Sommerinterviews mit Merkel und Westerwelle:Sommer, Sonne, Fadenschein

Außenminister Guido Westerwelle sitzt zwischen den Stühlen, Angela Merkel lässt einen Hauch Basta-Kanzlerin spüren - doch unangenehme Themen werden bei den Sommerinterviews elegant umschifft.

Johanna Bruckner

An einem sommerlich milden Septembertag im vergangenen Jahr wurden im Berliner Bundesbad zwei Handtücher einträchtig nebeneinander ausgerollt. Eines war schwarz und eines war gelb.

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Nicht zusammen, aber zeitgleich waren Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Guido Westerwelle in Sommerinterviews zu sehen.

(Foto: Getty Images)

An diesem Sonntag, knapp elf Monate nach Antritt der bürgerlichen Regierung aus Union und FDP, ist es wieder sonnig und warm in der Hauptstadt. Doch das schwarz-gelbe Frotteemärchen vom vergangenen Herbst ist längst zur Poolposse verkommen: Die einstigen Wunschkoalitionäre stehen zaudernd und zankend am Beckenrand - den Sprung ins politische Nass wagt keiner.

So könnten die traditionellen Sommerinterviews der Öffentlich-Rechtlichen in diesem Jahr untypisch unangenehm werden für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vize-Kanzler Guido Westerwelle (FDP). Tatsächlich bleibt nach zweimal zwanzig Minuten luftig-leichtem Polit-Talk aber nur der Zuschauer mit dem unangenehmen Gefühl zurück, einmal mehr vertröstet worden zu sein.

Denn bei allem Zwist der vergangenen Monate könnte an diesem Abend der Konsens der Parteivorsitzenden nicht größer sein: Negativ belegte Begriffe sind tunlichst zu vermeiden. Und Themen mit Konfliktpotential sind frei nach dem Tagesmotto "Sommer, Sonne, Fadenschein" zu umschiffen.

Wie das geht, demonstriert die CDU-Chefin gleich zu Beginn: Angela Merkel, die beim ZDF-Sommerinterview im Bundeskanzleramt einer äußerst zahmen Bettina Schausten gegenübersitzt, räumt auf die Frage nach dem Grund für sinkende Zustimmungswerte zwar ein, dass man die Menschen zum Teil nicht erreicht habe. Aber Streit innerhalb der Koalition als Ursache dafür, dass neun von zehn Bürgern der Regierung die Bewältigung der anstehenden Probleme nicht zutrauen? Die Kanzlerin spricht lieber von "Stimmenwirrwarr" bei "Entscheidungsfragen" und einem Umgangston, der nicht so gewesen sei "wie wir uns das vorstellen".

Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der es auf der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses mit dem ARD-Doppel Ulrich Deppendorf und Rainald Becker zu tun hat, will von Koalitionsgezänk nichts wissen. Die Abendsonne im Gesicht, das sanfte Plätschern der Spree im Rücken, spricht der Chef-Liberale lieber von "Nebengeräuschen", die mehr und mehr eingestellt würden.

Alles Schnee von gestern

Sowieso: Alles Schnee von gestern. Merkel gelobt Besserung für den Herbst, wenn wichtige Entscheidungen anstehen: Solide Finanzen, Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, Neuregelung von Hartz IV, Energiezukunft und äußere Sicherheit - das sind die fünf Themen, um die es gehen soll. Dann, irgendwann.

Heute möchte sich Angela Merkel offenkundig nur bei einer Frage wirklich festlegen: "Wir haben eine Steuer vorgeschlagen und solange kein anderer Vorschlag auf dem Tisch ist, bleibt es bei der Steuer." Ein Hauch von Basta-Kanzlerin bei der Frage nach der umstrittenen Brennelementesteuer.

Dass in der vergangenen Woche in nahezu allen großen deutschen Zeitungen ganzseitige Anzeigen einer prominent besetzten Initiative gegen die Abgabe erschienen sind, scheint Angela Merkel nicht wirklich zu beeindrucken. Sie hat sich bei parteiinternen Machtkämpfen oft genug gegen männliche Kontrahenten durchgesetzt - und so weiß sie auch diesen heftigen Gegenwind von Ackermann und Konsorten zu einem lauen Lüftchen abzumildern.

Kommt Zeit, kommt Wahl

Sie finde Wortmeldungen "gut", die auf die Bedeutung von Kohle- und Kernenergie als Brückentechnologien hinwiesen, betont Merkel. Von "Meuterei" bzw. einer persönlichen "Attacke" (Schausten) will sie aber nichts wissen: "Ich glaube nicht, dass die Anzeigen an mich gerichtet sind." Und Merkel macht deutlich, dass der Bundesrat bei der Frage der Atomlaufzeiten wohl nicht mitreden wird: "Wir müssen eine rechtliche Form der Verlängerung finden, die verfassungsfest ist und die ein zustimmungsfreies Gesetz möglich macht."

Guido Westerwelle, Ulrich Deppendorf, Rainald Becker

Sitzt zwischen zwei Stühlen: Guido Westerwelle.

(Foto: apn)

Auch in der roten Sitzgruppe in der ARD wird reichlich Sendezeit auf die aktuelle Diskussion um die umstrittene Brennelementesteuer verwendet. Doch Guido Westerwelle sitzt zwischen den Stühlen: Auf der einen Seite kann er es sich nicht mit den Unterstützern der Kampagne gegen die Abgabe verscherzen - schließlich ist das größtenteils FDP-Klientel. Auf der anderen Seite ist die Steuer bei der breiten Bevölkerung durchaus populär und nach Umfragen kämen die Liberalen momentan nicht einmal mehr über die Fünf-Prozent-Hürde.

Also entscheidet sich der FDP-Chef, sich nicht zu entscheiden: Seine Partei sei in der Frage, wie der Beitrag der Energiewirtschaft bei einer Verlängerung der Laufzeiten von AKWs auszusehen habe, "völlig offen".

Unerfreuliche Themen, wie eben die Talfahrt seiner Partei bei den Zustimmungswerten, nimmt Westerwelle ähnlich gelassen wie Merkel die Kritik der Wirtschaftsbosse. Kommt Zeit, kommt Wahl - und bis dahin, da ist der Chef-Liberale zuversichtlich, wissen dann auch die Bürgerinnen und Bürger den Beitrag der FDP am jüngsten Aufschwung zu schätzen.

Eher beleidigt als souverän

Eher beleidigt als souverän reagiert der amtierende Außenminister dagegen auf die eingespielte Frage eines Zuschauers, wann er denn gedenke, vernünftig in sein Amt hineinzuwachsen. Joschka Fischer sei sieben Jahre im Amt gewesen und habe mehr und länger Zeit gehabt zu zeigen, "was er kann", lautet Westerwelles pikierte Antwort.

Auf Zeit spielen, das scheint nach wie vor die Regierungsdevise. Bleibt abzuwarten, ob sich Angela Merkel und Guido Westerwelle tatsächlich freischwimmen. Dann, irgendwann.

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