Es wird Herbst. Viele Berichterstatter sind erleichtert. Sie dürfen nun vielleicht auf eine Verschnaufpause hoffen von den kritischen "Relevanz gleich Null"- und "Sommerloch!"-Sticheleien ihrer Leser, denn endlich gibt es wieder konsensstiftende Themen von nationalem Interesse.
Zum Beispiel den Saisonstart von "Schlag den Raab": Seit Mai mussten Fans und Journalisten auf das episch breite Spektakel mit dem ebenso breit grinsenden Entertainer verzichten und die Sommerpause mit ihrem Programm wie Regen ertragen: Myriaden an Wiederholungen, tröpfelnd ohne Unterlass. Ein "Schlag den Raab"-Fan kommentiert auf Facebook die Rückkehr seiner Lieblingsendung: "Das wird mit einer saftigen Pizza gefeiert!"
Auch Raab scheint nach vier langen Monaten seine Rückkehr in die SDR-Arena ersehnt zu haben. Zwar ist er schon seit einigen Wochen wieder in seinem Late-Night-Format "tv total" zu sehen, doch das Alleinstellungsmerkmal des Moderators, der auch als Unternehmer und Musikproduzent tätig ist, sind seine spektakulären Ganzkörpereinsätze.
Wo sonst bekommt man Vergleichbares zu sehen? Männer (ok, manchmal auch Frauen), die auf Spielzeugaffen starren, sich auf einen Mini-Sockel quetschen und mit dem Gesicht bremsen. "Weißt du noch, wie sich Schmerzen anfühlen", fragt Moderator Matthias Opdenhövel Stefan Raab. Im April hatte der sich während der Sendung, beim Sturz vom Mountainbike, eine Gehirnerschütterung zugezogen. In der 24. Ausgabe der Sendung geht es nun um das Vermeidung dauerhafter Schäden und die Gewinnsumme von einer Million Euro. "Ich bin froh, dass es wieder losgeht", sagt Raab. Außerdem sei er noch ein paar Gramm von seinem Traumgewicht entfernt.
Mit keinem Tausendstel Gramm zu viel scheinen Raabs Herausforderer zu kämpfen haben. Wie immer haben sich fünf windschnittige Athleten mit strandtauglicher Figur eingefunden. Jeder von ihnen sieht aus wie der wahr gewordene Alptraum eines Fitness-, Karriere oder Ernährungscoachs, denn die wären arbeitslos, wenn jeder in Deutschland so aussähe. Allein Kandidat Reno aus Berlin, Pantoffelmacher in vierter Generation, bringt einen Hauch Skurrilität ins Studio - leider wird er vom Publikum nicht gewählt.
Kategorie "Meister Proper"
Zum Herausforderer wird Thorsten gekürt, 28-jähriger Gymnasiallehrer für Sport und Erdkunde aus Heidenheim, konzentriert, aufgeräumt, auch äußerlich in die Kategorie "Meister Proper" fallend. Vielleicht ist es aber auch sein Titel als Rekordhalter im Dauer-Wasserrutschen, der den Anrufern imponiert. Er betont gleich zweimal, dass er beim unermüdlichen Treppensteigen für den Wasserrutschen-Rekord theoretisch den Mount Everest bestiegen hat. Es ist eben bei SDR wie beim Bewerbungs-Casting: Wer kräftig mit Kenntnissen in Tamilisch oder Buzkashi protzt, irgendeinen Weltrekord, und sei es im 24-Stunden-Nägelkauen, vorzuweisen hat, suggeriert Ausdauer und Draufgängertum. Auch wenn er vielleicht bereits verbeamtet ist.
Nach den ersten Spielen steht es unentschieden, Thorsten erweist sich als Gegner, der Raab das Wasser reichen kann. Beim Spiel "Bachlaufen" etwa, bei denen die Kandidaten mithilfe zweier Baumstämme eine gewisse Distanz überwinden müssen ohne den Boden zu berühren, geht er mit Detailfragen zu den Regeln und möglichen Alternativtechniken - normalerweise Raabs Spezialität - Opdenhövel auf die Nerven. Was letzten Endes allerdings doch nichts nützt, da dieses Spiel Raab entscheidet.
Seinen kühlen Kopf kann Thorsten hingegen bei Disziplinen wie "Memory" oder "Blamieren oder Kassieren" unter Beweis stellen und Punkte für sich einheimsen. Auch sportlich beeindruckt Thorsten: Beim Spiel "Ball hoch halten" legt er ein überragendes Kopfball-Solo hin und besiegt Raab. Gegen 22.30 Uhr liegt der Heidenheimer klar in Führung. Gerade als man beginnt, sich leicht zu langweilen, kommt die berüchtigte Motorsport-Challenge, Raabs nahezu unantastbare Domäne - und tatsächlich holt er wieder auf.
Latent macht sich trotzdem eine gewisse Unzufriedenheit breit. Ist das die Tatsache, dass der ambitionierte Kandidat, der zwar spieltechnisch fast alles richtig macht, trotzdem etwas farblos bleibt? Und uns empfindlich an den Klassenstreber von früher erinnert? Freilich kann man auch als Zuschauer aktiv werden, um aufkeimenden Verdruss zu unterdrücken. Mit dem lustigen Spiel "Finde das Produkt" zum Beispiel. Seit einigen Sendungen macht uns nach Werbepausen ein kleines eingeblendetes P dezent darauf aufmerksam, dass die Sendung "unterstützt durch Produktplatzierungen" ist, zusätzlich zu den üblichen Produktwerbungen bei den Gewinnspielen.
Als die Band Juli gegen 0.15 die Bühne betritt, liegt Thorsten weit in Führung. Nur beim "Pflaumenkuchen backen", wo die Zutaten des Rezepts ohne Waage abgeschätzt werden mussten, hatte der ehemalige Metzgerlehrling Raab das bessere Händchen.
Endlos in die Länge zieht sich das Spiel "Bücher tragen": Wer schafft es, die meisten Bücher waagrecht zu stemmen und über eine kurze Distanz zu transportieren? Letzten Endes siegen in dieser Disziplin Thorsten und sein Waschbrettbauch gegen Raab und dessen Plautze - letztere stellt mit zunehmender Bücherlast ein logistisches Hindernis dar. Bis es dazu kommt, hätte man jedoch locker mal ein Sonett auswendig lernen können. Und sich in jedem Fall besser unterhalten. Falls der Börsenverein des deutschen Buchhandels hier ein Produktplacement lanciert haben sollte, um Pro7-Zuschauern das Produkt Buch spielerisch nahezubringen, ist der Schuss nach hinten losgegangen.
Spannung kommt nochmal zum Schluss auf, als Raab zwei Matchspiele gegen den in Führung liegenden Thorsten gewinnt. Die Entscheidung fällt erst beim finalen 15. Spiel, an diesem Abend: "Millionenwurf", eine Art Basketball-Zielwerfen aus unterschiedlichen Distanzen zum Korb. Gegen 1.35 Uhr siegt schließlich ein abgekämpfter Gymnasiallehrer, der zu keinerlei Jubel mehr fähig ist. Er trifft aus über zehn Metern Entfernung den Korb, bevor er scheinbar emotionslos zusammenklappt. Für Freudentränen zeigt sich in diesem Fall die verständnisvolle Freundin zuständig.
Dauer-Wasserrutscher Thorsten hat am Ende nicht nur eine Million Euro gewonnen, sondern auch einen Rekord gebrochen: Es war wohl die bislang längste SDR-Show - leider in weiten Strecken aber auch die fadeste.