Steinbach bei Maybrit Illner:Die Kobra und der Teufel

Ein bisschen Rückzug - und viel neue Kritik: Vertriebenen-Chefin Steinbach rechtfertigt ihre Attacke auf Polens Deutschland-Beauftragten Bartoszewski mit "persönlichen Erfahrungen".

Hannah Beitzer

Richtig gut stehen die Parteien gerade nicht da: Die Koalition leidet unter Atomkompromiss, Stuttgart 21, Hotelsteuer, Guido Westerwelle und seit kurzem auch wieder unter Erika Steinbach. Die SPD schlägt sich mit Thilo Sarrazin herum und profitiert ansonsten ein bisschen davon, dass die Umfragewerte der Regierung sinken. Die Linke quält sich mit ihrem Vorsitzenden Klaus Ernst und seinem ungeklärten Verhältnis zum Luxus. Lediglich die Grünen erleben in Umfragen einen regen Zulauf - was ihnen aber selber gar nicht so geheuer ist. Es liegt also nahe, dass Maybrit Illner in eine Runde altbekannter Gesichter fragt: Protestlust und Parteienfrust - vertreten die Politiker noch das Volk?

Erika Steinbach

Im Ton vergriffen, aber in der Sache beharrlich: Bei "Maybrit Illner" im ZDF hat Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach ihre heftig kritisierten Äußerungen über den polnischen Deutschland-Beauftragten Wladyslaw Bartoszewski verteidigt.

(Foto: AFP)

Trotz des aktuellen Anlasses ist das beileibe kein neues Thema. Das dachten sich wohl auch Illners Gäste: Vertriebenen-Chefin Erika Steinbach, Heiner Geißler, ehemaliger CDU-Generalsekretär und Attac-Mitglied, Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises der SPD, der scheidende Focus-Chefredakteur Helmut Markwort sowie die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn. Und alle reden munter eine Dreiviertelstunde am Thema vorbei.

Der nächste Biss

Wobei es natürlich interessant ist, was Erika Steinbach zu ihrem neuerlichen Eklat zu sagen hat. Politiker aller Parteien hatten sich über die Chef-Provokateurin des Vertriebenenverbandes empört, weil die CDU-Frau dem polnischen Deutschland-Beauftragten Wladyslaw Bartoszewski einen "schlechten Charakter" unterstellt hatte.

Der Grünen-Politiker Volker Beck hatte Steinbach daraufhin als giftige "Kobra" bezeichnet. Bei Illner windet sich Steinbach nun und weicht wenige Millimeter zurück - um direkt wieder zuzubeißen.

"Dass ich mich gegenüber einem 88-jährigen alten Herrn etwas freundlicher hätte ausdrücken können, will ich unumwunden einräumen", sagt Steinbach in der Sendung. Eingeständnis eines Fehlers? Wenn, dann halbgar. Denn grundsätzlich bleibt sie bei ihrer Kritik. Die Einschätzung, der Auschwitz-Überlebende Bartoszewski habe einen "schlechten Charakter", beruhe auf "sehr persönlichen Erfahrungen".

Große Portion Selbstmitleid

Immerhin sei sie seit ihrem Amtsantritt als Vertriebenenfunktionärin vor zwölf Jahren "schwersten Attacken" aus Polen ausgesetzt gewesen. Als "blonde Bestie" habe man sie dort beschimpft und Puppen mit ihrem Antlitz verbrannt, klagt Steinbach. In Deutschland habe es niemanden gegeben, der sie dagegen in Schutz genommen habe. Eine große Portion Selbstmitleid reicht der Vertriebenen-Lobbyistin als Grund, die deutsch-polnischen Beziehungen zu belasten. Erneut zu belasten. Mit ihrer Person.

Es ficht Steinbach nicht an, dass sich selbst Kanzlerin und Parteifreundin Angela Merkel in die Debatte eingeschaltet und ihre Hochachtung für Bartoszewski ausgedrückt hatte. Auch der liberale Außenminister Guido Westerwelle beeilte sich, die Verdienste seines früheren Amtskollegen zu würdigen.

Die Opposition schäumte und forderte die Kanzlerin auf, endlich Konsequenzen zu ziehen - schließlich war es bereits der zweite Steinbach-Eklat binnen weniger Tage. Vor ihrer Attacke auf Bartoszewski hatte sie mit Äußerungen über die polnische Mobilmachung im Jahr 1939 provoziert - und nach harscher Kritik an ihrer These ihren Rückzug aus dem CDU-Parteivorstand angekündigt.

"Eine Schande, ein Skandal"

Bei Maybrit Illner bekommt Steinbach für ihre Sicht auf die deutsche Geschichte eine Breitseite eines Parteikollegen. "Eine Schande, ein Skandal" seien die Äußerungen Steinbachs, ereifert sich der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler. Angesichts der schrecklichen Bilanz des von den Nazis begonnenen Krieges von der Mobilmachung der Polen zu reden, sei für ein CDU-Mitglied "nicht tragbar".

Es ist ein seltener Ausbruch Geißlers, der ansonsten gewohnt altersweise daherkommt. Er erzählt versonnen ein bisschen aus seinem Leben. Ach, wie war das toll, als er gemeinsam mit der Rita Süssmuth für das Einwanderungsgesetz der rot-grünen Koalition gestimmt hat. Von wegen, in der CDU gebe es keine Meinungsfeiheit! Allerdings auch kein Wort davon, dass er in seiner Zeit als aktiver Politiker und Generalsekretär selbst als Wadenbeißer bekannt wurde und gern schwarz-weiß malte.

