TV-Kritik: "Wetten, dass..?":Nicht mehr Herr im Haus

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Noch vor der ARD schmeißt sich das ZDF ans Privat-TV ran: Fast widerstandslos nahm beim Show-Klassiker aus Friedrichshafen Heidi Klum Thomas Gottschalk das Kommando ab

Rupert Sommer

Wachablösung auf High Heels: Alternde Schwerenöter sind nicht unbedingt eine Zier. Wenn sich ihre Selbstherrlichkeit nur noch aufs Sprücheklopfen stützt, dann fährt eine Frau wie Heidi Klum schnell mal die Krallen aus. Drei zähe Stunden lang versuchte die aktuelle "Wetten, dass..?"-Übertragung, die altbackene Illusion von Show-Normalität aufrecht zu erhalten - mit der nicht ganz unüblichen Mischung aus Kinder-, Tier-, Auto- und Sportwetten. Doch eigentlich ging es um viel Wichtigeres: Der Subtext zur Sendung war eine Fern-Wette, die innerhalb der deutschen Fernsehbranche auszutragen war. Und obwohl viel Testosteron im Spiel war, ist nicht das Quoten-Duell zwischen Gottschalk und Dieter Bohlen gemeint. Dessen Casting-Sendung war zeitgleich auf RTL zu sehen.

Wer ist hier der Boss? In Friedrichshafen empfingen "Wetten dass ...?"- Gastgeber Thomas Gottschalk (Mitte) und seine Komoderatorin Michelle Hunziker unter anderem Topmodel Heidi Klum (links). (Foto: Foto: Getty)

ProSieben kurzerhand ins ZDF ausgelagert

Die wagemutigere Wette lief entlang einer bislang nicht für möglich gehaltenen Frontlinie: Es galt zu klären, ob es das ZDF doch noch schaffen könnte, der ARD den zweifelhaften Rang abzulaufen, sich als erster öffentlich-rechtlicher Sender selbst kampflos einem Privatsender auszuliefern. Zur Erinnerung: Ab 2. Februar lässt sich die ARD ausgerechnet von ProSieben-Zampano Stefan Raab bei der Auswahl-Show "Unser Star für Oslo" den Takt vorgeben. Thomas Gottschalk hat nun aber überraschend die Supernase vorn: Seine Live-Sendung aus Friedrichshafen war die beste "Germany's Next Topmodel"-Ausgabe, die bislang außerhalb von ProSieben zu sehen war. Das Tragische dabei: Thommy wollte nur spielen, und die Regeln stellten die anderen auf.

Aber der Reihe nach: Wenigstens zu Sendungsbeginn, als das riesige Sofa noch so leer war, wie es dann auch später mit den vielen Promis von Jon Bon Jovi über Hillary Swank bis hin zu Oliver Welke leblos blieb, durfte sich der Routinier, der einfach nicht zuhören will, noch auf der sicheren Seite fühlen. Gockelhaft sonnte sich Gottschalk im Glanz von Michelle Hunziker und seinem ersten Gast Heidi Klum. Beide bat er gönnerhaft zum Erinnerungsfoto - und merkte gar nicht, dass er darin gar nicht mehr die Hauptattraktion sein würde. Um es kurz zu machen: Mit ihrer souveränen Natürlichkeit hat wenigstens in dem Show-Teil, den die Fans als "Wetten, dass..?" wieder erkennen konnte, Michelle Hunziker längst das Heft in der Hand. Spätestens seit ihrem vierten Einsatz möchte man sich eine Sendung ohne sie nicht mehr vorstellen. Wie einen großen Tanzbären führt sie Gottschalk seelenruhig von Wettkandidat zu Wettkandidat, half ihm, selbst verursachte Peinlichkeiten zu umschiffen und erinnerte zur Not auch per Zuruf daran, was als nächstes zu tun war. Und es gab genug Anlässe einzugreifen.

Doch auch Heidi Klum sorgte für eine Überraschung: Auf halber Strecke beschloss sie, sich nicht länger patronisieren zu lassen - und verwandelte "Wetten, dass..?" in eine Motto-Modelshow. Gottschalk machte es Klum aber auch sehr schwer, die Ruhe zu bewahren. Oder verkennt man den rustikalen Reiz von Ho-Ho-Ho-Sprüche wie "Da lass ich doch lieber einen Ferrari draufgehen, als dass Heide eine Delle bekommt" vorschnell? Über Mager-Models witzelt er ebenso rücksichtslos wie über den Vornamen der jüngsten Klum-Tochter. Einen Einspielfilm mit "Hungerhaken" (O-Ton Gottschalk) ersparte die Regie den Zuschauern. Dumm nur, dass der Moderator offenbar fest damit gerechnet hatte und konsterniert wirkte. Zu Klums Ehemann fiel ihm nur leicht Schlüpfriges ein: "Ich gönn ihn dir", sagte Gottschalk.

Doch es ging gröber: die Unterstellung, sie befinde sich auf Diät, wollte die Model-Expertin nicht unkommentiert stehen lassen - und protestierte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt stand für Heidi Klum die Entscheidung fest: Sie würde die Chance nutzen, und "Wetten, dass..?" unterwandern. Unterstützt von ihrem künftigen Co-Juror "Q" funktionierte sie die Stadtwette, bei der Gottschalk eine Topmodel-Kandidatin aus dem Umkreis der Bodenseegemeinde suchen wollte, kurzerhand zu einer anständigen ProSieben-Show um. Und angelte sich zum Schluss eine junge Kandidatin, mit der sie weiterarbeiten möchte.

Wer ist eigentlich Tim Kaulitz?

Festzuhalten bleibt: Wettkönig Phillip Auerswald, der auf Schlittschuhen durch einen Eiskanal flitzte und dabei eine Überraschungseier-Figur zusammensetzte, hat für die ProSieben-Sendung "Schlag den Raab" neue Standards gesetzt. Und die Schweizer Kaninchen, die Hubert Bucher beim Streicheln blind erkennen sollte, waren süß - auch wenn die Wette daneben ging. Wer künftig Zwischenfälle wie Simone Thomallas Playboy-Fotos, ausgestrahlt noch vor 22:00 Uhr im ZDF, vermeiden möchte, der sollte Michelle Hunziker moderieren lassen. Dann müsste auch ein an diesem Samstag sträflich vernachlässigter Hollywood-Stargast wie Hilary Swank nicht so erkennbar leiden - und das übrigens in Großaufnahme. Die etwas jüngeren Fans, die man beim ZDF angeblich ebenso schätzt wie bei den Privatsendern, werden sich noch lange fragen, welchen deutschen Sänger Gottschalk mit "Tim Kaulitz" eigentlich meinte. Michelle, übernehmen Sie!

PS: Dank Klums Hilfe konnte sich "Wetten, dass..?" auch an der Quotenfront behaupten. Vor 10,74 Millionen Zuschauern machte Thomas Gottschalk die Schmach der Vorweihnachtsshow wieder weg, als seine Sendung auf den Tiefsstand von 8,94 Millionen Fans abgerutscht war. Dieter Bohlens "Deutschland sucht den Superstar" lockte auf RTL diesmal 5,46 Millionen Zuschauer ab drei Jahren an und musste sich auch bei den 14- bis 49-Jährigen mit 3,49 Millionen gegenüber 3,60 Millionen jüngeren "Wetten, dass..?"-Anhängern geschlagen geben.

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