TV-Sender:Al Jazeera in Bedrängnis

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Newsroom von Al Jazeera in Katars Hauptstadt: Bis heute ist der Sender der meist gesehene und beliebteste in der arabischen Welt. (Foto: Fadi Al-Assaad/Reuters)

Der Nachrichtenkanal aus Katar wurde einst gefeiert für die Redefreiheit, die er zuließ. Jetzt blockiert Saudi-Arabien die Ausstrahlung. Die Chronik eines Liebesentzugs.

Von Moritz Baumstieger

Großen Beben gehen oft kleinere Erschütterungen voraus. Beim Versuch, die Website von Al Jazeera aufzurufen, sahen Internetnutzer in Ägypten schon im Mai eine Fehlermeldung, zwei Wochen bevor eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition arabischer Staaten das Golfemirat Katar am 5. Juni diplomatisch und wirtschaftlich isolierte. Neben der Onlinepräsenz des wichtigsten Nachrichtensenders der arabischen Welt hatte Ägypten zwar noch 20 weitere Seiten gesperrt, deren Berichte dem Regime in Kairo nicht passten. Doch die Blockade war mehr als nur ein weiteres Beispiel für den Zustand der Meinungsfreiheit am Nil: Auch in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Bahrain ist www.aljazeera.net seit dem 23. Mai nicht mehr zu erreichen.

Inzwischen sieht sich der Medienkonzern der größten Bedrohung seiner 21-jährigen Geschichte ausgesetzt: Die Al-Jazeera-Zentrale in Doha meldete in der Nacht zum vergangenen Freitag "systematische und andauernde Hacking-Versuche", mit denen Unbekannte nicht nur die Internetseiten des Senders angreifen, sondern auch seine zahlreichen Plattformen in den sozialen Medien lahmzulegen versuchen. Die Onlineseiten waren auch außerhalb der arabischen Länder teils nicht zu erreichen, der Empfang von Al Jazeera ist in Teilen der Region gestört.

Zu den jüngsten Online-Attacken kommen massive Behinderungen der journalistischen Arbeit

Al Jazeera war 1996 als erster transnationaler arabischer Nachrichtensender gestartet. Mittlerweile hat sich das katarische Staatsunternehmen zu einer globalen Medienmarke mit mehr als 80 Standorten entwickelt und erreicht nach eigenen Angaben täglich 310 Millionen Haushalte. Das Netzwerk schaffte es schließlich sogar, durch seinen englischsprachigen Ableger in die Kategorie der internationalen Branchenführer CNN und BBC vorzustoßen. Aber jetzt sind durch die aktuellen Angriffe die Ausnahmestellung und Marktführerschaft in der arabischen Welt bedroht. Denn zu den jüngsten Online-Attacken kommen massive Behinderungen der journalistischen Arbeit.

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Nur Stunden, nachdem Saudi-Arabien seine diplomatischen Strafmaßnahmen gegen das Emirat Katar angekündigt hatte, schlossen saudi-arabische Sicherheitskräfte das Büro von Al Jazeera in Riad und entzogen dem Sender die Lizenz. Die staatliche saudi-arabische Presseagentur beschuldigte den Sender, Propaganda für Terrororganisationen zu betreiben und "die innere Geschlossenheit Saudi-Arabiens zu zerstören". Wenig später kündigte unter anderem Jordanien ähnliche Schritte an, in Ägypten kann der Sender schon seit 2013 nicht mehr arbeiten. Am Freitag berichtete Sky News Arabia, die saudi-arabische Regierung belange Hoteliers, die ihren Gästen Al Jazeera bereitstellen, mit Geldstrafen von umgerechnet bis zu 24 000 Euro. Außenminister Adel al-Jubeir forderte von den Katarern Anfang voriger Woche ein Ende der Unterstützung für "aufwieglerische und feindliche Medien". Zudem solle die Redaktionslinie geändert und die Senderleitung ausgetauscht werden.

