TV-Kritik: 3 nach 9:Der zweieinhalbte Moderator rettet den Brei

Talk-Novizin Sarah Wiener gab in der dienstältesten deutschen Plauderrunde ein lauwarmes Debüt. Nur dank Ulrich Wickerts Wissen, unter anderem über Intimrasuren, wurde es kurzweilig.

R. Pfister

Sechs Folgen lang hatte Stamm-Moderator Giovanni di Lorenzo nun wechselnde Partnerinnen an seiner Seite. Am Freitagabend hatte die Talksendung 3 nach 9 gleich zweieinhalb Moderatoren - der Auftritt von TV-Köchin Sarah Wiener als Gast-Gastgeberin an di Lorenzos Seite geriet eher lauwarm. Der altgediente Ulrich Wickert holte dafür die Kastanien aus dem Feuer. Auf ihn wurde Talk-Novizin Wiener nach der Begrüßung auch als erstes angesetzt.

Sarah Wiener komoderiert 3 nach 9

Diesmal war Fernsehköchin Sarah Wiener die Frau an der Seite von Gastgeber Giovanni di Lorenzo. Zu den Gästen gehörten Journalist Ulrich Wickert und Schauspieler Wotan Wilke Möhring.

(Foto: Frank Pusch)

Der bekennende Genussmensch Wickert bot für die ersten Fragen (Essen, Trinken, Frankreich und die Figur) ja auch ein Themenfeld, in dem die Gastronomin Erfahrung mitbringt. Mehr Erfahrung als dabei, konkrete Fragen zu stellen. Es war nett anzusehen, wie der einstige Mr. Tagesthemen geduldig wartete, bis die Köchin mal zum Ende ihrer Frage vordrang. Wenn es sein musste, lieferte er sich sein Stichwort eben auch allein. "Aber kommen wir zurück zu Jacques Ricou" leitete er sich selbst nach einem Exkurs über internationale Küche zum Anlass seines Besuchs über. Denn Wickert hat einen neuen Krimi geschrieben, der will beworben werden.

In der Folge konnte er den neuen Plot kurz skizzieren, den Reiz des Untersuchungsrichters Ricou als Ermittlerfigur erklären und Stellung dazu nehmen, ob er - also Wickert, nicht Ricou - eine geheime Vorliebe für Intimrasuren hat. Diese wiederum spielen im neuen Roman eine Rolle, die zumindest bei Wiener und di Lorenzo Eindruck hinterließ.

Dass Wiener hier in ihm den Rebellen entdeckt, kommt freilich etwas spät. Wickert war noch nie "der liebe Onkel im Wohnzimmer", sondern pflegte die ihm eigene, hintergründige Art. Damit bereicherte er für den Rest der Sendung auch die Plauderrunde, die trotz bunt gemischter Truppe und wie üblich fehlendem Überthema kurzweilige zwei Stunden bescherte.

Von Doggy Bag bis Zahnstocher

Ebenfalls ein Buch im Gepäck hatte Nandine Meyden. Die Etikette-Trainerin coacht sonst in Sachen Umgangsformen in eigenen Seminaren und dem MDR-Format Hier ab Vier. Beispiele aus ihrem Werk über "Benimm-Fettnäpfchen" nahm di Lorenzo als Anlass, um mit charmant-schnoddriger Art deren Untiefen auszuloten. Doggy Bags zum Mitnehmen von Speisen im Restaurant oder Zahnstocher auf dem Tisch sind demnach völlig inakzeptabel, auch wenn Restaurant-Betreiberin Wiener das anders sah. Fragen wie die, ob es bei Musik-Moderator Alan Bangs Kleiderordnungen gab oder welche Manieren Promis nach Meinung von Fotograf André Rival haben, boten allerdings für das Gespann eine gute Möglichkeit, die restlichen Gäste mit einzubeziehen.

Aktiv mit dabei war erneut Wickert, nachdem seiner Bitte an den Gastgeber - "Darf ich mal ´ne Frage stellen?" - von di Lorenzo aufmunternd positiv stattgegeben wurde. Es folgte eine Passage, in dem Wickerts Gesprächsanteil zumindest gefühlt deutlich größer als der von Wiener war. Für den Rest der Sendung bestand der Part von Expertin Meyden mit ihren starr kontrollierten Gesichtszügen darin, die Zulässigkeit diverser Fragen und Formulierungen zu klären, die im Rest der Runde aufkamen. Di Lorenzo fragte so unter anderem nach Personen, die man besonders "abscheulich" fand, da ihm ein anderes Wort mit A untersagt wurde.

Im Gespräch mit dem nächsten Gast erschien Wiener wieder auf der Bildfläche - dem Wechselspiel folgend war das Zwiegespräch mit Schauspieler Wotan Wilke Möhring schließlich ihr Part. Mit kleiner Unterstützung von di Lorenzo: "Du hattest den Satz so spannend angefangen..." hieß es dann. Denn zunächst hatte Wiener damit begonnen, dass der Schauspieler wie sie auf einer Waldorf-Schule war. Hier endeten die Gemeinsamkeiten beinahe schon wieder - im Unterschied zu Wiener hat er sogar zwei abgeschlossene Ausbildungen, statt Hippie war er Punker.

