TV-Kritik "Rundshow":Interaktiv und ambitioniert

Skype-Botschaften aus Lissabon, Videos aus Madrid und Kommentare live aus dem Netz. Richard Gutjahr und Daniel Fiene demonstrieren in ihrer "Rundshow", wie Fernsehen künftig funktionieren kann. Ein gewagtes Experiment für einen öffentlich-rechtlichen Sender wie den BR. Aber das Konzept der beiden Blogger ist vielversprechend.

Carolin Gasteiger

Zeiten, in denen Talkshowgäste bereits live aus der Sendung twittern und der bayerische Ministerpräsident via Facebook zur Partei-Party einlädt, Zeiten, in denen Tatort-Zuschauer im Internet nach dem Mörder suchen können, verlangen nach mehr - nach mehr Interaktivität. Auch im Fernsehen.

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Die Social-Media-Sendung Rundshow mit Moderator Richard Gutjahr ist ein Experiment.

(Foto: Theresa Högner)

Längst lassen sich die Zuschauer nicht mehr nur vom TV-Programm berieseln, sondern tauschen sich parallel zur Ausstrahlung mit Freunden, Bekannten und anderen Usern über das soeben Gesehene aus - im Web. Wie findet ihr den Politiker? Oder: Wisst ihr schon, wer der Mörder ist? Die Zuschauer werden aktiv, interaktiv.

Mit der Rundshow versucht der Bayerische Rundfunk sich dieses interaktiven Potentials zu bedienen. In dem interaktiven Experiment um die beiden Blogger Richard Gutjahr und Daniel Fiene können die Zuschauer aus dem Netz das Programm mitgestalten und live in die Sendung geschaltet werden: per E-Mail, via Twitter, Facebook, Skype und Google Hangout, also per Videokonferenz.

Sogar eine eigene App namens "Die Macht" spendierte der Sender, mittels der Smartphone-Besitzer abstimmen, Bilder und Videos hochladen oder die Sendung kommentieren können. So wollen die Macher Web und TV zusammenbringen. Vier Wochen lang soll die Rundshow laufen, ohne feste Sendezeit und ohne Quotendruck. Ein gewagtes Experiment für einen öffentlich-rechtlichen Sender.

Aber hatte nicht Das Erste jüngst ein ähnliches Konzept lanciert? Mit einem ungleich prominenteren Zugpferd? Konzeptionell war Gottschalk Live im Ersten so falsch nicht. Nur stammt Gottschalk eben aus einer älteren Generation als die der Twitterer. Mit Gutjahr und Fiene hingegen gehen zwei an den Start, die sich in der Bloggerwelt auskennen und für die Hashtag oder Hangout kein Hasch-Tag oder Filme über Junggesellenabschiede sind.

Und weiter zum nächsten Hangout-Teilnehmer

Als Schwerpunkt der Premierensendung am Montagabend haben sich die Macher die Proteste in Europa ausgesucht, die am 15. Mai vorigen Jahres losgingen, und diese via sendungseigener App zur Diskussion gestellt. Wie man das halt so macht: tweeten, posten, chatten. Sogar die Redaktionskonferenz wurde per Livestream über die Sendungshomepage und Facebook in die digitale Welt übertragen, aus der User ihre Meinung beitragen oder auf spannende Interviewpartner hinweisen können. Journalistische Transparenz 2.0 - zusehen macht Spaß.

Auch wenn sich mit Gutjahr und Fiene ein Münchner und ein Düsseldorfer in der Show gegenübersitzen - "NRW-Wahl machen wir nicht", betonen sie zu Beginn. Und damit ist es dann tatsächlich mit tagesaktuellen Themen getan. Stattdessen wollen sie sich webaffinem Protest widmen.

Und so kommt es, dass Olmo Galvez in einem Video den Jahrestag der Proteste zeigt ("Wir feiern eine große Party") und Carlos, der deutsch spricht und in der Nähe von Madrid sitzt, erklärt, warum er überhaupt auf die Straße geht: "Weil die politische und wirtschaftliche Lage in Spanien schlecht ist und es darum geht, dass die Entscheidung von Politik und Wirtschaft nur mit den Märkten zu tun hat."