Der Sender, dem heute Terrorpropaganda vorgeworfen wird, wurde in seinen Anfangstagen dafür gefeiert, einem bis dato in der Region unbekannten Maß an Redefreiheit ein Forum zu bieten. Bei Al Jazeera fetzten sich die Moderatoren in hart geführten Interviews mit israelischen Armeesprechern - ein unerhörter Tabubruch, den Gegner direkt zu Wort kommen zu lassen. Zuschauer konnten in Call-in-Sendungen ihre Meinung einfach so kundtun - in der politisch lange erstarrten Region ein absolutes Novum. Mit der Gründung des Senders ärgerte das kleine Emirat Katar seine Nachbarn und auch oft die westliche Welt. Kein Wunder also, dass der Strauß an Vorwürfen stets vielfältig war: Al Jazeera wurde beschuldigt, PR für Saddam Hussein zu betreiben, später für Bin Laden und seine al-Qaida, den IS und die Muslimbruderschaft, sowie wahlweise von der CIA oder dem Mossad gesteuert zu werden.

Trotzdem ist Al Jazeera bis heute der meistgesehene und beliebteste Nachrichtensender der arabischen Welt. Und auch, wenn das Netzwerk wohl zu groß ist, um in all seinen Kanälen lahmgelegt zu werden (allein auf Snapchat gibt die Marke an, täglich 100 Millionen Nutzer zu erreichen), können die Hackerangriffe, Lizenzentzüge und Blockaden ein größeres Problem werden. Schließlich liegen andere Sender nur einen Knopf auf der Fernbedienung entfernt. Sein früheres Alleinstellungsmerkmal hat Al Jazeera schon länger verloren und etwa mit Sky News Arabia, BBC Arabic und al-Arabiya Konkurrenz bekommen.

Im Arabischen Frühling zeigte der Sender wütende Demonstranten - die Konkurrenz brachte Tierdokus

Dass der Zorn der Saudi-Araber sich nicht nur gegen den Emir von Katar richtet, sondern auch den von seinem Vater gegründeten Medienkonzern trifft, ist kein Zufall. Nachdem sich Hamad bin Chalifa Al Thani 1995 unblutig an die Macht putschte, war die Gründung des Senders ein Teil der Politik, mit der Al Thani das Land maßvoll zu modernisieren und zugleich Einfluss in der Region zu gewinnen versuchte.

Dass Al Jazeera ein Mittel der katarischen Außenpolitik sei und kein rein neutrales Nachrichtenmedium, warfen Kritiker dem Sender vor allem im Nachgang des Arabischen Frühlings vor. Den Sturz der Diktatoren in Tunesien, Ägypten und Libyen hatte Al Jazeera mitermöglicht, indem es mitten aus den wütenden Demonstrationszügen berichtete. So machte der Kanal die Staatssender lächerlich, die wahlweise sedierende Tierdokumentationen sendeten oder Bilder leerer Straßen, die eine Grabesruhe in den Hauptstädten vorgaukeln sollten. Nach dem Sturz der Despoten stellte sich Al Jazeera aber einseitig auf die Seite der Muslimbrüder; gemeinsam mit mehr als 20 Kollegen kündigte etwa der frühere Berlin-Korrespondent Aktham Suliman 2012 nach gut einem Jahrzehnt beim Sender, weil er dessen inhaltliche Linie nicht mehr mittragen konnte.

Der "Lügensender"-Vorwurf traf Al Jazeera immer häufiger. Lange vor dem saudi-arabischen Liebesentzug beschuldigte Ägyptens neuer Präsident Abdel Fattah al-Sisi den Sender der Verbreitung von Unwahrheiten. Nachdem Sisi 2013 den Muslimbruder Mohammad Mursi von der Macht vertrieben hatte, erschossen ägyptische Sicherheitskräfte bei der Auflösung von Protestcamps in Kairo mehr als 817 Menschen - die Al-Jazeera-Journalisten, die darüber berichteten, verbrachten lange Zeit im Gefängnis. Auch derzeit sitzt wieder ein Mitarbeiter in Haft, Mahmoud Hussein.

Abgesehen von politischen Fragen haben manche Zuschauer noch ganz andere Sorgen. Der zu Al Jazeera gehörende Sportkanal Be In hält in einigen arabischen Ländern die Senderechte für die Champions League und die englische Premier League. Derzeit ist Be In unter anderem in den Vereinigten Arabischen Emiraten blockiert. Falls der Kanal zu Beginn der nächsten Saison noch nicht in der Lage sein sollte, die fußballverrückte Region zu versorgen, befürchten manche Schlimmes: "Die ersten Schüsse im neuen Golfkrieg", schrieb ein Witzbold auf Twitter, "werden wohl von der Arsenal-London-Miliz abgefeuert."

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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