TV-Kritik: Menschen bei Maischberger:Helmut Schmidt - viel Rauch, wenig Rat

Sandra Maischberger hat Altkanzler Helmut Schmidt zum Vieraugengespräch geladen - nur zwei Monate nach dem Tod seiner Frau Loki.

Katharina Riehl

Die Spielregeln dieser sehr intimen Runde sind ja nun schon seit einer ganzen Weile dieselben. Helmut Schmidt kommt im Schnitt einmal im Jahr ins Studio von Sandra Maischberger und darf dort so viele Zigaretten rauchen wie er will. Und wahrscheinlich, um dem strengen Nichtraucherschutz gerecht zu werden, lädt Maischberger an diesen Abenden niemanden sonst zu sich ein als den ehemaligen deutschen Bundeskanzler.

Helmut Schmidt bei 'Maischberger'

Auf mehrere Zigaretten mit Helmut Schmidt: Sandra Maischberger und Helmut Schmidt kennen sich schon länger - für ihn räumt die Moderatorin ihre Talkshow-Couch immer leer.

(Foto: dpa)

Nun hat man in diesem Jahr vielleicht einen entscheidenden Unterschied in der bewährten Dramaturgie erwartet. Im Oktober, also vor nicht einmal zwei Monaten, starb Loki Schmidt, die Ehefrau des SPD-Kanzlers a. D., im Alter von 91 Jahren. Ihr Tod und der trauernde Schmidt bewegten in jenen Wochen das Land.

Fragen zum großen privaten Verlust

Da war an diesem Abend vor allem bemerkenswert, wie wenig sich das Duo Schmidt/Maischberger von diesem Ereignissen aus dem bewährten Konzept werfen ließ. Zu Beginn und am Ende der Sendung sprach die Moderatorin ihren Gast zwar an auf den großen privaten Verlust, fragte ihn, wie es ihm gehe ("Nicht ganz so gut wie im letzten Jahr.") und ob es schwer für ihn gewesen sei, dass ihn die Menschen öffentlich hatten trauern sehen ("Angenehm ist es nicht."). Doch letztlich fügte sich auch dieser Dialog nur artig ein in jenes Frage-Antwort-Spiel, das den altbewährten Regeln folgte.

Schmidt, im Rollstuhl und mit Stock in der Hand, in der er keine Zigarette halten muss, bekommt also von Sandra Maischberger Fragen zu quasi allen politischen Ereignissen gestellt, die es im vergangenen Jahr einmal auf den Spiegel-Titel geschafft haben.

Schmidt zögert dann oft lange (und in diesem Jahr vielleicht noch ein bisschen länger), bevor er antwortet. Er sagt dann Sätze wie "Obama ist auf jeden Fall besser als sein direkter Amtsvorgänger" oder "zu Guttenberg ist sicher charismatisch".

Oft sagt er aber auch einfach gar nichts, oder nur: "Das ist Tagespolitik, da mische ich mich nicht ein."

Maischberger geht darüber hinweg, sie kennt das Spiel ja seit Jahren. Manchmal ist es ein bisschen, als müsste man einem widerwilligen Patienten einen Backenzahn ziehen, den dieser auf gar keinen Fall entbehren möchte. Nur, dass Maischberger nicht wie sonst an einem Zahn rüttelt, bis sie ihn samt Wurzel in der Hand hält, sondern es 75 Minuten lang recht sanft an immer wieder anderen Zähnen probiert.

"Was sollen wir denn jetzt tun?"

Es geht also von der Krise des Euro über die Frage, ob Guttenberg seine hübsche Gattin mit hätte nach Kundus nehmen sollen ("Ich habe mich gewundert.") über das Stuttgarter Bahnhofsprojekt, Wikileaks und den Friedensnobelpreis bis zum Atomausstieg.

Sagt Schmidt ausnahmsweise doch ein bisschen mehr als ein paar Worte, sind dies manchmal merkwürdige Dinge. Zum Beispiel erklärt er, dass an den Protesten in Stuttgart die Medien schuld seien, weil diese die Arbeit des Parlaments nicht ausreichend abbildeten. Fest macht er das daran, dass er noch nie eine Debatte aus dem Europäischen Parlament im Fernsehen sehen konnte.

Schmidt, der schlaue Fuchs

Dramaturgische Auflockerung dieser teils etwas zähen Veranstaltung sind ein paar Einspieler, wie der vom jungen, schwarzhaarigen Schmidt, der sich für "längerdienend Freiwillige" in der Bundeswehr ausspricht. Diese Zitate wiederholt Maischberger dann Silbe für Silbe, damit auch wirklich jeder versteht, dass Schmidt, der schlaue Fuchs, dies auch schon viel früher gewusst hat.

Man hat durchaus Verständnis für Sandra Maischberger, wie sie vermeidet, dem nicht nur gesundheitlich angeschlagenen Altkanzler nicht allzu sehr mit Widerworten auf den Leib zu rücken.

Dass aber laut einer aktuellen Umfrage 74 Prozent der Deutschen Helmut Schmidt als die herausragende moralische Instanz des Landes betrachten und er damit alle aktuellen Politiker weit hinter sich lässt, liegt natürlich auch an Sendungen wie diesen. An Shows, in denen er völlig unwidersprochen vor sich hin orakeln kann. In denen er mit niemandem streiten muss, dem zu Schmidts klaren Auffassungen zur muslimischen Einwanderung ("Schafft mehr Probleme als es auf dem Arbeitsmarkt hilft.") etwas eingefallen wäre.

2,73 Millionen Deutsche schauten zu, ein Marktanteil von 17,1 Prozent - und damit Jahresbestleistung für Menschen bei Maischberger, wie die ARD in eigener Sache gratulierte. Programmdirektor Volker Herres lobte die "Sensibilität" der Moderatorin und "ihre Begabung, freundlich, aber bestimmt und unerschrocken nachzufragen" Das habe sie "bei dem nicht immer einfachen Gesprächspartner Helmut Schmidt" gezeigt.

"Was sollen wir denn jetzt tun?", fragt Maischberger bei ihrem Gast zehn Minuten vor Schluss sensibel nach. Helmut Schmidt weiß es auch nicht. Von den aktuellen Politikern unterscheidet ihn immerhin, dass er das zugibt.

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