Journalist Markwort funkt dazwischen. Er spricht aus, was man vor dem Bildschirm schon seit mindestens einer Viertelstunde denkt: "Diese Debatte ist doch wirklich die überflüssigste der Welt. Muss jetzt hier jeder sagen, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist: Hitler ist der böse Teufel?" Schließlich sei man da, um über etwas anderes zu reden: über den Parteienfrust nämlich und seinetwegen auch über Integration, wenn man schon dabei ist.

Auf der nächsten Seite: Steinbach sieht überall Denkverbote, ein Nichtwähler redet im FDP-Jargon und Markwort hält Politiker und Parteien für zu peinlich.

Mit der Bahncard in den Brennpunkt

Damit hat er allerdings - womöglich unbeabsichtigt - ein weiteres Fass aufgemacht, die Runde labt sich genüsslich an dem neuen Thema: Thilo Sarrazin und der bevorstehenden Parteiausschluss. "Muss man denn so jemanden zum Märtyrer machen?" fragt der konservative SPD-Mann Johannes Kahrs. "Müssen wir wirklich schon wieder über Sarrazin reden?" fragt sich unweigerlich der Zuschauer. Eigentlich sollte es doch mal um die Interessen der Wähler gehen.

Bärbel Höhn ist "froh, dass Sarrazin nicht bei den Grünen ist". Aha. Für Erika Steinbach ist der Fall klar: Denkverbote. Überall. Gegen Sarrazin. Und überhaupt. Und natürlich gegen sie.

Höhns einziger Auftritt

Dann kommt wieder Helmut Markwort, der sich anscheinend als Einziger auf das Thema des Abends konzentriert: die Politikverdrossenheit und ihre Gründe. "Politiker fahren nicht U-Bahn, sie gehen nicht in Brennpunktschulen", behauptet er. Berechtigte Frage von Maybrit Illner: "Wie oft sind denn Chefredakteure in Brennpunktschulen?" "Ich habe eine Bahncard", ruft Markwort entrüstet, "mit der bin ich in der Bahn. Und in der U-Bahn."

"In die U-Bahn kommt man mit der Bahncard gar nicht rein", kreischt Bärbel Höhn - ihr erster und einziger großer Auftritt an diesem Abend.

Ein Tumult entsteht, was auch endlich Heiner Geißler zurück in die Gegenwart befördert. "Wir reden am Thema vorbei", konstatiert er. Der in der Tat schon recht politikverdrossene und zunehmend protestlustige Zuschauer auf der Couch klatscht Beifall. Alle Parteien, auch seine eigene, hätten das Problem der Zuwanderung verschleppt, meint Geißler. Deswegen fühle sich der Bürger von ihnen nicht mehr vertreten.

Zielstrebig vom Thema weg

Seine Diskussionspartner reagieren mit Schuldzuweisungen à la "Welche Partei hat sich die größten Versäumnisse in der Zuwanderungspolitik zuschulden kommen lassen?" und "Wer hat die meiste Zeit in Brennpunktschulen verbracht?". Sie bewegen sich damit wieder zielstrebig weg vom eigentlichen Thema: dem Frust der Wähler.

Maybrit Illner entscheidet, dass es gegen Ende der Sendung doch einmal Zeit ist, einen frustrierten Bürger selbst zu Wort kommen zu lassen. Der ehemalige FDP-Politiker Stefan Grüll, inzwischen parteilos und bekennender Nichtwähler, redet im Jargon seiner Partei eine Weile von Anreizsystemen, Quantität, Qualität und Wettstreit.

Dann sagt er noch etwas Schlaues: "Der Wähler hat in unserem System das Recht zu wählen. Aber die Parteien keinesfalls ein naturgegebenes Recht, gewählt zu werden." Grüll schlägt vor, die Höhe der Wahlkampfzuschüsse in Zukunft an die Wahlbeteiligung zu knüpfen: "Was glauben Sie, was das für ein Kreativpotential bei den Parteien freisetzt?"

"Die tarnen sich"

Schade, dass nur mehr zehn Minuten Diskussionszeit bleiben. Und da fällt Illner auch noch ein, dass es ja eigentlich in ihrer Sendung um die Gefahr einer Protestpartei gehen soll und fragt die Chancen einer solchen Partei reihum bei ihren Gästen ab - links, rechts, konservativ oder gar rechtsradikal - da unterscheidet im folgenden Statement-Feuer keiner mehr wirklich. Immerhin sind sich alle einig, dass Rechtspopulismus in Deutschland keine Chance hat. Und eine andere Protestpartei eigentlich auch nicht.

"Eine Partei zu gründen ist teuer und organisatorisch schwer. Die Partei der Nichtwähler wird immer größer werden", sagt Helmut Markwort, "die tarnen sich dann hinter Bürgerinitiativen und Wählergemeinschaften." Der Grund: Die Parteien und ihre Politiker seien den potentiellen Wählern peinlich. Ein Urteil, das man nach diesem Fernseherlebnis in einem ganz anderen Licht sieht.

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