TV-Kritik zu "Hart aber fair":Was ist geil an Böllern?

Lesezeit: 3 min

Bengalische Feuer gibt es im Internet für 1,25 Euro das Stück. Wer wissen wollte, wie man sie am besten ins Stadion schmuggelt, war am Montagabend bei Frank Plasberg genau richtig. Wer eine differenzierte Debatte über Gewalt im Stadion erwartete, leider nicht.

Thierry Backes

Johannes B. Kerner hatte da so eine Idee. Für den Fall, dass man ihm nicht glauben will, dass Pyrotechnik in deutschen Fußballstadien wirklich gefährlich ist. Und so kommt es, dass der Champions-League-Moderator aus Frank Plasbergs Hart aber fair-Studio verschwindet und - von den Kameras begleitet - auf dem Hof dahinter wieder auftaucht: mit einem bengalischen Feuer in der Hand.

Würgt gerne mal ab: Moderator Johannes B. Kerner, diesmal als Gast bei Frank Plasberg. (Foto: N/A)

Ganz Wissenschaftler hält Kerner die angezündete Fackel an eine Puppe und doziert: "Drei ... vier ... fünf Sekunden, schon steht das Kind in Flammen." Um dann, wieder ganz Mensch, kopfschüttelnd hinzuzufügen: "Wer bei der Ansicht dieser Bilder immer noch denkt, das sei stimmungsvoll, dem kann man nicht mehr helfen."

Kerners Experiment ist effekthascherisch, keine Frage, sorgt aber wenigstens für etwas Abwechslung in einer sonst bemerkenswert einseitigen Sendung zum Thema "Gewaltige Leidenschaft - wer schützt den Fußball vor seinen Fans?". Dabei hätte man über die Entscheidung des DFB-Sportgerichts, das skandalträchtige Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC Berlin nicht wiederholen zu lassen, vortrefflich streiten können. Schiedsrichter Wolfgang Stark hatte die Partie heute vor einer Woche dreimal unterbrechen müssen: Zweimal, weil Feuerwerkskörper vornehmlich aus dem Berliner Block aufs Feld flogen, und einmal, weil Hunderte Düsseldorfer Fans den Platz kurz vor Schluss im Siegesrausch stürmten.

Frank Plasberg schneidet das Thema Wiederholungsspiel zwar kurz an, mehr aber auch nicht. Er lenkt die Diskussion lieber auf die "neue Qualität der Gewalt" in deutschen Fußballstadien, die Kerner diagnostiziert haben will - und damit in vertraute Bahnen. Frank Richter, der stellvertretende Chef der Gewerkschaft der Polizei, spricht von mehr als 12.000 gewaltbereiten Fans, "die den Fußball kaputtmachen", sucht die Schuld für Eskalationen aber auch bei den Vereinen, die man "in puncto Sicherheit" erst einmal "auf den Stand einer Profiliga" bringen müsse. Die Vereine seien gerade den Ultras gegenüber, unter die sich gewaltbereite Fans mischen würden, viel zu tolerant.

Mit Liebesentzug gegen Ausschreitungen?

Der Präsident der Deutschen Fußball Liga, Reinhard Rauball, setzt dem nicht viel entgegen. Er plant eine Konferenz der Klub-Präsidenten der ersten, zweiten und dritten Liga, die noch im Sommer einen "Katalog" erarbeiten sollen, den auch die Mannschaften mittragen. Eine Idee: Gibt es Ausschreitungen, sollen die Spieler sich nach dem Spiel nicht wie üblich bei den Fans in der Kurve bedanken. Ob ein "Liebesentzug" so wirksam ist, wie er sich erhofft?

Die Diskussion wird recht bald sehr monoton. Warum? Weil man sich in der Runde meist schnell einig ist: Pyrotechnik gehört nicht ins Stadion, Chaoten sowieso nicht, und reine Sitzplatzstadien wie in England soll es nicht geben, das zumindest verspricht Rauball.

