Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik: "Menschen bei Maischberger":Schwamm drüber

Warum werden wir so schlecht regiert? Sandra Maischberger stellt die einfallsloseste aller Fragen und bekommt - trotz Gästen wie Gauck und Stoiber - nur einen verwaschenen Jahresrückblick als Antwort.

Katharina Riehl

In jedem Jahr, meist ist es Mitte Dezember, setzen die deutschen Fernsehsender ihren beliebtesten Moderator auf eine hübsche Couch vor eine riesige Leinwand. Auf der Couch nehmen dann all jene Platz, die im vergangenen Jahr am höchsten gesprungen sind, am dramatischsten gerettet wurden und am häufigsten auf rotem Plüschteppich fotografiert wurden. Dann lässt man Revue passieren, damit sich der Zuschauer zu Hause noch einmal erinnern kann, wie schön das war, damals, im Juni, in Südafrika.

Jetzt haben wir, man mag es angesichts der inzwischen herausgekramten Fingerhandschuhe kaum glauben, gerade September - und doch hatte man bei Menschen bei Maischberger den Eindruck, dass das Talkshowpersonal in Ermangelung einer echten Fragestellung einfach mal ein bisschen auf das vergangene Jahr zurückblicken sollte: War ja auch einiges los, 2009. "Kopflos, planlos, ahnungslos: Warum werden wir so schlecht regiert?" lautete der Titel, eingeladen waren Edmund Stoiber, Joachim Gauck, der frischgebackene ZDF-Talker Peter Hahne und der linke Künstler Klaus Staeck.

Und weil man diesen Sendungstitel nun mal auf alles und nichts anwenden kann, was so passiert in der Politik, hat auch jeder zu allem und nichts etwas zu sagen. Und das ausführlich. Ihren Ausgangspunkt nimmt die kleine zeithistorische Rückschau bei der gescheiterten Wahl des Bundespräsidenten Gauck, nach wenigen Minuten gibt es eine kleine Live-Schalte nach Stuttgart, wo Schauspieler Walter Sittler die Konfliktlinien von Stuttgart 21 skizziert.

Es folgen Bürgerproteste, Infrastruktur im Allgemeinen und Flughafenanbindungen im Speziellen, extreme Parteien in unseren Nachbarländern, die Rettung des Euro, Hartz IV, die Rücktritte von Koch, von Beust und Köhler, die Atomdebatte, Thilo Sarrazin und die Abschaffung der Norm in Brüssel, dass Gurken eine Krümmung von höchstens zehn Prozent aufweisen dürfen. Stoiber verteidigt Merkel, Staeck kritisiert die Koalition, Gauck sagt ein paar kluge, versöhnliche Sätze, Peter Hahne nickt - und mit all dem war zu rechnen.

Passt alles, nur nicht zusammen

Dass in der Sendung keine echte Diskussion zustande kommt, liegt vor allem daran, dass es von Beginn an nicht gelingt, dem extrem schwammigen Thema irgendwelche diskussionswürdigen Kriterien anzulegen. So gibt es für Stoiber - mit der Parole "Arbeitslosenzahlen! Mittelstand!" noch ganz der aus dem Wahlkampf 2002 - derzeit gar keine schlechte Regierung, weil ja die wirtschaftlichen Erfolgszahlen stimmen. Die anderen Herren nicken auf Maischbergers Frage, ob Merkel bei der von Sarrazin losgetretenen Integrationsdebatte mal wieder versäumt hat, eine Meinung zu haben. Und irgendwie ist es doch komisch, meint Staeck, dass keiner merkte, dass sich in Stuttgart etwas zusammenbraute, das die Menschen zu Bürgerprotesten auf die Straße treibt.

Stoiber referiert daraufhin über die vorbildliche Bürgerbeteiligung in der deutschen Gesetzgebung: Die Bürger hätten doch in den Neunzigern bei "Planfeststellungsverfahren" ihre Einwände kundgeben können. Er argumentiert formaljuristisch, Staeck redet über die Entfremdung zwischen Politikern und Bürgern - passt alles zum Thema, passt nur nicht zusammen.

Stuttgart 21, der Rücktritt Kochs, die Integrationsthesen des Thilo Sarrazin - im politischen Schnelldurchlauf fehlt es vor allem an einem: an Tiefe. Die Zeit reicht immer gerade, kurz die Konfliktlinie zu erklären (Ist Sarrazin ein Rassist oder übt der berechtigte Kritik?), und um die erwartbaren, ohnehin nicht sehr unterschiedlichen Positionen auszubreiten.

Auf ein baldiges Wiedersehen mit ihren Gästen freut sich Sandra Maischberger zum Abschied. Es dürfte wohl ungefähr Mitte Dezember werden.

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