Phänomen "DSDS Kids":Von wegen Individuum

Für Dieter Bohlen werden die Kleinen zu möglichst passgerechten Kopien von Erwachsenen gemacht, die aus dubiosen Gründen erfolgreich sind. Was an "DSDS Kids" anders ist als an der "Mini Playback Show", warum sich Achtjährige hier schon wie perfekt inszenierte Markenträger aufführen - und wieso das Format an diesem Freitag endet.

Ruth Schneeberger

Yvonne Catterfeld oder Jon Bon Jovi sind als Sänger für viele Zeitgenossen schon im Original nur schwer zu ertragen. Oder, je nach Toleranzschwelle, einfach egal. Natürlich gibt es auch heißblütige Fans der beiden Entertainer. Aber die befinden sich gegenüber dem Rest der Weltbevölkerung eher in der Minderheit. In der RTL-Show "DSDS Kids" scheint es trotzdem wenig Ausschlaggebenderes zu geben als das Maß, in dem sich Kinder in ihr vermeintliches Vorbild verwandeln können. Und sei es ein pädagogisch zweifelhaftes.

Fernsehshow 'Deutschland sucht den Superstar - Kids'

Die zehnjährige Kandidatin Vanilla (rechts) bestand in der zweiten Show darauf, alle Jury-Mitglieder, so auch Michelle Hunziker, zu umarmen. So macht man das.

(Foto: dapd)

Die beiden bisherigen Favoriten sind bisher jedenfalls genau jene zwei Kinderkandidaten, die sowohl den größten Rock-Imitator aller Zeiten als auch eines der am schnulzigsten singenden Popsternchen Deutschlands möglichst originalgetreu vor einem Millionenpublikum zu kopieren versuchen. Zumindest in den Augen des Michelle-Hunziker-Dana-Schweiger-Dieter-Bohlen-Schiedsgerichts, das Neu-Moderator Daniel Aßmann (28) als "beste Jury der Welt betitelt, was daran liegen könnte, dass er selbst noch an einigen Stellen wie ein Kind wirkt.

Der neunjährige Marco (Finalist) wird wegen seines Rockstar-Auftritts von Dieter Bohlen als "Wunderkind" in den Himmel gelobt - weil er ganz ohne Whisky und Zigaretten die rauchige Stimme von Jon Bon Jovi so überzeugend imitiere. Die zehnjährige (aber viel jünger wirkende) Vanilla (ebenfalls Finalistin) versteht sich aufs stimmlich und optisch Schmalzige sogar besser als Yvonne Catterfeld selbst und drückt dazu noch dem Juryoberhaupt eine rote Rose in die Hand.

Und die achtjährige Alysha (Finalistin) trug, wenn es nach Bohlen geht, in der letzten Sendung am vergangenen Freitag gar die "bessere Figur" als ihr Vorbild Beyoncé zur Schau. Der sonst so gerne pöbelnde "Pop-Titan" kriegt sich in dieser Sendestaffel kaum ein vor Begeisterung. Und Michelle Hunziker sagt zu einem Kind, was wohlgemerkt ein Kompliment sein sollte: "Wäre ich deine Mama, würde ich weinen." Das kann man auch anders verstehen.

Nun also auf die Kleinen. Nachdem die Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" im zehnten Jahr mit sinkender Quote und wachsender Langeweile zu kämpfen hat, weil die Geschichten rund um das Format auserzählt zu sein scheinen, alle denkbaren Klischees bedient, so genannte Skandale bis zum Versenken durchexerziert und wirklich herausragende Gesangstalente sowieso nie gefunden wurden, wird mit "DSDS Kids" seit drei Wochen versucht, noch den letzten jungen Fan und seine Familie vor Kamera und Bildschirm zu locken. Und sei es mit einem schmalzigen Schlager von Roy Black.

Ausnahmsweise werden die Kandidaten nicht vorgeführt

Was dabei neu und anders ist, nicht nur gegenüber der bisherigen "Superstar"-Suche, sondern auch gegenüber Marijke Amados "Mini Playback Show" aus den 90er Jahren: Die Kandidaten werden hier nicht vorgeführt. Immerhin.

Was stattdessen besonders eindrucksvoll vorgeführt wird, sind die Mechanismen, nach denen inzwischen halb Europa gecastet und zumindest partiell für die quotenrelevante Vermarktung durchoptimiert sein dürfte: die Rekrutierung und Zurschaustellung wehr- und ahnungsloser Opfer zur optimalen Verwertung in einer Show- und Verkaufs-Maschinerie.

