"Geht es Ihnen auch so wie mir, dass Ihnen Angst und bange wird, wenn Sie ans Altwerden denken?", fragt Peter Hahne im Werbevideo für seine sonntägliche Talkrunde mit dem Thema "Pflegenotstand: Wohin mit Oma und Opa?". Der Mann ist vergangene Woche 58 Jahre alt geworden, und seit er die ZDF-Sendungen "heute" und "heute-journal" nicht mehr moderiert, scheint er einen zunehmenden Drang zum Sonntäglichen zu entwickeln: Neben seiner Kolumne in der Bild am Sonntag ist er seit diesem Sommer immer von 13 Uhr an für ein halbes Stündchen mit einer eigenen Talkshow im ZDF zu bewundern - sonntags. Dazu muss man wissen: Der Mann hat Theologie studiert. Das Wort zum Sonntag ist also seine eigentliche Berufung, eher als die ZDF-Sommerinterviews, die er als Stellvertreter des ZDF-Hauptstadtstudios Berlin mit führenden Politikern absolvierte.
Hahne macht das eigentlich recht gut. Ein bisschen zu viel Nicken, etwas zu viel Einvernehmen mit seinen Gästen - aber den krawalligen Polit-Talk, den besorgen seine jüngeren Kollegen ja schon des nachts.
Mit Ulla Schmidt von der SPD hat Hahne auch nur die ehemalige Bundesgesundheitsministerin eingeladen, um zu dem Thema Stellung zu beziehen. Die rote Ulla, der man ihre mittlerweile auch schon 61 Lenze wahrlich nicht ansieht, seit sie das Haar hellbraun trägt, lässt sich nicht lumpen und plaudert munter über das, was in der Pflege schon alles erreicht worden sei, seitdem sie acht Jahre lang dafür verantwortlich zeichnete, von 2001 bis 2009.
Ein kurzer Einspieler zeigt Gesundheitswissenschaftler Stefan Görres von der Uni Bremen: Er warnt davor, dass der "Tsunami" in der Pflege uns schon längst eingeholt habe. "Er wird nur interessanterweise unterschätzt."
Schmidt sieht das nicht so: Der bisher eher misslungene Pflege-TÜV sei ja nur ein Anfang, in fünf Jahren würde das schon viel besser klappen mit der Bewertung der Heime. Und außerdem würden zwei Drittel der Pflegebedürftigen sowieso zu Hause betreut.
Was das bedeutet, davon konnte der zweite Gast erzählen, ebenfalls vom Fach, also vom Fernsehen: Carola Ferstl ist Börsen-Expertin bei N-TV und hat neben ihrer Moderationstätigkeit fünf Jahre lang bei sich zu Hause ihre Oma gepflegt - bis zu deren Tod. Sie sagt, das habe damals gut mit ihrer Lebensplanung zusammengepasst, weil sie ohnehin dabei gewesen sei, sich und ihren Kindern ein Nest zu bauen, in das die Oma prima passte - und ihren Mann habe sie deshalb geheiratet, weil der sofort gesagt habe, dass die Oma nicht abgeschoben werden solle. Ein Pflegeheim hat sie trotzdem von innen kennengelernt, für ein paar Wochen, nachdem die Oma ihren Schlaganfall hatte. Ferstl kann gut nachvollziehen, dass man dorthin eigentlich nicht möchte, und Angehörige bisweilen Schwierigkeiten haben, ihre Auffassung von angemessener Pflege dort durchzusetzen.
Die Finanzexpertin weiß außerdem: Pflege kostet viel Geld - nicht nur im Heim, sondern auch zu Hause. Ohne eine "Hilfe", die sie zu Hause hatte, hätte sie ihre Kinder, den Job, den Mann und die Oma auch nicht auf die Reihe gekriegt.
"Es sind meistens die Frauen, die die Pflege übernehmen", weiß auch Ulla Schmidt schon aus ihrer eigenen Familie zu berichten. Und das ist der Punkt.
Die meisten Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt. Weil der Bedarf ständig steigt, schießen immer neue Pflegedienste wie Pilze aus dem Boden. Sie wissen: Hier ist viel Geld zu verdienen. Weil auf der anderen Seite aber ein erheblicher Mangel an ausgebildetem Pflegepersonal herrscht und in der Konkurrenz der Anbieter - genau wie in Heimen - an vielen Stellen Lohndumping stattfindet, müssen Angehörige die dadurch entstehenden fachlichen Mängel selbst ausgleichen. Und das sind vor allem die weiblichen Angehörigen.
