TV-Kritik: Maischberger:Putzfrau Susi und die Gesetze des Marktes

Ex-"Problembär" Brüderle erklärt den Stinkefinger des Gewerkschaftschefs: Willkommen beim TV-Crashkurs Volkswirtschaftslehre. Leitung: Sandra Maischberger.

Melanie Ahlemeier

Rainer Brüderle muss ran. Der einstige Weinköniginnen-Küsser vom Dienst, seit gut einem Jahr liberaler Wirtschaftsminister im zweiten Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), muss ausgerechnet den Gewerkschafter Frank Bsirske erklären - weil es die ARD-Talklady Sandra Maischberger so will.

Nach Sommerpause: Maischberger wieder am Start

Trotz "Stinkefinger"-Foto und illustrer Gästeschar war ihre Talkrunde kein Selbstläufer: Sandra Maischberger diskutierte in der ARD die Frage "Monopoly Deutschland - Gewinnen nur die Reichen?".

(Foto: dpa)

Und so doziert der 65-Jährige mit sonorer Besserwisser-Rentner-Stimme: "Das ist sein eigener Stil, ich bin schüchterner."

Überraschungen vor Mitternacht? Fehlanzeige!

Sein eigener Stil - damit meint er die doppelte Stinkefinger-Geste des Verdi-Chefs. Zehn Tage ist es her, dass Bsirske zur Freude der Fotografen die zwei Mittelfinger streckte, als er öffentlich über den Rentenanspruch des ehemaligen Hypo-Real-Estate-Chefs Axel Wieandt lästerte. Für gerade mal anderthalb Jahre Verantwortung beim verstaatlichten Immobilienfinanzierer hat der Banker einen finanziellen Altersanspruch in Höhe von 20.000 Euro monatlich erworben, zahlbar ab dem sechzigsten Lebensjahr.

Das Stinkefinger-Foto, hübsch vergrößert für die Fernsehkameras - mit so einem Aufgalopp sollte jede Fernseh-Talkshow ein Selbstläufer sein. Ist sie aber nicht.

Die illustre Gästeschar, die sich Moderatorin Maischberger an diesem Dienstag in ihr Menschen-bei-Maischberger-Studio eingeladen hat, agiert vorhersehbar. Überraschungen um kurz vor Mitternacht? Fehlanzeige! Stattdessen: Ein zumeist abgespultes Standardrepertoire, je nach Person mit mehr oder weniger Verve.

Und: Ein viel zu großes Themenspektrum. Willkommen beim völlig überladenen Telekolleg-Crashkurs VWL, Teil 1 bis 20 - und das in 75 Minuten Sendezeit!

Die Katastrophenbank Hypo Real Estate, Wieandts horrende Rentenansprüche, Irland in akuter Finanznot, Griechenland-Krise, Staatshilfen, Banken-Gebaren, Stresstests, das Versagen der Banken-Aufsicht, das Gier-Problem, die Misere mit den Ein-Euro-Jobs, 400-Euro-Jobs - Maischbergers Gäste streifen Dutzende Aspekte, vergessen dabei aber nahezu das eigentliche Thema der Sendung. "Monopoly Deutschland - Gewinnen nur die Reichen?" wäre die Frage des Abends gewesen.

"Entschuldigung, ich bin nicht der Oberkommandeur"

Einzig und allein Talkshowteilnehmerin Susanne Neumann, Putzfrau und seit 30 Jahren im Job, schafft es mit ihrer Beharrlichkeit, an den Titel der Sendung anzuknüpfen. "Den Aufschwung seh' ich nicht. Bei mir kommt der absolute Abschwung an", formuliert sie unaufgeregt und ein wenig stoisch. 8,40 Euro kassiert die Frau mit den knallrot gefärbten Haaren pro Arbeitsstunde.

Hat vielleicht schon mal ein TV-Sender überlegt, der Dame eine eigene Talkshow anzubieten? Sie wäre in der eingespielten Talkshow-Welt bestimmt ein Gewinn. Sandra Maischberger nennt sie jedenfalls schon mal gegen Ende der Sendung "Susi Neumann". Wie wäre es mit "Menschen bei Susi Neumann"?

Insgesamt hat sich Maischberger - und das muss man ja heutzutage schon respektvoll anerkennen - eine einigermaßen interessante Diskutantenrunde organisiert. Gut, FDP-Vize Brüderle ist rhetorisch nicht Spitzenklasse, aber er hat an diesem Abend seine starken Momente.

"Entschuldigung, ich bin nicht der Oberkommandeur", giftet er in Richtung Maischberger, um das Zusammenspiel von Europäischer Kommission, dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank in der Causa Irland-Hilfe zu verteidigen.