Schon die erste Show war nur bei sehr oberflächlicher Betrachtung auf irgendeine Weise putzig. Die zehn "Kids", die hier ostentativ fröhlich und aufgedreht auf die Bühne sprangen, sind, bereits auf den zweiten Blick zu erkennen, streng nach genau den Kriterien ausgewählt und zurechtgestutzt worden, die schon beim Vorbild für "Erwachsene", also bei DSDS, seit Jahren immer deutlicher gelten: Es gibt in jeder Staffel bestimmte Rollen zu besetzen. Wer sie am besten erfüllt und darin bei Publikum und Jury die größte Gnade findet, "darf" weitermachen.

Auch hier also findet der geneigte Zuschauer wieder den drolligen Clown (am liebsten pummelig), die vermeintliche Schönheit (am besten blond, auf jeden Fall aber langhaarig), den optischen Exoten (am liebsten mit dunklem Teint, hier perfektioniert mit Irokesenschnitt), den Brillentragenden Nerd und das "süße Mädchen von nebenan" wieder. Wie schon in sämtlichen anderen Casting-Formaten dieser Art seit über einem Jahrzehnt die immer selben Typen auftauchen, modisch und optisch jeweils angepasst an den vermeintlichen Zeitgeist.

Berühmte Handbewegung und sinkende Quote

Woran man sich bei Jugendlichen und Erwachsenen aber längst gewöhnt hat, wird bei "DSDS Kids" zur Gruselshow. Weil es noch weiter von allem entfernt ist, was Kinder in diesem Alter eigentlich beschäftigen sollte.

RTL-Fernsehshow 'DSDS Kids'

Der elfjährige Timmy kannte schon zum Showauftakt von "DSDS Kids" alle Tricks. In der zweiten Sendung tauchte eine Kandidatin auf, die genauso aussieht wie er.

(Foto: dapd)

Ein Elfjähriger (Finalist), der im perfekt gestylten aber klinisch keimfreien 80er-Jahre-Punk-Look inklusive Lederjacke, Neonfarben, Nietenarmbändern plus ausrasierten Augenbrauen daherkommt und sämtliche zeitlosen wie aktuellen Pop- und Rockstar-Posen schon aus der Hüfte beherrscht: Mag sein, dass es so was auch in der freien Wildbahn hin und wieder gibt. In dieser konzentrierten Mischung mit der ebenfalls perfekt gestylten winzigen Model-Schönheit, dem kleinen Schmuserocker und den anderen eindeutig festgelegten Archetypen der modernen Showwelt ist das, obwohl die Einspielfilme noch so stark Authentizität vorgaukeln, einfach zu viel des Übertriebenen. Und wirkt, in dieser Konzentration, eher wie eine Freakshow als wie ein ausgelassener Kinderzirkus, auch wenn Macher, Moderator und Jury sich noch so sehr um den Eindruck von Lebendigkeit, Echtheit und Sorglosigkeit bemühen.

Und zu welcher Gelegenheit ist diesen Kindern eigentlich jene Handbewegung in Fleisch und Blut übergegangen, die schon bei Jugendlichen unerträglich ist, wenn sie jeder einzeln das Publikum möglichst eindringlich minutenlang und immer wieder dazu auffordern, dass es für sie als Einzelkandidaten anrufe, sprich: die Show mit finanzieren möge?

Wie quotenheischende kleine Roboter

Sieht man Menschen an anderen Stellen diese Handbewegung machen, dann sind es entweder in den 90er-Jahren stehengebliebene Rapper, die mitunter aus diesem Grund auf den großen Durchbruch noch warten, oder Menschen auf Tanzflächen, die mitunter aus diesem Grund ebenfalls vergeblich auf Zuspruch sinnen. Jene Geste, die mit gespreiztem kleinen Finger und Daumen ein Telefon am Ohr imitieren soll, sollte wegen ihrer ausgesprochenen Peinlichkeit eigentlich längst der Vergangenheit angehören.

Hier aber ist sie Zeichen für etwas schlimmeres als fehlendes Stilgefühl: Den Kindern wurde, ob nun vor der Sendung im Crash-Kurs oder durch jahrelanges Anschauen dieser schon ihr gesamtes Leben den Bildschirm füllenden Formate oder durch beides zusammen eingetrichtert, dass man im Fernsehen und in der Öffentlichkeit so zu agieren hat: Um Aufmerksamkeit ringend, sich gegenüber Konkurrenz platzierend und um das Wahrnehmen vermeintlicher Individualität buhlend, die in Wirklichkeit eine aufgestülpte und schon seit Jahrzehnten in Endlosschleife wiederholte Rolle ist.

