TV-Kritik: Sommerinterviews:Die Leiden des jungen Vizekanzlers

Während man für Kanzlerin Merkel den roten Teppich ausrollt, wird Guido Westerwelle mit schlechten Umfrageergebnissen gepiesackt. Doch das ist nicht das einzige Problem, mit dem der FDP-Chef vor der Kamera zu kämpfen hat.

Susanne Klaiber

Guido Westerwelle kann dem Zuschauer fast leidtun am Sonntagabend: Im ZDF-Sommerinterview stochert Journalist Peter Hahne ausgiebig und breit grinsend in der vielleicht größten Wunde des Parteichefs, Vizekanzlers und Außenministers - es geht um die miserablen Umfragewerte der FDP. Sie hatte bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr noch 14,6 Prozent bekommen und hätte Umfragen zufolge nun Mühe, die Fünfprozenthürde zu nehmen.

German Chancellor Merkel and Vice Chancellor and Foreign Minister Westerwelle hold a news conference in Berlin

Große Dialoge, kleiner Inhalt: Vizekanzler Guido Westerwelle und Kanzlerin Angela Merkel gaben sich in den Sommerinterviews die Ehre.

(Foto: Reuters)

So gesehen müsste sich Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel - im Sommerinterview im Ersten - ebenfalls hartnäckige Fragen gefallen lassen, schließlich ist unter ihrer Führung die Regierungskoalition in den Augen der Wähler rasanter abgestiegen als jede andere zuvor - und das, obwohl die Wirtschaft trotz Krise wieder anzieht. Doch für Angela Merkel rollen beim Sommerinterview in der ARD Ulrich Deppendorf und Rainald Becker den roten Teppich aus.

Im Vorspann klingt das noch anders, da stellt die ARD sie vor als "die Frau, die seit fast einem Jahr versucht, die Streithähne in ihrer schwarz-gelben Wunschkoalition zu bändigen". Doch dann lassen die Journalisten es nach einer höflichen Nachfrage durchgehen, dass Angela Merkel kurz lieb lächelt und sagt, man müsse den Bürgern künftig genauer erklären, wie die Politik zu ihren Entscheidungen komme.

Dabei scheint es, als hätten im vergangenen Jahr die Wähler genauer als sonst mitbekommen, was hinter den Kulissen läuft. Schließlich wurde nicht in jeder Regierungskoalition schon zu Beginn der Legislaturperiode so offen geschimpft wie in dieser.

Im ZDF schlägt Guido Westerwelle seinerseits vor, die Lage durch mehr Reden zu verbessern, durch Reden über die Erfolge. Aber noch bevor er auch nur eine Handvoll davon aufzählen kann, erinnert ihn Hahne daran, dass selbst Leute aus der eigenen Partei nicht glauben, dass das reicht, sondern dass Westerwelle den FDP-Vorsitz aufgeben muss. Das will Westerwelle nicht. Aber den anderen im Interview den Mund verbieten und damit das Problem öffentlich zugeben, will er auch nicht.

"Das ist nur menschlich"

Westerwelle möchte stattdessen endlich aufhören, über Umfragen zu reden. "In Deutschland zählen immer noch Wahlen", sagt er. "In den letzten Interviews fanden Sie es ganz toll, über Umfragen zu reden", stichelt Hahne, weil seine Partei da noch oben gewesen sei. Da sagt Westerwelle etwas, das sympathisch und souverän wirken könnte, doch er klingt dabei äußerst frostig: "Da gebe ich Ihnen ohne weiteres recht. Das ist nur menschlich."

Das ist der große Unterschied zwischen Westerwelle und Merkel: Er zeigt seinen Ärger offen, wenn er provoziert wird. Am Sonntagabend fällt das umso mehr auf, als Peter Hahne beim Piesacken in Westerwelles Heimatstadt Bonn seine geradezu unerträglich gute Laune zur Schau trägt. Es wirkt wie eine Parodie auf Westerwelles früheres Dauergrinsen. Merkel dagegen lächelt hin und wieder fein über die Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses in Berlin und zeigt sonst ihr Pokerface.

"Ich bin ja ‘n emsiger Typ"

In dem, was sie in den Interviews sagen, liegen Merkel und Westerwelle allerdings nicht so weit auseinander. So könnten sich beide eine Aussetzung der Wehrpflicht vorstellen und lehnen einen Pflichtdienst für Frauen oder Heimatschutzdienst ab. "Ein Eingriff in die Freiheit des Einzelnen muss mit einer Notsituation in der Gesellschaft begründet werden", sagt Merkel, außerdem will sie wie Westerwelle lieber bestehende Freiwilligendienste fördern. Engagierte junge Leute könnten zum Beispiel dadurch Vorteile bei bestimmten Studiengängen bekommen, sagt Merkel.

Auch bei der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke sind sich die Kanzlerin und ihr Stellvertreter einig - zehn bis 15 Jahre. Merkel will außerdem von den Konzernen noch einen Beitrag für die Förderung erneuerbarer Energien - Höhe offen. Als Deppendorf die Kanzlerin darauf anspricht, dass SPD-Chef Sigmar Gabriel ihre Verhandlungen als "Ablasshandel" bezeichnet, sagt sie nur kühl, Gabriel solle "seine Worte gut wägen".

Natürlich gibt es auch Themen, bei denen sich Merkel und Westerwelle so gar nicht einig sind. Aber wie schon bei den Interviews am vergangenen Sonntag, für das Westerwelle in der ARD und Merkel im ZDF zu Gast waren, versuchen sie trotzdem, dem anderen nicht in die Parade zu fahren. Hahne will zum Beispiel wissen, warum sich Westerwelle hat so "abmerkeln" lassen, als er nach der Sommerpause wieder das Thema Steuersenkungen angesprochen habe.

Da erklärt Westerwelle schlicht, das stimme gar nicht. Außerdem habe die FDP ihr Wahlversprechen mit dem neuen Steuergesetz vom Januar "zu ganz wesentlichen Teilen" erfüllt und nach der großen Finanzkrise hätten sich die Prioritäten verändert. An erster Stelle stehe jetzt die Konsolidierung des Haushalts. Wenn da noch etwas übrig bleibe, wolle er etwas für die Mittelschicht tun, für die, "die den Karren ziehen". Bis dahin will Westerwelle an Steuervereinfachungen basteln.

Trotz der nur mühsam überspielten Differenzen wollen weder Merkel noch Westerwelle öffentlich zweifeln an ihrem Regierungspartner. Sie wissen, das wäre ein fatales Signal. Und so betont jeder lieber, dass er noch viel vorhat in der Politik. "Es darf noch ein paar geben, die in meinem Alter weitermachen", sagt Westerwelle, "ich habe keinerlei Gelüste, aus der Politik auszuscheiden." Und Merkel antwortet auf die Frage, wann sie in Rente gehe: "Hoffentlich nicht so bald. Ich bin ja 'n emsiger Typ."

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