TV-Kritik Maischberger:Das verkokste Leben des Carlo von Tiedemann

"Drecksau", "Doofheit", "Scheiß auf die Finanzen": Moderator Carlo von Tiedemann macht sich locker und plaudert kraftvoll über seine Geldnot.

Melanie Ahlemeier

Das Geld ist knapp, weil seit Jahren weg - aber die Sprache, die ist voll da. Wie eh und je, mit 300-prozentiger Hau-drauf-Tendenz. "Ich war eine Drecksau", dampfplaudert Carlo von Tiedemann, seit gefühlten 198 Jahren Moderator beim Norddeutschen Rundfunk in Hamburg, und: "Ich habe gelebt wie ein Verrückter."

Nach Sommerpause: Maischberger wieder am Start

"Leben mit der Pleite: Geld weg, Ansehen weg?"- über dieses Thema diskutierte ARD-Moderatorin Sandra Maischberger mit ihren Gästen.

(Foto: dpa)

15 Jahre lang hat er die Folgekosten seines verrückten Lebensstils - 700.000 D-Mark Verbindlichkeiten - abgestottert. Ohne Privatinsolvenz, stattdessen unter einem rigorosen Spardiktat: 400 bis 500 Euro blieben ihm pro Monat. Von 20.000 Euro Einkommen! Doch dieses Weihnachtsfest nun wird ein Freudenfest - weil endlich schuldenfrei. Halleluja!

"Eine Doofheit summierte sich ins Unendliche"

Rotlicht, Blaulicht - im Leben Tiedemanns kam alles vor. Das volle Programm sozusagen. Sein Problem? Eine Wohnung kaufte er ohne einen Pfennig Eigenkapital, die Steuer hatte er irgendwie vergessen. "Eine Doofheit summierte sich ins Unendliche", frotzelt Tiedemann über Tiedemann. Und irgendwann geriet er auch noch auf die schiefe Bahn. Tiedemann nahm Kokain, seine sich prostituierende Beziehung Heroin. "Ich habe gelebt wie ein Tier", erinnert er sich in seinem nahezu 20 Minuten dauernden stakkatomäßig durchgezogenen Monolog am Dienstagabend in der ARD.

Im Rückblick kam es so, wie es kommen musste: Irgendwann flog das Doppelleben ("Ich habe die Kraft gehabt zu schauspielern") des Kultmoderators auf, und als die Polizei ihn nach einem Verhör nach Hause schickte, lungerten vor seiner Wohnung "vier TV-Teams und 20 Reporter herum" - weil die Bild-Zeitung Wind von der Geschichte bekommen hatte. Schnipp! - Genau das war der Moment.

"Von dieser Nacht an habe ich aufgehört, das Teufelszeug Kokain zu nehmen", blickt der weißhaarige Tiedemann, inzwischen 67, zurück. Bei Anne Will säße er vielleicht auf dem sogenannten Betroffenensofa. Talklady Sandra Maischberger allerdings hat den agilen Fast-Senior ins Zentrum gerückt.

Eine gute Entscheidung. Gemeinsam mit Klimbim-Star Ingrid Steeger, die seit August von 359 Euro staatlicher Grundsicherung, besser bekannt als Hartz IV, leben muss, schmeißt Tiedemann Maischbergers Sendung mit dem Titel "Leben mit der Pleite: Geld weg, Ansehen weg?".

Nun ja, nicht die ganze Sendung, aber immerhin die erste Hälfte. Wobei die zweite Hälfte des Titels auch nicht eingelöst wird, weil gar nicht darüber gesprochen wird. Aber das ist dann Maischbergers Problem, nicht das der Gäste.

Steegers schwerer Gang zur Sozialbehörde

Ähnlich wie Tiedemann erinnert sich auch Steeger an viele fette Jahre. "Ich habe keine Million gehabt, aber ich habe gut gelebt", bilanziert die Frau mit dem knallroten Brillengestell auf der Nase. Ihr Problem? "Ich konnte nicht nein sagen!" Jeder, der sie anpumpte, erhielt die gewünschte Kohle. Allen voran ihre zig Männer.

Auch bei Steeger - vor wenigen Tagen von Deutschlands auflagenstärkster Boulevard-Zeitung als Hartz-IV-Empfängerin auf den Titel gehoben - fehlte erst das Glück, ehe dann auch noch das Pech hinzu kam. Der Gang zum Amt fiel der Ulknudel der siebziger und achtziger Jahre mehr als schwer. "Das war für mich ein sozialer Abstieg. Ich habe viel geweint", offenbart die Schaupielerin, die ihre beste Zeit längst hinter sich hat, ihr Seelenheil. Schnipp! Der Weg zur Sozialbehörde - genau das war der Moment.

