöte, Hoffnungen, Widersprüche, auch seine Möglichkeiten.

Damit haben sie offenbar den Nerv einer Nation getroffen, die genug hat: genug vom seichten Programm der Privatsender aus dem Hause Mediaset, das im Besitz der Familie des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi ist. Genug von einer Regierung, die Missstände ignoriert oder öffentlich schönredet. Auch genug davon, dass es in der staatlichen Rai nur noch wenige Sendeplätze gibt, auf denen ausführlich und furchtlos über die Fehler der Regierung gesprochen wird.

Ungwöhnlich viele junge Leute schalteten bei Saviano und Fazio ein. Die 15- bis 34-Jährigen machten mehr als 34 Prozent aus, die 45- bis 54-Jährigen 35 Prozent. Und es waren überdurchschnittlich gebildete Zuschauer (zu 57 Prozent Akademiker), die dem am meisten gesehenen Rai-Tre-Programm aller Zeiten folgten.

Es klingt absurd, aber einigen in der Führungsetage der Rai muss Savianos und Fazios Erfolg nun höchst unangenehm sein. Allen voran dem schnauzbärtigen Rai-Generaldirektor Mauro Masi. Jedenfalls sagt der Mann von Berlusconis Gnaden nichts zu dem Quotenbringer. Er ist ein Chef, der Journalisten im eigenen Haus die Hölle bereitet, wenn sie nicht auf Kuschelkurs mit der Regierung liegen. Saviano und Fazio kämpften monatelang darum, auf Sendung gehen zu dürfen.

Was er erlebte, beschrieb Saviano als "neuen Zensur-Mechanismus": Der Realisierung eines Projekts werden tausend Schwierigkeiten in den Weg gelegt - aber im Verborgenen, in Gremien, zu denen nur wenige Zugang haben. Nach außen führte Masi vor allem die Kosten ins Feld. So könne sich die Rai auch das Engagement von Oscar-Preisträger Roberto Benigni nicht leisten, argumentierte er. Doch der gewitzte Schauspieler verzichtete auf eine Gage und legte in der ersten Sendung eine furiose 40-Minuten-Show hin.

Viele Listen ergaben: ein Italien

Benigni machte das, wovor sich Masi vermutlich sehr gefürchtet hat: Er zerlegte Berlusconi, Pointe um Pointe. Genüsslich führte er dessen Aussage ad absurdum, hinter seinen Skandalen mit Nutten und Minderjährigen stecke die Mafia. "Früher", sagte Benigni leutselig, "hat einen die Mafia umgebracht, aber jetzt schicken sie dir zwei 18-Jährige ins Bett." Es sei schrecklich, was die Mafia anrichten kann, wenn sie sich rächt. Nur an ihm räche sich die Mafia nie. Um das zu ändern, rief er ein paar Beleidigungen aus. "Rächt euch an mir, wenn ihr den Mut habt!" Dann nannte er seine Hoteladresse und fragte erwartungsfroh: "Ihr werdet mich doch nicht heute Nacht zwei Brasilianerinnen im Zimmer finden lassen?"

Vieni via con me war trotz Benigni alles andere als eine Comedynummer. Meistens ging es ernsthaft und nachdenklich zu, das Wort zählte mehr als das Bild. Listen zählten zum Ritual der Sendung, die von prominenten und ganz normalen Leuten verfasst wurden. Die Überraschung war, dass die schlichte Form der Aufzählung spannend und aufschlussreich sein kann.

Man erfuhr so von der Lage einer 88-Jährigen, die nach 30 Jahren Arbeit von 500 Euro Rente leben muss. Literaturnobelpreisträger Dario Fo trug voller Ironie Tipps vor, die der Politiker Machiavelli ( Von der Kriegskunst, 1521) der heutigen Regierung noch geben könnte: Zum Beispiel, zu lügen, und die Lüge zu wiederholen, bis sie für wahr gehalten wird. Vom Dach einer Universität übermittelten Protestierende ihre Einwände gegen die Hochschulreform. Der vom Berlusconi-Verbündeten zum Gegner gewandelte Gianfranco Fini zählte auf, was die Rechte sich für Italien wünscht. Der PD-Vorsitzende Pierluigi Bersani verbreitete, was das Mitte-Links-Lager wünscht.

Lehrer und Eltern berichteten von prekären Schulsituationen. Schauspielschüler trugen zusammen, was für sie Italien ausmacht: Das reichte von der "Gitarre Fabrizio de Andreis" über "das Lächeln von Enrico Berlinguer" bis zum "Megafon Federico Fellinis". Ein Komiker las Scherze Berlusconis vor. Nichi Vendola, der schwule Regionspräsident von Apulien, verlas 27 beleidigende Begriffe für Homosexuelle. Stardirigent Claudio Abbado führte 16 Gründe dafür auf, warum es falsch ist, der Kultur drastisch die Mittel zu kürzen - wie es gerade in Italien geschieht. Der Chef der nationalen Anti-Mafia-Behörde, Piero Grasso, erklärte, was ihm und seinem Team helfen würde im Kampf gegen das organisierte Verbrechen.

Die komplette Liste dieser Listen wäre ziemlich lang. Sie fügten sich zum Mosaik eines Italiens, an dem die Menschen hängen und das sie tief enttäuscht. Und so kann man auch das Projekt Vieni via con me verstehen: als Liebeserklärung an ein Land, an dem man regelmäßig verzweifeln muss.

Auch an der Rai sind Saviano und Fazio offenbar verzweifelt. Saviano sagte dem Blatt Corriere della Sera: "Wir haben das Programm wirklich gegen den Willen des Direktors gemacht. Wir haben es trotz dieser Rai getan." Es sei eine schöne, aber sehr harte Erfahrung gewesen. Ob er sich noch einmal darauf einlassen würde? "Sicher nicht unter diesen Bedingungen. In einer Rai wie sie heute ist, nie mehr."

Saviano will jetzt sein nächstes Buch beenden. Seine Veröffentlichungen über die Camorra haben ihn in große Gefahr gebracht, seit vier Jahren muss er ständig unter Begleitschutz leben, es gibt keine Normalität mehr für ihn. "Der private Saviano muss sich verstecken, um sich selbst zu schützen, und er vertraut niemandem", sagt er. Doch er wolle sich wieder ein Leben aufzubauen. "Daran setze ich alles."

© SZ vom 04.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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