Wie quotenheischende kleine Roboter lässt RTL die 4- bis 14-Jährigen auf die Bildschirme los, die da mit einer Begeisterung und Selbstverständlichkeit für den Sender und dessen Verkaufsmaschinerie werben, dass es geradezu bestürzend ist.

Klar, was das abseits des überdeutlichen Marketingkonzepts eigentliche Sendungskonzept sein soll: Ab und zu darf der Zuschauer staunen über eine Kinderstimme, die nicht wie eine Kinderstimme wirkt, sondern fast schon wie das Original. Klar aber auch, dass bei den wie immer bei DSDS bevorzugten Jungs zumindest die Stimme in diesem Alter noch keine sichere Bank für ein echtes Gesangstalent ist, denn der Stimmbruch steht ja allen Beteiligten noch bevor. Löblich sogar, dass es hier nach Äußerungen der Macher ausnahmsweise nicht darum gehe, einen neuen "Superstar" für die Weiterverwertungsmaschinerie zu finden. Der Sieger bekommt auch nur ein Preisgeld für die Schule. Und ein Ausbildungsstipendium.

Unbestritten ist auch, dass es noch unangebrachtere Vorbilder für Kinder geben kann als Yvonne Catterfeld, Jon Bon Jovi oder Roy Black. Und dass es noch größere Vortäuscher zweifelhafter Tatsachen gibt als, wie in diesen Beispielen, Imitatoren guten Gesanges oder musikalischer Singularität.

Der Sender kann also sagen: Wir haben alles richtig gemacht, die "Kids" fühlen sich bei uns wohl, sind fröhlich, können sogar Preise gewinnen, und wir machen uns diesmal, entgegen allen Erwartungen, noch nicht mal über sie lustig.

Kitsch und Gefallen-Wollen

Kritiker aber warnen davor, Kinder überhaupt als mediale Objekte zu vermarkten. Medienpädagoge Bernd Schorb etwa, Professor an der Uni Leipzig, sagte zuletzt in einem Interview, befragt zu dem neuen Format: "Castingshows können den Wunsch verstärken, sich zur Geltung zu bringen und auch öffentlich zu präsentieren." Kinder hätten ohnehin den Wunsch, wahrgenommen zu werden und Anerkennung für ihre Talente zu erfahren. Mit der Aufgabe, einzuschätzen, was es heiße, öffentlich zur Schau gestellt und vermarktet zu werden, seien sie jedoch überfordert. "Es ist gerade für Kinder nicht leicht, zu verkraften, öffentlich als Verlierer dargestellt zu werden."

Da kann Dieter Bohlen, ganz gegen seine Natur, noch so viel Süßholz raspeln: Es kann, wie jedes Kind inzwischen dank RTL, Sat 1 und ProSieben weiß, immer nur einer gewinnen.

Die Zuschauer jedenfalls quittieren so viel Kitsch und manipulativ designtes Gefallen-Wollen mit sinkender Quote. Obwohl sich zum Kinder-Casting mehr Kandidaten gemeldet haben (oder von ihren Erziehungsberechtigten angemeldet wurden) als zu jeder DSDS-Staffel zuvor, nämlich fast 40.000: In der zweiten Folge schalteten nur noch 2,83 Millionen Zuschauer ein, 770.000 weniger als beim ersten Mal. Die dritte Sendung sahen nur noch 2,66 Millionen. In der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen waren es nur 1,25 Millionen. Womöglich waren einige davon enttäuscht, dass Dieter Bohlen zu den Kindern so vergleichsweise freundlich ist. Das entspricht eben nicht seiner üblichen Rolle.

Wenn an diesem Freitag die vierte Folge über die Bühne geht, ist das Elend auch schon wieder vorbei: Es ist das Finale. Man hat sich für "DSDS Kids" sinnigerweise von Anfang an auf eine Ausstrahlung von nur vier Folgen geeinigt. Dass sich eine weitere Staffel anschließt, gilt wegen der schlechten Zuschauerzahlen als eher unwahrscheinlich. Die Show wurde ihrer schlechten und immer weiter sinkenden Quote in den Medien zuletzt als "Megaflop" bezeichnet.

Immerhin an dieser Stelle scheint die Quote einmal ausgesprochen nützlich zu sein.

DSDS Kids, Finale am Freitag, 25. Mai, 20.15 Uhr, RTL

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