TV-Kritik: Menschen bei Maischberger:"Dann zahlste druff!"

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Mitternachts-Talk bei Sandra Maischberger: Alle reden durcheinander zum Euro und Griechenland. ARD-Börsenexperte Frank Lehmann babbelt besonders laut.

Melanie Ahlemeier

Bei nicht alltäglichen Themen wie zum Beispiel der europäischen Währungspolitik in Kombination mit transnationalen Finanzspritzen, hilft ein banales Patentrezept: Mit starken Worten möglichst simpel formulieren. Dann rafft jeder TV-Zuschauer die Materie.

Ist der "Euro im Koma?" will Sandra Maischberger wissen - und lässt ihren Gästen freien Lauf. (Foto: Foto: dpa)

Schon seit Wochen diskutiert die aufgebrachte Republik in fast jeder Talkshow den deutschen Beitrag zur Rettung Griechenlands, seit gut einer Woche das gigantische 750 Milliarden Euro schwere Hilfspaket zur Stabilisierung der angeschlagenen europäischen Gemeinschaftswährung. Und wenn ein gestandener Börsenexperte wie der langjährige ARD-Mann Frank Lehmann sagt, "die Leute haben Schiss", dann muss da etwas Wahres dran sein.

"Momentan ist der Trend in Sachwerte" und "Wir haben einen Boom in Gold", schwadroniert Lehmann ohne Punkt und Komma gleich zu Beginn von Sandra Maischbergers "Euro im Koma? Gebt uns die D-Mark zurück!". Und das, ohne mit nur einer einzigen Silbe erklärt zu haben, was dieser ereignisreiche Dienstag für die Zukunft Europas überhaupt bedeutet.

Nämlich dass Union und FDP ihren Widerstand gegen eine Finanzmarktsteuer aufgegeben haben, weil der Druck der Euro-Nachbarn einfach zu groß war. Oder dass Hedgefonds künftig an die Leine genommen werden sollen. Und dass der Euro in den USA unmittelbar vor Beginn der Maischberger-Sendung abschmierte. Anstatt den unbedarften Zuschauern am Ende dieses Tages also erst einmal den aktuellen Stand der Dinge beizubiegen (ein Einspieler mit Informationen zum Tag fehlte zu Beginn der Sendung), steigt Dampfplauderer Lehmann schnörkellos in die Anlegerberatung ein.

Vielleicht hätten die ARD-Granden dem grauhaarigen Wortakrobaten einfach eine One-Man-Show ins Krisenprogramm stricken sollen - die Anlegertipps wären wohl weniger primitiv dahergekommen. Der Rat des Börsen-Experten: Münzen und Barren aus Gold laufen derzeit wie geschmiert ("Wir haben einen Boom in Gold") und bitte, bitte nicht die Lebensversicherung kündigen. "Dann zahlste nur druff! Das wär' ja schön blöd!" Im Sprech des hessischen Börsenbabblers ist alles ganz einfach, selbst wenn die äußeren Bedingungen ein wenig komplizierter sind.

Immer eine Spur diffiziler liegen die Dinge vor allem für Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter - er muss einfach zu viel verteidigen. "Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank steht außer Frage" und "Der Euro ist eine Erfolgsgeschichte, die Deutschen haben am meisten profitiert", spult Kampeter routiniert die Standardfloskeln dieser Tage herunter. Keine Frage: Der Mann aus Ostwestfalen-Lippe macht auf Erklärbär der Nation. Zu beneiden ist er um diesen Job nicht.

Doch eines muss man dem Mann mit der hohen Denkerstirn lassen: Je häufiger er als rechte Hand Schäubles in diesen Tagen die neueste Welle der Finanzkrise offiziell erläutert, desto mehr Spaß scheint er an den televisionären Nachhilfestunden zu haben. Ende April hatte der studierte Volkswirt bereits bei Anne Will Deutschlands horrenden Beitrag zum europäischen Rettungspaket für Athen verteidigen müssen, und seine Performance war damals nicht die allerbeste. Der Mann war einfach zu verkrampft. Bei Maischberger hingegen ist Schäubles Sprachrohr deutlich besser in Form: Kampeter lacht viel, attackiert die neue Vize-Chefin der Linken, Sahra Wagenknecht ("Von Ihnen nehme ich keine Hinweise zum Thema ernsthaftes Wirtschaften entgegen!"), und hat für die Thesen des Finanzwissenschaftlers Stefan Homburg häufig nur ein Kopfschütteln plus ein mildes Lächeln übrig.

Kampeter und Homburg werden in diesem Leben nicht mehr Freunde, so viel steht nach den gut 60 Minuten Sendezeit fest. "Eine Finanztransaktionssteuer belastet den kleinen Sparer", erörtert der Professor mit ernstem Gesicht. Kampeter schaut erst irritiert-pikiert, dann süffisant grinsend. "Schuld an der Krise sind die ahnungslosen Politiker", ist noch so ein typischer Homburg-Satz. Ach ja, und: "Die nächste Bundesregierung - da sind Sie dann nicht mehr dabei - wird die Rechnung präsentieren!" Kampeter werden an diesem Abend die Ohren geschmerzt haben, auch ob der mutigen Homburg-These, Deutschland müsse raus aus dem Euro und im Zweifelsfall halt einen "Nord-Euro" ins Leben rufen.

"Ruhe im Karton"

Und Moderatorin Sandra Maischberger? Sie gibt die Sendung über weite Strecken aus der Hand, lässt ihre Gäste Homburg, Lehmann, Kampeter und die Agitatorin Wagenknecht ("Es ist ein Unding, dass jetzt die geretteten Banken dem Staat die Bedingungen diktieren") sowie den schönen ehemaligen österreichischen Finanzminister Karl-Heinz Grasser ("Wir brauchen nicht mehr Steuern, wir zahlen schon viele Steuern. Wir brauchen Wachstumspolitik") sowie die Buch-Autorin Susanne Schmidt ("Der Euro ist eine politische Leistung, die verteidigt werden muss") wie einen aufgescheuchten Hühnerhaufen einfach laufen und nervös durcheinander gackern.

Bei drei Stimmen gleichzeitig wird das Zuhören unfreiwillig anstrengend; wenn sechs Gäste, nebst Talklady Maischberger, eine Tonspur nutzen, ist nichts mehr zu verstehen.

Wie es mit der schwächelnden Gemeinschaftswährung in den kommenden Wochen und Monaten weitergeht, steht nicht in den Sternen der EU-Flagge. Nur Wortakrobat Lehmann kann all die zukunftsträchtigen Politvorschläge innerhalb und außerhalb der TV-Runde einfach nicht mehr hören. "Redeverbot einführen, Ruhe im Karton", ätzt er.

Und dann war Schluss. Dann war Ruhe.

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