Im Hintergrund ist das Klicken der Tastatur zu hören. Ohne technische Probleme geht es weiter zum nächsten Hangout-Teilnehmer, zu Elena nach Athen. "Das griechische Volk ist verwirrt, weil keine Regierung gebildet worden ist."

Was die Hangout-Teilnehmer mitteilen, mag wenig überraschend sein und die Bild- und Tonqualität der Videochat-Dienste lässt zu wünschen übrig - doch vermitteln die Beiträge in Summe ein angenehm subjektives Bild der Lage in den Protestländern. Und ein auffallend interaktives. Sogleich wird der Kommentar von Joachim eingeblendet. "Finde die Stellungnahmen im Hangout sehr gut."

Häufige Wechsel, wenig Vertiefung

Schade nur, dass es den Moderatoren in der knappen Sendezeit kaum gelingt, nachzuhaken - zum Beispiel bei Eleni, die aus Griechenland mittlerweile nach Deutschland gekommen ist, um hier vielleicht endlich Arbeit zu finden.

Von der Videoleinwand in der linken Studioecke blicken immer noch die soeben interviewten Demonstranten aus Spanien herunter, schon holen sich Gutjahr und Fiene "professionellen Rat" vom Bildschirm hinter ihnen. Da wartet, dieses Mal per Skype zugeschaltet, die Soziologin Britta Baumgarten aus Lissabon.

Sie erklärt - mit konstantem Knacken im Hintergrund -, dass sich auf der Ebene der Organisation der Zivilgesellschaft einiges getan habe, dass das Interesse an der Politik in der Bevölkerung gewachsen sei. Doch kaum hat sich der Zuschauer auf Baumgarten eingestellt, wird zum Stargast der Sendung geschwenkt.

Mit Stéphane Hessel, dem 94-jährigen Autor des Revolutionsbestsellers Empört Euch! hat Gutjahr bereits nachmittags per Skype ein Videointerview geführt. Hessel schildert Gutjahr auf einem abgefilmten Tablet-Bildschirm, dass die Proteste in den Krisenländern Europas kaum Fortschritte gebracht hätten. Undeutliches Murmeln im Hintergrund, die Tonqualität ist schlecht.

Warum Deutschland dafür nicht so anfällig sei, will Gutjahr wissen. "In Deutschland ist man nicht oft geneigt, die Empörung auf den Straßen zu zeigen, die Empörung kann in die Wahlen reinkommen, wie bei den Piraten." Und zurück zu Baumgarten.

Feedback auf das Experiment

Die vielen Interviewpartner, die zusätzlich eingeblendeten Kommentare und die zum Teil schlechte Tonqualität strengen den Zuschauer an - und überfordern. Ein User schreibt nach der Sendung via Facebook: "Führt schnell zum Talkshow-Effekt: Viele haben was gesagt, aber geholfen hat's nicht recht."

Auch die Einspielfilme, die der ersten Ausgabe der Show geschuldet sind, wirken angesichts der ungleich interessanteren Beiträge aus dem Web überflüssig. Der eine erklärt im animierten Star-Wars-Look, wie die Sendungs-App funktioniert, die eigentlich selbsterklärend ist.

Der andere, aus TV-Schnipseln der sechziger Jahre zusammengefügt, fordert den Zuschauer auf, in der Rundshow "sein eigenes Stück Fernsehgeschichte" zu schreiben. Auch die eigens für die Sendung produzierte Mini-Serie des Comedytrios Y-Titty, die das Genre der Medienmacher aufs Korn nehmen soll, wirkt eher langweilig als - wie angekündigt - schonungslos.

Insgesamt wirkt die Show ebenso improvisiert wie ambitioniert. Aus gutem Grund verkauften sie die Macher im Vorfeld als Experiment und forderten die Zuschauer bewusst auf, Feedback abzugeben. Es bleibt abzuwarten, was Richard Gutjahr und sein Team aus den Reaktionen machen. Denn auch das, was der Journalist auf der re:publica seinen potentiellen Zuschauern kundtat, gehört zu Social TV: "Wir lernen vermutlich mehr von Ihnen als Sie von uns."

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