Metro-Chef Eckhard Cordes, Herr über 300.000 Angestellte und alles andere als ein Talkshow-Dauergast, verteidigt den gescholtenen Banker Wieandt ("Herr Wieandt hat sich seinen Vertrag sicherlich nicht selbst geschrieben" und "Das sind die Gesetze des Marktes") und taut im Laufe der Sendung angenehm auf.

"Da hat keiner verzockt! Mir passt das ganze Vokabular nicht", giftet Cordes. "Bürgschaften sind dafür da, dass sie gezogen werden können", sagt er und "Es gibt keine Rechnung!" Der Ex-Daimler-Mann rechtfertigt in einem gut temperierten Gefühlsausbruch die geballten Finanzhilfen für Dublin. Weil er zwischendurch offenbar Luft braucht, reißt er an seinem Krawattenknoten.

Nur als die Sprache auf seine knapp vier Millionen Euro Jahresgehalt kommt, wird der topverdienende Topmanager dann doch ein wenig wortkarg. Mmh, ja, weiß nicht, vielleicht, kann schon hinkommen - eiert Cordes herum.

Und Geradeaus-Putzfrau Neumann formuliert die Frage aller Fragen an Cordes, die wahrscheinlich jedem zweiten Zuschauer just in dem Moment durchs Hirn schießt: "Was macht Ihre Arbeit so wertvoll?"

Wo war eigentlich "Stinkefinger" Bsirske? Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Schwachstellen Maischbergers spätabendliche Talk-Runde hatte.

"Das Blut nicht den Vampiren überlassen"

Das Zwiegespräch zwischen Neumann und Cordes ist ein kleines Highlight der Talkshow. Er zahle knapp 48 Prozent Steuern, Spitzensteuersatz versteht sich, dazu noch die Reichensteuer, rechtfertigt sich Cordes - um nur wenige Sekunden später von "Managementqualitäten" zu reden. Da fällt selbst "Susi Neumann" nicht mehr viel zu ein.

Außerdem im Studio: Der Börsianer Dirk Müller, genannt "Mister Dax", der mit seinem Buch Crashkurs kurz nach dem Ausbruch der Weltfinanzkrise einen Bestseller lieferte. Bei Maischberger gibt der Mann von der Frankfurter Börse den großen Analytiker. "Hätten wir das Geld nicht zur Verfügung gestellt, wäre es zum Bank-Run gekommen", sagt er über Irland.

Vom Problembären zum Erklärbären

Warum allerdings im Frühjahr, als Griechenland tief in der Misere steckte, der Internationale Währungsfonds angerufen wurde, kann und will Müller nicht verstehen. "Warum haben wir den IWF ins Boot geholt?", klagt er vorwurfsvoll. Brüderles Antwort: "Der IWF ist der Einzige, der die Expertise hat." Doch das reicht Müller nicht als Antwort, das verrät das blanke Entsetzen in seinen Augen.

Der ehemalige Bild-Chefredakteur und jetzige PR-Unternehmer Hans-Hermann Tiedje zeigt bei Maischberger, dass Schnellsprecher mit Tendenz zur Schnappatmung sich sehr wohl stimmlich durchsetzen können ("Das Thema Gerechtigkeit ist nicht abschließend zu klären"); sein alter Duzfreund Diether Dehm (Die Linke), der zwischendurch nervös mit der rechten Hand aufs Bein trommelt, bedient dagegen das linksorientierte TV-Publikum. Die Banken will er zur Kasse bitten, und ohne eine Entschuldung wird es wohl nicht gehen.

"Wenn die Banken das Blut der Wirtschaft sind, dann kann ich das Blut nicht den Vampiren überlassen", weiß Dehm, der Mitte der achtziger Jahre den Anti-Kapitalismus-Song Monopoly für den Deutsch-Rocker Klaus Lage komponiert hat.

Am Ende des Maischberger-Monopolys bleiben gleich mehrere Fragen offen: Warum muss die Moderatorin und Namensgeberin der Sendung eigentlich in jeder Auflage mehrfach explizit betonen, was sie wo alles gelesen hat? Ist es bei der ARD nicht mehr selbstverständlich, dass man sich auf das Thema und die Gäste der Show gut vorbereitet? Und vor allem: Wo war eigentlich "Stinkefinger" Bsirske? Warum wird über ihn, aber nicht mit ihm gesprochen?

Zum Glück hat Brüderle ja inzwischen umgeschult. Der Mann, der einst als "Problembär" gehänselt wurde, ist längst zum Erklärbären der Republik geworden. Das ist sein persönlicher Stil, im XXL-Format sozusagen.

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