Ein so nonkonformistischer Punker, dass er zur Bundeswehr ging, weil er auch nicht das tun wollte, was seine Punker-Kumpel für das Richtige hielten. Ein Gespräch, in dem man bis zur Ankündigung von Wilke Möhrings nächstem Film eher mehr über Wiener als über ihn erfuhr.

Reggae an der Volkshochschule

Das läuft bei di Lorenzo, hauptberuflich Chefredakteur der Zeit, naturgemäß anders. Auch wenn sein nächster Gesprächspartner jemand war, der für ihn "einen Teil meiner Jugend begleitet" hat: Radio- und TV-Moderator Alan Bangs, der für die WDR-Sendung Rockpalast Musiker interviewte und in eigenen Radiosendungen Grenzen überschritt - auch die von Senderverantwortlichen, die mit Liedabfolgen wie Chopin vor Jimi Hendrix wenig anzufangen wussten.

Bangs plauderte aus dem Nähkästchen der wilden Zeit des Rockpalasts. "Man hatte den Eindruck, ihr konntet vor der Kamera machen, was ihr wolltet", stellte di Lorenzo fest. "Das stimmt leider" kam als Replik. Doch Senderverantwortliche waren nicht die Einzigen, bei denen Bangs aneckte. Die Anekdote über seinen ersten und einzigen Volkshochschulkurs zum Thema Reggae diente als wunderschönes Exempel, das er farbig schildert: "Wenn man Reggae verstehen will, muss man tanzen" habe er als Dozent seinen Schülern erklärt. Danach legte er Musik auf und forderte zum Tanz. Die Reaktion sei mehr als verhalten gewesen, genauer: '"Dann kam erst mal nichts." Darauf fing er selber an zu tanzen. "Dann gingen alle, außer zwei." Ein undankbares Publikum.

Das Bonmot des Abends

Es lieferte aber den Aufhänger für eine Debatte darüber, wie sehr man sich in den Medien nach den Wünschen von Programmverantwortlichen und Zuschauern richten muss. Die Antwort darauf gab Wickert: "Ich habe gelernt, dass der Zuschauer immer gern etwas mehr erfährt, als er schon weiß." Das passiert ihm jedoch zu wenig, Denkanstöße seien zu selten. Schauspieler Wilke Möhring und Moderator Bangs sahen das ähnlich.

Der Radiomoderator, der seit April wieder wöchentlich auf Sendung ist, präsentierte dann auch das Bonmot des Abends: "Ich bin absolut nicht schwierig, wenn man mich einfach machen lässt." Die Möglichkeit dazu hat er nun wieder.

Wie natürlich und aus dem Handgelenk heraus er Interviews führt, konnte er im Anschluss im Kurzplausch mit der britischen Pop-Sängerin Katie Melua beweisen. Nach ihrem Auftritt als musikalische Auflockerung plauderten die beiden kurz, was nicht nur Bangs Sachverstand, sondern auch seine eigene Schwerpunktsetzung beim Übersetzen schön ins Licht rückte.

Als letzter Gast geriet André Rival vor die Kamera. Sonst ist der Fotograf dafür bekannt, Promis abzulichten - und sich gleich mit. Passend, dass er sowohl Wiener als auch Wickert und Wilke Möhring schon vor der Linse hatte. Der Arbeitsstil des Spaßmachers ergab ein kurzweiliges Geplänkel, gerade wenn es darum ging, wie er Promis dazu bekommt, ihn mit aufs Bild zu lassen.

Als bewährtesten Trick schilderte er, zunächst ganz normale Fotos zu machen und dann zum Abschluss das gemeinsame Motiv, um das es ihm geht. Wickert verwunderte es, dass das funktioniert: "Wenn Sie kommen, dann weiß man auch, wer kommt und was auf einen zukommt." Gute journalistische Vorbereitung eben, die aber offenbar nicht überall verbreitet ist. "Da überschätzen Sie komplett die Kultur der deutschen Prominenten", erklärte Rival. Wickerts lapidare Antwort: "Dann sind die aber blöd."

Radtour nach Bremen

Jüngstes Foto-Objekt Rivals war der Modedesigner Wolfgang Joop, weder blöd noch unsportlich. "Ich hab noch nie so wenig retuschiert wie bei diesem Mann", kommentierte der Fotograf die Bilder. Joop hatte ihn auch von Stützstrümpfen überzeugt, die er im Studio präsentieren kann.

Auf seinem Weg ins Studio von Radio Bremen sicherlich nicht verkehrt - der Fotograf radelte aus Berlin hin, 395 Kilometer weit. Und immerhin würden die Stützstrümpfe dank passender Länge auch keinen Protest bei Benimm-Expertin Meyden auslösen. Wiener, die im Lauf der Sendung sicherer wurde, erhielt zum Abschied von di Lorenzo einen Blumenstrauß.

Sie war die letzte der angekündigten Gastmoderatorinnen nach Charlotte Roches Ausstieg. 3 nach 9 geht am 3. September wieder auf Sendung, di Lorenzo verabschiedete sich mit der Bemerkung, dass er selber noch nicht wüsste, mit wem er dann zusammen moderiert. Vielleicht hat Ulrich Wickert ja wieder Zeit.

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