"Diese Frauen gehen aber nicht auf die Straße, sondern sie müssen einfach weitermachen", sagt Carola Ferstl. Ulla Schmidt ist dagegen der Ansicht, dass die Pflegeversicherung eben immer nur eine Teilversicherung sei und nicht die vollen Pflegekosten übernehmen könne. Es müsse eben auch die Rente herangezogen werden, und wenn gar nichts mehr ginge, zahle ja das Sozialamt, das sei "das Schöne in Deutschland".
Das Problem ist nur: Das Sozialamt zahlt, teilweise auch sehr hohe Summen, aber nur für ausgebildete Pflegekräfte. Angehörige, die die Pflege zu Hause selber organisieren, weil sie womöglich ihre eigene Mutter oder den schwerkranken Opa nicht fremden Menschen überlassen wollen und die schwarzen Schafe in der Branche schon kennengelernt haben, gehören in diesem System zu den Benachteiligten.
So erhält etwa ein schwer Pflegebedürftiger der Pflegestufe 3 eine monatliche Unterstützung von der Pflegekasse in Höhe von mittlerweile 1510 Euro für die Inanspruchnahme eine Pflegedienstes. Übernimmt ein Angehöriger die Pflege, erhält er nur 685 Euro im Monat. So viel zur erklärten Absicht der Politik, die Pflege zu Hause zu stärken.
Dass trotzdem immer mehr Angehörige die Pflege zu Hause übernehmen, ist wohl eher nicht den "guten Rahmenbedingungen" zu verdanken, die Ulla Schmidt zu ihrer Zeit gemeint geschaffen zu haben, und die Philipp Rösler von der FDP als ihr Nachfolger im Bundesgesundheitsministerium mit seiner soeben verabschiedeten Gesundheitsreform gar nicht erst angegangen ist. Sondern der Tatsache, dass sie vor dem System rekapitulieren - und die Pflege ihrer Angehörigen zu ihrer reinen Privatsache machen.
Man muss sich schon gut auskennen, viel ausprobieren oder auch viel Glück und nicht wenig Geld haben, um sich selbst oder seine Angehörigen im Pflegefall einigermaßen unbeschadet durch den derzeitigen Pflege-Engpass zu manövrieren. Ulla Schmidt plädiert deshalb für Beratungsstellen, in der das teils vorhandene aber noch nicht vernetzte Know-How Bedürftigen im Notfall und später begleitend zur Seite steht, und pflegenden Angehörigen mehr Wertschätzung zukommen zu lassen - was auch immer das heißen mag. Das wäre schon mal ein guter Anfang. Aber wieso immer nur Anfänge und Stückwerk, wieso nicht endlich mal ein ausgereiftes Konzept zu einer, wie Peter Hahne richtig erkannt hat, der größten Herausforderung unserer Tage?
Die Themen Alter, Tod und Pflegebedürftigkeit scheinen den meisten Menschen so viel Angst zu machen, dass sie sich erst damit beschäftigen, wenn es nicht mehr anders geht - Verantwortliche und Politiker eingeschlossen. Auch reagiere die Gesellschaft, so Schmidt, nach wie vor positiver, wenn man sich mit Kindern in der Öffentlichkeit zeige, als mit Alten. Der Vorschlag von Angela Merkel jedenfalls, Arbeitslose in der Pflege einzusetzen, zeigt nur, wie wenig selbst die Regierungschefin von der Komplexität des Themas Pflege versteht, und wie in der Politik die Ansprüche der einen ("Recht auf Arbeit") gegen die Ansprüche der anderen (Recht auf menschenwürdige Pflege) gegeneinander ausgespielt werden.
Schön, dass wenigstens Peter Hahne und seine Gäste zu einem versöhnlichen Ende gefunden haben: Die Pflege der Eltern und Großeltern, so waren sich am Schluss alle einig, sei doch eigentlich eine Frage der Ehre, weil sie einen als Kind schließlich auch unterstützt haben. Und sie gebe auch dem Pflegenden sehr viel an "Seelischem" zurück. Das ist sehr wahr. Ändert aber nichts daran, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Unterstützungsmöglichkeiten weder für die Pflege in den Heimen noch für die Pflege zu Hause, ob mit oder ohne Pflegedienst, auch nur annähernd ausreichen. Der Tsunami ist längst da. Er hat nur noch die Politik noch nicht erreicht.
Und: Nicht jeder kann zur Aufbesserung seiner Rente eine eigene Talkshow leiten.