Dass so wenig debattiert wird, muss Frank Plasberg sich ankreiden lassen. Er hat sich diesmal einfach nicht die profiliertesten Gäste eingeladen - zumindest auf Seiten der Fans. Da sitzt Katja Winkelmann, die zwar authentisch wirkt, weil sie als Anhängerin von Borussia Dortmund seit 1978 mit ihrem Mann "auf der Süd" steht (gemeint ist die oft gewaltige Dortmunder Fan-Wand im Stadion) und nun mit Trikot und Fan-Schal in der Sendung hockt, die aber nicht mehr viel zur aktuellen Debatte beizutragen hat als Plattitüden wie "Emotionen kann man nicht einzäunen".

Stimmen zu Ausschreitungen im Relegationsspiel
:"Das war ein irreguläres Spiel"

Bestürzt reagieren die Verantwortlichen von Fortuna Düsseldorf auf die Fankrawalle während des Relegationsspiels im eigenen Stadion. Gegner Hertha BSC denkt über einen Protest nach - viel Lob bekommt indes Schiedsrichter Wolfgang Stark: Weil er es schaffte, die Situation zu deeskalieren.

Stimmen im Überblick

Und da sitzt Dirk Bierholz, der Leiter des Düsseldorfer Fanprojekts, der eben so redet, wie ein fernsehunerfahrener Sozialarbeiter. Vom Dialog mit den Vereinen und der Polizei und davon, dass man nicht alle Ultras über einen Kamm scheren dürfe. Da wird ihm niemand ernsthaft widersprechen, ausnahmsweise mal. Die ganze Diskussion bei Plasberg aber leidet darunter, dass Bierholz die Position der Fans nur schlecht verkauft - oder verkaufen darf: Ein ums andere Mal wird er unterbrochen, dann auch mal vorgeführt.

Stimmen zu Ausschreitungen im Relegationsspiel
:"Das war ein irreguläres Spiel"

Bestürzt reagieren die Verantwortlichen von Fortuna Düsseldorf auf die Fankrawalle während des Relegationsspiels im eigenen Stadion. Gegner Hertha BSC denkt über einen Protest nach - viel Lob bekommt indes Schiedsrichter Wolfgang Stark: Weil er es schaffte, die Situation zu deeskalieren.

Stimmen im Überblick

Etwa von Hertha-Fan Kerner, der selten eine Meinung so dezidiert vertritt wie in dieser Sendung. "Was ist geil an Böllern?", fragt er, ohne eine Antwort zuzulassen. "Warum zünden die Leute Bengalos?" Er echauffiert sich über Chaoten, die zu Beginn der zweiten Hälfte des Champions-League-Finales am vergangenen Samstag in München im Bayern-Fanblock Fackeln abbrannten (was man auf den Fernsehbildern nur erahnen konnte): "Zehn Bummsdumme, die glauben, das sei ihre Veranstaltung."

Später, als Bierholz über das unangemessene Vorgehen der Polizei zu sprechen kommt, über willkürlich eingesetztes Pfefferspray und knüppelnde Beamte, ruft Kerner dazwischen: "Dieses Bullen-Bashing ist sehr stereotyp!"

Wenigstens ein paar Emotionen, könnte man sagen. Die kochen die ganze Sendung auch im Internet hoch, gerade bei den Fans. Viermal so viele Zuschriften wie sonst erreichen Plasbergs Zuschaueranwältin Brigitte Büscher (etwa über die Hart aber fair-Facebookseite). Viele zeigen sich enttäuscht darüber, dass ihre Forderung nach einer geregelten Nutzung von Pyrotechnik im Stadion wieder mal ignoriert wird. Der Tenor: Dann müssen wir eben weiter machen wie bisher.

Oder so, wie es die Plasberg'sche Redaktion in einem Einspieler gezeigt hat: Bengalos für 1,25 Euro im Internet kaufen, dann in die Unterhose stopfen, denn - so heißt es in einem zitierten Fan-Forum: "Kein Ordner fasst dir in den Schritt."

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