Hartz IV habe sie wachgerüttelt, berichtet Steeger dem nächtlichen Fernsehpublikum. Die Frau gibt sich kämpferisch: "Ich will da raus und ich komm' da raus." Weil über zweieinhalb Jahre einfach kein Engagement reinkam, rutschte sie in Hartz IV ab.

Heute sieht die Lage zum Glück ein wenig besser aus. Mehrere Städte zählt Steeger auf, ab Februar will sie dort wieder auf der Bühne stehen. Ihre Parole: "Ich will wieder auf die Bühne. Ich will wieder da sein! "Ob die Bild für die Aufmacher-Story, die Ende vergangener Woche veröffentlicht wurde, zahlte? Dazu gibt die 63-Jährige keine Antwort - weil Moderatorin Maischberger die Frage aber auch nicht stellte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Finanz-Weisheiten RTL-Schuldnerberater Peter Zwegat beizusteuern hatte.

Vom Scheitern geht die Welt nicht unter

Andere Gäste? Ach ja, die waren auch noch da. Neunziger-Jahre-Comedystar Tanja Schumann (Samstag Nacht) verspekulierte sich mit Ost-Immobilien in der Pampa und entschied sich für die Privatinsolvenz, Existenzgründer Sascha Suden ("Existenzgründung ist wie Verliebtsein") fiel mit einem einfach genialen, genial einfachen Konzept aus Event und Floristik in Berlin auf die Nase. Und das, obwohl er selbst den Bundestag mit Botanik belieferte.

Beide - Schumann wie Suden - erzählen bei Maischberger ihre jeweilige Geschichte überraschend selbstreferentiell-fröhlich. Ihre Botschaft: Scheitern kann jeder und natürlich ist das ärgerlich. Aber die Welt, die geht davon nicht unter.

Die Finanzexperten haben das Wort

Doppelt hält besser oder auch weil eine Talkshow ohne Experten irgendwie keine Talkshow ist, schickt Maischberger gleich die doppelte Variante an den Start. "Grenzgänger" Peter Zwegat, bei RTL als Schuldnerberater unter Vertrag, und der ehemalige ARD-Börsenexperte Frank Lehmann haben das Wort.

Lehmann macht einige nützliche Anmerkungen ("Verschuldung wird heute leichtgemacht"), babbelt während der mehr als einstündigen Sendung aber auch einige Male hundertprozentig sinnfrei durch die Gegend, weil seine Antworten nicht an Maischbergers Fragen anschließen.

Zwegat hingegen gibt den souveränen Analytiker ("Schulden sind kein Unterschichtenphänomen" und "Man lügt sich Sachen schön"). Der zweite Teil der Sendung ist verstärkt seine Show. Rhetorisch macht er das einwandfrei: "Die Hälfte von wenig ist besser als nichts", haut Zwegat schlagfertig, aber völlig unaufgeregt raus.

Am Ende der Sendung, als jeder Gast ein kurzes Schlusswort sprechen darf, philosophiert der Meister: "Ich glaube schon, dass ich mit Geld umgehen kann." Dass er sich vor Jahren für eine Fototapete verschuldete, verschweigt er. Besser ist besser.

"Scheiß auf die Finanzen!"

Tiedemann gibt den netten plauder-launigen Onkel von nebenan, die Steeger die ob ihrer inneren Werte Verkannte, Maischberger stellt wie immer keine bösen Fragen und übt mal wieder die Von-unten-nach-oben-schauen-und-die-Stirn-in Falten-legenden-Rehblick-Fragen.

Und dennoch muss man ehrlich sagen: Was für eine erfrischende Runde, wenn kein Berufspolitiker dabei ist. Bitte mehr davon!

Vielleicht braucht die Talkshow-Welt aber auch einfach mehr Gäste im Tiedemann-Format. Der will - nach Abzahlung seiner Schulden - keinen direkten Zugriff auf sein Konto. Seine Tochter oder wer auch immer solle ihm Monat für Monat sein Taschengeld zuteilen, wünscht sich der prominente Lebemann. Das Fazit des "Verrückten"? "Ich bin ein glücklicher Mensch. Scheiß auf die Finanzen!"

Ach, wenn doch alles im Leben so einfach wär'.

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